»Francesco
Petrarca: Canzoniere. Zeno.org, Canzoniere in
deutscher Übersetzung (1827) von »Karl
August Förster
▪
Text: Sonnet. Aus dem Italienischen Petrarchae. (Canzoniere
132) (1624
▪
Aspekte der
Textanalyse und Interpretation
▪
Strophenform und
Versgestaltung
▪
Inhaltliche, bildliche
und rhetorische Aspekte
▪
Bausteine
▪
Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
▪
Liebe und Erotik im Barock
 »Francesco
Petrarca (1304-1374) hat die erste geschlossene Sammlung von
Liebesgedichten in einer modernen europäischen Sprache verfasst (vgl.
Maché
1982, S.126), die wahrscheinlich zwischen 1338 und 1369 entstanden sind.
Die immer wieder herausgestellte systemhafte Geschlossenheit dieser Dichtung
besteht vor allem darin, dass im "petrarkistischen System" (Niefanger
32012, S.119) eine Reihe von Motiven, Form- und Stilelementen
festgelegt sind. Hinzu kommt "der spielerische Charakter seiner Liebeslyrik"
(ebd.).
Der in der italienischen Nationalsprache verfasste Gedichtzyklus, der den
Titel »Canzoniere
trägt, umfasst insgesamt 366 Gedichte, von denen 317 ▪
Sonette sind.
In diesen Gedichten stellt Petrarca seine eigene, vielleicht aber auch nur
fiktive Liebe, zu Laura dar und seine Trauer über ihren Tod. Hinter dem
Namen Laura verbirgt sich vielleicht die
jungverheiratete, gerade 16 Jahre alte »Laura
de Noves (1310-1348), die Petrarca 1327 - wenn sie des denn tatsächlich
gewesen ist - während der Ostermesse in einer Kirche der südfranzösischen
Stadt Avignon gesehen hatte. Ob reale Laura oder nur fiktive Figur, in jedem
Falle machte er aus seiner Laura eine ideale Frauenfigur, mit deren Hilfe
sich "ein langsames und minuziöses Durchschreiten der verschiedenen Stadien
in der Psychologie der Liebenden" (Alonso
1974, S.109, zit. n.
Maché 1982,
S.126) vielfältig gestalten ließ.
Gedichte aus dem »Canzoniere
(ital. Sänger), der zunächst in Handschriften, nach Erfindung des
Buchdrucks dann 1470 erstmals gedruckt, aber erst seit 1521 wohl in einer
werktreuen Ausgabe vorlag, sind immer wieder »vertont
worden.
Es war vor allem das ▪
Sonett, man hat seine spezifische Form später auch Petrarca- oder
italienisches Sonett genannt, das er in stilistischer und rhetorischer
Perfektion für seine Liebeslyrik verwendet hat. Seine vierzehn Verse in
einem Oktett und einem Sextett bzw. in zwei Quartetten (ital. quartine,
Vierzeilern) und zwei Terzetten (ital. terzine, Dreizeilern) konnte er wie
kein anderer formal geschliffen und inhaltlich geschlossen, "eine
spezifische Gemütsstimmung einfangen oder eine bestimmte psychologische
Konstellation gestalten, die faszinierte und jahrhundertelang europäische
Dichter aller Nationen zu Nachahmung und möglichem Übertreffen anreizte." (Maché
1982, S.126) In der Art und Weise Petrarcas zu dichten, wurde in der
Folge eine "europäische Poesie-Mode" (Niefanger
32012, S.118) und Petrarca selbst "zum Musterautor für
Liebespoesie in vielen europäischen Volkssprachen" (Borgstedt
2007, S. 60)
Mit dem Begriff des ▪
Petrarkismus, der in einem weiteren Sinn "jede Übernahme von
sprachlichen oder motivischen Elementen" (ebd.)
aus seinem Canzoniere bezeichnet, hat die "programmatische
Nachahmung" (ebd.)
dieses Werkes im Sinne der frühneuzeitlichen Imitatio- und
"Überbietungspoetik" (Elit
2008. S.62), einen Namen gefunden. Wie Petrarca zu dichten und
"ungeniert" seine Gedichte zur Basis für eigene, mehr oder weniger
veränderte Gedichte zu nehmen, war kein "Aufreger", sondern übliche
Praxis in einer Zeit, in der man vom Urheberrecht, wie wir es heute kennen,
keine Vorstellung hatte.
Im
Grunde handelte es sich dem zeitgenössischen Verständnis nach, aber mit
modernen Worten ausgedrückt, um ein ästhetisch und inhaltlich legitimiertes,
frühneuzeitliches »"Mash
up" von Texten bzw. frei kombinierbaren Textmustern in Form
einer "intertextuellen" "Weiter"- bzw. Umdichtung.
Was dabei herauskam, war stets mit dem Anspruch einer "sprachlichen
Neuschöpfung" (Maché
1982, S.128) verbunden und durch diese neue "Schöpfungshöhe", wie wir
heute im Urheberrecht sagen, lizenziert. Gelang eine gute "Übertragung" oder
Um- und Weiterdichtung, dann war dies
eine Art »rühmlicher Diebstahl«
(»Georg
Philipp Harsdörffer,1607-1658) und ein angesehenes literarisches Vorbild
konnte dazu beitragen,
die eigene
Mutter- bzw. Nationalsprache zu »adeln«. (vgl. (Niefanger
32012, S.118)
Dennoch galt der Petrarkismus in Abgrenzung zu den Werken Petrarcas selbst
lange als "nicht-authentische, bloß artistische Modeerscheinung" (Borgstedt
2007, S. 60), weil sich die Kritik "meist auf gewisse »Auswüchse« des
petrarkistischen Vorbilds" (Maché
1982, S.126) fokussierte. Kritisiert wurde z. B., wenn die Abwesenheit
der Geliebten den Tod des Liebenden nach sich zog, wenn die herzlose
Unerweichlichkeit der Geliebten im Gegensatz zu ihrer die Sinne verwirrenden
Ausstrahlung stand, wenn Körperteile der Geliebten, z. B. Haare, Augen, Mund
und Brüste, geradezu angebetet wurden oder wenn bestimmte alltägliche Dinge
wie Ringe, Zahnstocher oder sogar Flöhe glorifiziert wurden. (vgl.
ebd.)
Die "antinomische Konfiguration Geliebte-Liebender" (Niefanger
32012, S.119 im Anschluss an
Hoffmeister
1972a,
1973), die man als das wichtigste Merkmal des petrarkistischen Systems
bezeichnet hat, ist, das muss eingeräumt werden, allerdings auch bestens für
solche Auswüchse geeignet.
Wenn "die geliebte Frau (...) so bezaubernd wie tyrannisch (ist)" und
"zugleich erotisch anziehend und abweisend, ja arrogant (wirkt)" (Niefanger
32012, S.119) und das Ganze mit "festgelegten Motive(n) und
Bildelemente(n) (...), mit denen Sehnsucht und Liebesschmerz ausgedrückt
werden" (ebd.)
gestaltet werden soll, dann läuft die Überbietungspoetik der Zeit natürlich
auch schnell Gefahr, sich in einen übertriebenen motivischen und
rhetorischen ▪ Manierismus hineinzusteigern und/oder formelhaft zu erstarren.
Als Beispiele dafür können etliche Gedichte von ▪
Christian Hofmann von Hofmannswaldau
(1616-1679), »Daniel
Caspar von Lohenstein (1635-1683), aber auch ▪
Hans Assmann von Abschatz'
(1656-1699) ▪ "Schertz-Gedichte"
(1703) sein.
In der Folge wird als Reaktion auf solche Entwicklungen, die petrarkistische
Lyrik immer wieder parodiert
und hat im
Antipetrarkismus
ihren kritisch-parodierenden Antipoden gefunden, der
zwar den stilistischen und rhetorischen Vorgaben des petrarkistischen
Systems folgte, zugleich aber z. B. dessen Liebes- und Schönheitsideal
umwertete, ohne dabei die "petrarkistische(n) Gegenstände in einem niederen,
spöttisch-derben Stil" burlesk-travestierend zu behandeln. (vgl.
Borgstedt 2007,
S. 59)
Petrarca-Übersetzungen und -umdichtungen
Auch die neulateinische
Gelehrtenliteratur versuchte bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts die
Modernität der neulateinischen Sprache dadurch unter Beweis zu stellen,
"dass sie die zeitgemäßen volkssprachlichen Formen wie Tragikomödie,
Romanzo oder Sonett lateinisch imitierten und assimilierten.'" (Aurnhammer
2006, S.189) Daher ist auch das Petrarca-Sonett neben seiner
Übertragung ins Englische, Spanische und Französische auch wahrscheinlich
mehr als fünfmal ins Neulateinische, und zwar sprachlich äußerst virtuos,
übersetzt worden. (vgl.
ebd., S.191)
Dementsprechend stand die Übersetzung, die Martin Opitz in die deutsche
Volkssprache vorgenommen hat, nicht nur in Konkurrenz mit Petrarca selbst,
sondern auch mit dem neulateinischen Petrarkismus. (vgl.
ebd., S.194)
Für ▪ Martin Opitz
(1597-1639), der sich für eine neue deutschsprachige "Kunstdichtung"
einsetzte, ging es darum, vor allem in ▪
Auseinandersetzung mit der
lateinischen Gelehrtendichtung, die Kunstfähigkeit der deutschen Sprache
unter Beweis zu stellen. Ein Weg, den er dabei beschritt, war die
Übersetzung der als vorbildlich in Motiven und Gestaltungen geltenden
lyrischen Werke von »Francesco
Petrarca (1304-1374). Dessen als ▪
Petrarkismus bezeichnete lyrische Formensprache mit ihren besonderen
Gestaltungsprinzipien wurde so zum Gradmesser der neuen humanistischen "Kunstdichtung"
in deutscher Sprache.
Übersetzungen allgemein anerkannter literarischer Vorbilder hatten einen
großen Anteil an der weiteren Literaturentwicklung im 17. Jahrhundert. Ohne
sie wären die antiken Dichtungen wohl ebenso wenig wie die
Renaissanceliteratur aus Italien und Frankreich in deutschen Landen kaum
bekannt geworden.
Zu Martin Opitz Verdiensten zählt auch, dass er mit einer Vielzahl von Übersetzungen aus dem
Italienischen und der Zusammenstellung von entsprechenden
Musterbeispielen nicht nur "den petrarkistischen Nachholbedarf in
Deutschland mildern", sondern "auch den neulateinischen
Petrarkismus überbieten" konnte. Sein Ziel war es damit "die Akzeptanz des Dichtens in der
Muttersprache unter den lateinischen Gelehrten zu verbessern." (ebd.,
S.193)
Dabei ging er an seine Übersetzungen offenbar stets mit dem zeittypischen Anspruch
heran, eine "sprachliche
Neuschöpfung" (Maché
1982, S.128) zustande zu bringen, die für sich genommen, nicht nur als
künstlerisch wertvolle Übersetzungsleistung, sondern als "genauso wertvoll
wie das Original" angesehen werden konnte. (vgl.
Niefanger
32012, S.118)
Dem "neuen" alten Werk wurde damit eine rundweg neue "Schöpfungshöhe", wie wir
heute im Urheberrecht sagen, zugestanden. Misst man diese soziale Praxis an
unserem modernen Verständnis von "geistigem Eigentum", zu dessen Schutz sich
heute unzählige Plagiatsjäger*innen mit ihren elektronischen Helfern berufen
sehen, um Plagiateur*innen im Internet und in den sozialen Netzwerken an den
Pranger zu stellen, muss dies sehr seltsam erscheinen.
In der frühen Neuzeit und im Barock, und auch noch darüber hinaus, war dies
aber gängige Praxis und eine gesellschaftlich akzeptierte Lizenzierung
"geistigen Diebstahls", um diesen Begriff trotz der Tatsache, dass er dazu
überhaupt nicht passt, zu verwenden. Gelang eine gute "Übertragung" oder Um-
und Weiterdichtung, dann war dies nämlich
eine Art »rühmlicher Diebstahl«
(»Georg
Philipp Harsdörffer,1607-1658) und ein angesehenes literarisches Vorbild
konnte dazu beitragen,
die eigene
Mutter- bzw. Nationalsprache zu »adeln«. (vgl.
ebd.)
Die teilweise transformierende Übersetzung des Mustersonetts von
Petrarca durch Martin Opitz
Auch ▪ Martin Opitz (1597-1639)
hat das Mustersonett des italienischen
Renaissance-Dichters nicht 1:1 und wortgetreu übersetzt, sondern sich
die Freiheit genommen, es leicht in Ausdruck und Gedankenführung
abzuändern. (vgl. u. a. Elit
2008. S.62, Genaues dabei bei z. B. bei
Aurnhammer
2006 ) Wie für andere Autoren auch war das für Opitz überhaupt
kein Problem, denn ein solches Vorgehen entsprach der schon erwähnten "Überbietungspoetik"
(ebd.) seiner
der Zeit und war für ihn daher wohl nur eine legitime Art der weiteren
Verbesserung des Gedichts.
Eine vergleichstextnahe Übersetzung der italienischen Vorlage von Petrarca
haben Geraldine Gabor-Dreyer(1959-2021( und »Ernst-Jürgen
Dreyer (1934-2011) (21989, S.393, zit. n.
Aurnhammer
2006, S.190, Anm. 3) angefertigt:
Ists Liebe nicht: was ists, was ich empfinde?
Ists Liebe - Gott, welch Ding? von welchem Schlage?
wenn gut: woher dann Tod und Trauertage?
wenn schlecht: woher dann jede Qual so Iinde?
Brenn ich mit Fleiß: hat dann die Klage Gründe?
wenn wider Willen, dann - was nützt die Klage?
lebendiger Tod, o angenehme Plage,
wieso vermögt ihr, was ich unterbinde?
Und stimm ich zu, ists Unrecht, daß ich klage!
Inmitten solcher Widerwinde finde
ich mich auf hohen Wogen ohne Steuer:
so leicht an Wissen, so beschwert mit Sünde,
daß ich, zu deuten was ich will, verzage:
im Sommer zitternd spür ich winters Feuer.
Ohne den Anspruch auf die letzte philologische Verlässlichkeit lässt sich
diese Übersetzung ohne Weiteres mit der von Opitz vergleichen, um
Unterschiede herauszuarbeiten.
Parodien und antipetrarkistische Umdichtungen
Wie sich der petrarkistische Diskurs im Verlauf des 17. Jahrhunderts
verändert hat, lässt sich, wie
Aurnhammer (2006,
S.197ff.) darstellt, an etlichen parodistische Nachahmungen und
Neuschöpfungen zeigen. Sie beziehen sich, auch wenn der eigentliche
Referenztext das originale Sonett Petrarcas ist, stets auf die übersetzte
Version der ▪ Francisci Petrarchae
von Martin Opitz.
Dieses Mustersonett, das offenbar vielen bekannt und von vielen
wiedererkannt werden konnte, motivierte verschiedene Dichter, "sich (...)
allgemein mit der Sonettform, dem spezifischen Sprachstil und dem
Liebesdiskurs des petrarkistischen Genres" (ebd.,
S.197) auseinanderzusetzen und mit ihren Parodien den "deutschen Petrarca"
nachzuahmen, zu kritisieren oder, im besten Fall, zu überbieten und dabei
den Gehalt zu verändern. (vgl.
ebd.). Man
hat dies auch als ▪
Antipetrarkismus bezeichnet,
Beispielhaft ist dafür auch ▪
Paul Flemings (1609-1640) Parodie
▪ Wie? ist die Liebe
nichts? auf das Mustersonett Francisci Petrarchae
( ▪
Sonnet. Aus dem Italienischen Petrarchae), das ▪ Martin Opitz
(1597-1639) der Nachwelt zur Nachahmung und zum Übertreffen mit
eigenen Umdichtungen in seiner Übersetzung/Umdichtung der Vorlage von »Francesco
Petrarca (1304-1374) anpries.
Auch das "Überzwerche Lob einer
schönen Dame", das
▪
Grimmelshausen (1622-1676) in seinem Roman ▪
Simplicissmus Teutsch
(1668) gestaltet hat, stellt dabei, allerdings in der oben
bezeichneten burlesk-travestierenden Art und Weise eines
spöttisch-derben Stils, eine Parodie des ▪
petrarkistischen Schönheitspreises dar (vgl.
Willems 2012,
Bd. I. S.235), ist aber i. e. S. keine antipetrarkistische Gestaltung,
die es ästhetisch mit einem bestimmten
Prätext aufnehmen und
diesen gar noch übertreffen will, sondern dient
satirischen Zwecken.
»Francesco
Petrarca: Canzoniere. Zeno.org, Canzoniere in
deutscher Übersetzung (1827) von »Karl
August Förster
▪
Text: Sonnet. Aus dem Italienischen Petrarchae. (Canzoniere
132) (1624
▪
Aspekte der
Textanalyse und Interpretation
▪
Strophenform und
Versgestaltung
▪
Inhaltliche, bildliche
und rhetorische Aspekte
▪
Bausteine
▪
Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
▪
Liebe und Erotik im Barock
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
22.03.2022
|