Dass wir sehen, was wir sehen, ist für die
meisten Menschen eine solche Selbstverständlichkeit, dass wir uns im
Grunde kaum darum kümmern, wie Sehen eigentlich funktioniert. Wir haben
zwar eine Alltagsvorstellung davon, wie wir überhaupt eine gewisse
Vorstellung davon haben, wie unsere Wahrnehmung funktioniert. Da wir aber
nicht wahrnehmen können, wie wir wahrnehmen, also auch nicht sehen können,
wie wir sehen, begnügen wir uns im Alttag mit Annahmen darüber, die uns
mehr oder weniger plausibel erscheinen. So kommt uns das Sehen vielleicht
wie eine Art Kino im Kopf vor und unser
Auge
wie eine Foto- oder
Filmkamera.
Auge und Kamera haben
gewisse Ähnlichkeiten, aber auch gravierende Unterschiede. Ganz allgemein
lässt sich sagen, dass
analoge und
digitale Kameras Systeme
(vgl.
Digitale Fotografie)
darstellen, die dem menschlichen Auge nachempfunden sind. "Ein Objektiv
konzentriert die Reflexionen eines Objekts auf eine lichtempfindliche
Schicht. Der Strahlengang des Lichts wird durch die Linse gebrochen und
das Bild erscheint auf der Filmebene auf dem Kopf stehend. Bei der
konventionellen Fotografie ist der Film Sensor und Speichermedium. Bei der
digitalen Fotografie sind diese beiden Funktionen räumlich getrennt: Ein
hochempfindlicher Sensor registriert die einlaufenden Impulse und eine
Speichereinheit (PC-Karte, Festplatte) speichert diese digitalisierten
Daten." (Riepl/Schweighofer 1997,
S. 22)
Allen Ähnlichkeiten zum Trotz - beide können mit
optischen Vorrichtungen das Licht brechen und ein Abbild der Umwelt
erzeugen - gibt es natürlich gravierende Unterschiede:
-
Beide
haben ein vollkommen unterschiedliches System, um durch Brechung des Lichts zu
einer scharfen Abbildung zu gelangen. Bei einer Kamera wird die Linse
dazu vor- und zurückbewegt, im Auge sorgt die fortdauernde Veränderung
der Linsenkrümmung dafür, dass sich der Brennpunkt der fokussierten
Objekte unserer Umwelt auf der
Netzhaut befindet. Dieser
Vorgang wird als Akkomodation bezeichnet. (vgl.
Goldstein 2002, S. 46)
Was
nach der Erzeugung eines Bildes in der Kamera und bei der visuellen
Wahrnehmung abläuft, ist grundverschieden
Die
Prozesse von Bilderfassung, Registrierung der Information und ihrer
Speicherung, sowie die Bildausgabe verlaufen bei Kameras wie folgt:
-
Bei
analogen Kameras ist der Film Sensor und Speicher zugleich.
Die Bildinformationen kommen nach ihrer Brechung durch die Linse bzw.
das Linsensystem eines Objektivs und dem Passieren der Blende auf der
Filmebene an und werden in den Silberhalogenidkristallen des Filmes
gespeichert. Die Auflösung des Bildes, seine Konturenschärfe und
Kontrastwiedergabe sowie die Empfindlichkeit sind davon abhängig,
welches Objektiv benutzt wird und welches Filmmaterial verwendet wird. Die Informationen über die Farbe der Objekte werden als
Helligkeitswerte in unterschiedlichen Filmschichten gespeichert, die
den Durchlass für bestimmte Farbinformationen mit Farbfiltern regeln.
Die elektromagnetisch codierten Informationen werden dabei in
Bildpunktfeldern oder Helligkeitsfeldern angelegt und nicht in einzeln
angesprochenen Bildpunkten. Die Anzahl der aktivierten Bildpunkte und ihre Empfindlichkeit für das
ankommende Licht hängt dabei von der Größe und Beschaffenheit der
Körnung des Filmmaterials ab. Die so genannten Filmkörner liegen in
den einzelnen Filmschichten neben- und, je nach Dicke der Filmschicht,
auch übereinander. Dies ermöglicht hohe Detailauflösungen, birgt aber
auch die Gefahr von Ungenauigkeiten bei der Speicherung der
Bildinformation, z. B. durch Überstrahlungen oder Kornabzeichnungen. Die Speicherung aller Bildinformationen erfolgt bei der Belichtung des
Filmmaterials gleichzeitig. Sie bleiben solange latent erhalten,
bis der Film erneut belichtet wird (z. B. bei
Doppelbelichtungen). Erst bei der Entwicklung des Filmmaterials werden
diese Bildinformationen als Negativ oder Diapositiv fixiert und können
archiviert werden. Von diesen Dias oder Negativen lassen sich dann die
allseits beliebten Papierabzüge herstellen. (vgl.
Riepl/Schweighofer 1997,
S. 19f.)
-
Bei
digitalen Kameras sind die
Funktionen Sensor und Speichermedium räumlich voneinander getrennt.
Eine hochempfindliche Sensorplatte oder Sensorleisten-Ebene
registriert die einlaufenden Lichtimpulse, die nach ihrer
Digitalisierung (Analog-digital-Wandlung) in einer Speichereinheit
(PC-Karte, Festplatte, CD-ROM, DVD) gespeichert werden. Der Sensor stellt einen lichtempfindlichen "Chip" dar, auf dem eine
bestimmte Anzahl lichtempfindlicher Dioden angebracht sind, die das
einfallende Licht in elektronische Signale "übersetzen". Sobald die
Kamera eingeschaltet wird, reagiert dieser Sensor auf Licht. Die
"Einzelsensoren des Chips bauen unterschiedliche Ladung auf, abhängig
von der Lichtmenge, die auf den Sensor trifft. Die Schaltkreise der
Kamera registrieren diese Unterschiede in der Ladung und ordnen sie
exakt den richtigen Punkten auf dem Chip zu. Diese Daten werden dann
ausgelesen und dann in Fotos verwandelt." (Sheppard
2003, S.14) Die Auflösung des Bildes, seine Konturenschärfe und Kontrastwiedergabe
sowie die Empfindlichkeit hängen mehr von der Beschaffenheit und
Qualität, der Größe und Form des Sensors ab als von der Güte des
Objektivs. Das vom Sensor registrierte Bild wird in der Regel in quadratische
Einzelpunkte (Pixel) zerlegt, wobei jeder einzelne Bildpunkt einzeln
angesprochen werden kann. Für jeden dieser Bildpunkte werden dabei
bestimmte Helligkeitswerte für die rot, grün und blau erscheinenden
Wellenlängenbereiche ermittelt. Die Speicherung der Bildinformationen erfolgt auf dem Speichermedium
in einer linearen Anordnung, "d. h. die einzelnen Werte werden wie in
einer Perlenkette aufgereiht." (Riepl/Schweighofer 1997,
S. 29)
Der
▪ Sehvorgang und die visuelle Wahrnehmung als solche
gestalten sich nach der Abbildung des Objekts auf der Netzhaut von
diesen Kameraprozessen grundlegend. Hier "machen die Signale nach ihrer
Entstehung in den Rezeptoren eine längere »Reise« von der
Netzhaut über das Corpus
geniculatum laterale bis hin zum visuellen Cortex, die in der Entstehung
einer bewussten Wahrnehmung einer Person enden kann." (
Goldstein 2002, S. 46)
Ferner
nimmt das Auge einzelne Bilder nicht einfach passiv auf, sondern exploriert, sofern wir wach sind, ständig
aktiv die Umwelt in
einer "raschen Abfolge von einzelnen Reizstichproben oder der Aufnahme
von Bewegung." (ebd.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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