Der Philosoph, Mathematiker und
Naturwissenschaftler
»René Descartes
(1596-1650), der sich in latinisierter Form
Renatus Cartesius nannte, begründete den
Rationalismus. Seine Vorstellungen, kurz auch
Cartesianismus genannt, gingen dabei von
der Annahme aus, dass es zwei verschiedene Substanzen gebe: den Geist und
die Materie (= Cartesianischer
Dualismus).
Seine
Philosophie basiert auf physiologischen Vorstellungen von der menschlichen
Natur, die den lebenden Organismus von Mensch und Tier auf mechanistische
Art und Weise deutete.
Dies lässt sich an der nebenstehenden Abbildung des
Inneren einer mechanischen Ente gut erkennen. Sie ist von Jaques de Vaucanson (1709-1782) angefertigt worden und in Descartes Schrift "De
homine (1622)" erschienen.
Der lebende Organismus als eine Art
hydraulische Maschine war eine derart radikale Vorstellung, dass Descartes
seine Schrift Traité de l'homme ("Abhandlung über den Menschen“, 1632) aus
Angst vor der kirchlichen Inquisition zeitlebens nicht veröffentlicht hat.
Erkenntnisse, wie er sie hatte und weitergeben wollte, waren mit der
scholastischen Tradition unvereinbar. Sie akzeptierte neue Erkenntnisse
nur dann, wenn sie nicht im Widerspruch zur Bibel, zu den Schriften des
griechischen Philosophen
Aristoteles (384-322
v. Chr) und ihrer Auslegung durch die Kirchenväter standen. Wer anderes
vertrat, setzte sich, wie der Inquisitionsprozess gegen
»Galileo Galilei (1564-1642)
1632 zeigte, dem Vorwurf der Gotteslästerung aus und musste mit schärfster
Verfolgung rechnen. Aus diesen Gründen erschien Descartes Werk "De homine"
erst nach seinem Tode im Jahr 1662.
Für Descartes liefert allein der Akt des Denkens den Beweis für die
menschliche Existenz. Aus dieser Überlegung heraus entsteht der Dualismus
von Körper (rex extensa) und Geist (res cogitans), die als eine Art
"Grundstein für die Naturtheorien der Moderne" angesehen werden kann,
zumal dieses Konzept auch die Naturwissenschaft vom Joch der Theologie
befreite. (Wichmann
1995, S.215)
Descartes betrachtet dabei die Natur als
"ausgedehnte Substanz", die auch in Gestalt des lebenden menschlichen oder
tierischen Organismus von mechanischen Prozessen beherrscht sind. Sein
großes Interesse an der Medizin und insbesondere der Physiologie gründet,
so Thomas Wichmann, auf "diesem
untergründigen Materialismus" (ebd.),
für den die nachfolgende Aussage Descartes Beleg ist: "Sogar der Geist ist
so sehr von der Leibesbeschaffenheit und der Einrichtung der Körper
abhängig, dass ich, wäre es möglich ein Mittel zu finden, das die Menschen
ganz allgemein weiser und geschickter machte, als sie bisher gewesen sind,
glaube, man muss es in der Medizin suchen." (zit. n.
ebd.)
Was menschliche von tierischen Körpern unterscheidet, ist nach Descartes
Auffassung die Existenz einer Seele, die unteilbar, weil nicht ausgedehnt,
ist. Und nach dieser Auffassung kann die Seele auch ohne den Körper
existieren, weshalb sie auch nach dem Tode nicht mit diesem untergeht.
Aber, und das ist für das Verständnis der Cartesianischen Vorstellungen
über die Sinnesphysiologie grundlegend, "diese grundsätzliche Trennung von
denkender und ausgedehnter Substanz verhindert nicht ihre geheimnisvolle
und innige Vereinigung, deren Bestehen schon die bloße Erfahrung
bestätigt: unsere Seele wird durch das Temperament, die Mischung der Säfte
im Körper und durch die Beschaffenheit und Anordnung der Körperteile stark
beeinflusst." (Specht
1966, S.116)
Da Descartes auf der Suche nach einem Ort
bzw. Organ, in dem Seele und Geist miteinander in ihre Wechselwirkung
treten konnten, auf die
Zirbeldrüse (Epihyse, corpus
pineale), den einzig nicht paarig vorhandenen Teil des Gehirns stieß,
stand für ihn fest, dass dort und nur dort der Geist auf den Körper und
der Körper auf den Geist einwirken konnte. Aus der Vereinigung von Leib
und Seele, die Descartes als ein Faktum hinnimmt, folgt also auch der
Austausch (commercium) zwischen beiden: "die Kraft der Seele, den Körper -
wenn auch nur indirekt - zu bewegen, und das Vermögen des Körpers, durch
Verursachung von Sinnesempfindungen und Passionen auf sie einzuwirken." (ebd.,
S.121f.)
Wie die Zirbeldrüse ihre Funktion als Mittlerin zwischen Körper und Geist
erfüllen kann, erläutert Rainer
Specht (1966, S.122.f.) wie
folgt: "Die Apparatur, die in Descartes' System diesen Austausch
ermöglichen soll, ist die aus sehr weicher Materie gebildete Zirbeldrüse,
die nicht mit der Substanz des Gehirns vereinigt, sondern an kleinen
Arterien aufgehängt ist. Wie ein nur an wenigen Fäden befestigter Körper,
den die Kraft des einem Kamin entsteigenden Rauchs trägt, je nach der
Richtung der einzelnen Rauchschwaden hin und her treibt: so drängen die
Geisteskorpuskeln, die der Drüse Auftrieb geben, sie einmal in diese und
einmal in jene Richtung. Die Wirkung des Körpers auf die Seele findet im
Gehirn statt, in dem der Seele aus Animalgeistern hergestellte Bilder
vorgehalten werden". Umgekehrt beeinflusst die Seele den Körper "durch
Neigung der Drüse auf eine bestimmte motorische Nervenendung, wodurch aus
mechanischen Gründen einige der im Gehirnventrikel befindlichen Geister
durch eine Röhrenleitung in den betreffenden Muskel geleitet werden." So
wird die Zirbeldrüse darüber hinaus auch Verbindung- und
Koordinationsstelle von Sensorik und Motorik.
Für Descartes funktioniert die
▪
visuelle Wahrnehmung des
Menschen über die
▪ Augen
so, dass wie bei einer »Camera Obscura
(Lochkamera) im Auge Lichtstrahlen
eintreffen, die ein Abbild im Auge erzeugen. Nach Descartes nehmen wir das
Licht mit unseren Sinnen wahr, weil sich eine bestimmte Gruppe von
Korpuskeln bewegt. Folgerichtig ist auch das Rot, das wir wahrnehmen nicht
das Rot in den Dingen selbst, "sondern eine bestimmte Bewegung bestimmt
gestalteter Korpuskeln" (Specht
1966, S.125)
In seiner Schrift Dioptrique, (in: Discours de la méthode, Leiden 1637)
vergleicht Descartes das Sehen mit der Gegenstandswahrnehmung durch
Blinde, die "gleichsam mit den Händen sehen", und fährt fort: "Wenn Sie
annehmen, dass der Unterschied, den ein Blinder mit Hilfe seines Stockes
zwischen Bäumen, Steinen, Wasser und anderen derartigen Gegenständen
sieht, ihm nicht geringer erscheint als der, der zwischen roter, gelber,
grüner und jeder anderen Farbe besteht, so ist dennoch die Unähnlichkeit
zwischen den Körpern nichts anderes als die verschiedenen Arten den Stock
zu bewegen oder seinen Bewegungen Widerstand entgegenzusetzen." (zit. n. A.
N. Leontjew, Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit, Studien zur Kritischen
Psychologie, Köln 1982, 05.08.06) Später wurde der
Gedanke von der prinzipiellen Gemeinsamkeit der Entstehung von fühlbaren
und sichtbaren Abbildern von Diderot und besonders von Setschenow
weiterentwickelt.
Das Abbild wird danach an die Zirbeldrüse übermittelt, die als
Verbindung zwischen Körper und Geist fungiert. Im vorliegenden Beispiel
wird der visuelle Reiz in einen Willensakt übersetzt, der von der Hand
(Zeigefinger) ausgeführt wird. So wird streng genommen "der mechanistische
physiologische Prozess nur noch zu einem Mittel der Wahrnehmung". (Mausfeld
2005, 5.8.2006) Daraus lässt sich letzten Endes folgern, dass
die von einem Objekt kausal bestimmten Prozesse gar kein Bild erzeugen,
"sondern nur noch ein Muster physiologischer Aktivität. Dieses Muster wird
vom Geist nicht wahrgenommen, sondern ist lediglich ein Mittel, das ihn zu
Vorstellungen anregt." (ebd.)
In
seiner Abhandlung "Descartes'
Irrtum" (1995/2004) hat sich der Neurologe
Antonio R. Damasio (geb. 1944)
mit den Folgen des Cartesianismus in der modernen Wissenschaft
auseinandergesetzt.
Seine Untersuchungen über die Wechselwirkungen
zwischen Körper und Bewusstsein führen ihn allgemein zur Erkenntnis einer
"Hirn-Körper-Partnerschaft", die als Ganzes in Interaktion zur Umwelt
tritt. Für die konkrete Ausgestaltung dieser Wechselbeziehung ist, so
zeigt er an zahlreichen empirischen Beispielen, weder der Körper noch der
Geist allein verantwortlich. (vgl.
Damasio 2004, S.130) Kein
Wunder also, dass Damasio mit René Descartes, den er als "Galionsfigur für
zahlreiche Ideen über Körper, Gehirn und Geist" mit Einfluss bis in die
heutige Natur- und Geisteswissenschaft bezeichnet, hart ins Gericht geht.
Seine "Besorgnis" zielt dabei in zwei Richtungen:
-
Zum einen verweist er auf
Ansätze, die von einem Dualismus von Geist und Körper ausgehen, und
dabei natürlich auch den Geist vom Gehirn trennen wollen. In extremer
Auslegung werde dies heutzutage allerdings kaum mehr vertreten.
-
Zum anderen kritisiert er
auch moderne Varianten dieser Vorstellung, wonach Geist und Gehirn zwar
als miteinander verwandt angesehen würden, und zwar als eine Metapher in
dem Sinne, dass "der Geist das Softwareprogramm ist, das in einer
Computerhardware namens Gehirn abläuft". Ebenso sei auch die Auffassung,
"dass Gehirn uns Körper zwar in Beziehung zueinander stehen, aber nur
insofern, als ersteres nicht ohne die vitalen Lebensprozesse des letzten
überleben kann." (ebd.,
S.328)
Descartes Irrtum werde an dessen berühmtester Aussage "Ich
denke, also bin ich" (cogito ergo sum)
deutlich. Dieser besage, "dass Denken und das Bewusstsein vom Denken die
eigentlichen Substrate des Seins" seien. "Und da Descartes das Denken
bekanntlich für eine Tätigkeit hielt, die sich völlig losgelöst vom Körper
vollzieht", fährt Damasio fort, behauptet er in dieser Äußerung die
radikale Trennung von Geist, der »denkenden Substanz« (res cogitans),
und der nichtdenkenden Körper, der Ausdehnung besitzt und über mechanische
Teile verfügt (res extensa)." (ebd.,
S.329) Diesem Irrtum von der Existenz eines körperlosen Geistes sind
nach Damasio in der Wissenschaft in der Nachfolge Descartes aufgesessen:
-
Viele Kognitionswissenschaftler meinten, man komme ohne Erkenntnisse
der Neurobiologie aus und wiesen doch den Vorwurf des Dualismus weit von
sich.
-
Manche Neurowissenschaftler behaupteten, "Geist lasse sich
ausschließlich durch Gehirnereignisse erklären" (ebd.,
S.331) und lassen weitere physische Aspekte und die Einflüsse der
(sozialen) Umwelt einfach außen vor.
-
In der Medizin zeige sich bis heute, dass man die wechselseitigen
Zusammenhänge von Psyche und Krankheit zu wenig zur Kenntnis genommen
habe, ja nichtzuletzt sei, so mutmaßt Damasio, "Descartes
mitverantwortlich für den Weg, den die Medizin eingeschlagen hat, fort
von dem organischen Geist-im-Körper-Ansatz, der von Hippokrates bis zur
Renaissance vorherrschend war." (ebd.,
S.332)
Wenn es Damasio darum geht zu zeigen, "dass zum umfassenden
Verständnis des menschlichen Geistes eine organische Perspektive
erforderlich ist, dass der Geist nicht nur aus einem körperlosen Cogitum
in das Reich von Körpergeweben verlegt, sondern, auch zu einem ganzen
Organismus in Beziehung gesetzt werden muss, der aus den vielfältig
miteinander verflochtenen Teilen des Körpers im engeren Sinn und des
Gehirns besteht und der mit einer physischen und sozialen Umwelt
interagiert" (ebd.,
S.333), dann ist eine Rückkehr zu neuen oder alten Spielarten des
Cartesianismus endgültig verbaut. Denn: "Darin liegt Descartes'
Irrtum: in der abgrundtiefen Trennung von Körper und Geist, von
greifbarem, ausgedehntem, mechanisch arbeitendem, unendlich teilbaren
Körperstoff auf der einen Seite und dem ungreifbaren, ausdehnungslosen,
nicht zu stoßenden und zu ziehenden, unteilbaren Geiststoff auf der
anderen; in der Behauptung, dass Denken, moralisches Urteil, das Leiden,
das aus körperlichem Schmerz oder seelischer Prein entsteht, unabhängig
vom Körper existieren. Vor allem: in der Trennung der höchsten geistigen
Tätigkeiten vom Aufbau und der Arbeitsweise des biologischen
Organismus." (ebd.,
S.333) Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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