docx-Download - pdf-Download Der gewöhnliche Einwurf [...] der Gegner der
Französischen Revolution, dass man in Frankreich nur nach und nach hätte
reformieren sollen; da würde weniger Blut geflossen sein. Alle diese
Institute, die mit einer freien Regierung unvereinbar waren, nämlich die
adeligen, priesterlichen und gerichtlichen Aristokratien, hätten allmählich
verbessert und nicht auf einmal vertilgt werden sollen. Der Geist der
Freiheit würde stillschweigend in sie eingedrungen sein. Die fortschreitende
Weisheit einer aufgeklärten Nation würde mit Verlauf der Zeit ihren Mängeln
ohne eine Konvulsion abgeholfen haben usw. Auf diese Gründe [...] antworte
ich kühn, dass diese Institute die Freiheit vernichtet haben würden, ehe die
Freiheit ihrem Geiste eine bessere Richtung gegeben hätte. Die Gewalt
sprosst mit neuer Kraft hervor, wenn man sie zu vorsichtig beschneidet. Eine
kleine und langsame Reform hält das Volk hin und wiegt es in Schlaf. [...]
Noch nie war eine Verbesserung von Wichtigkeit in einer Periode der Ruhe
bewirkt. [...]
Der allmählichen Reform widerspricht die Erfahrung aller Jahrhundert. Alles
Vortreffliche, alles Freiheitsatmende, was man jetzt in den Regierungen
entdeckt, ist durch den Stoß einer Revolution hineingebracht worden. [...]
Politische Revolutionen sind nach meiner Überzeugung keineswegs auf den Fall
einer Regierung gegründet, sie haben ihre Quelle einzig und allein in der
menschlichen Natur. Sie führt mit sich die Kraft, deren Äußerungen solche
plötzlichen Wirkungen hervorbringen. [...]
Eine Revolution in der physischen Welt heißt die Rückkehr einer Erscheinung,
welche die Ursache aller vorhergegangenen war. In der Natur entsteht, lebt
und vergeht alles. Einen solchen Umlauf, der in ihrem Reiche geschieht,
nennt man Revolution.
Der gesellschaftliche Zustand der Menschen oder die Erscheinungen einer
politischen Welt scheinen ebensolchen Kreisläufen unterworfen zu sein, und
die Revolution, auf sie angewandt, kann dann nur einen Sinn haben, wenn wir
sagen: eine politische Revolution ist die Rückkehr eines Zustandes der
menschlichen Natur, der ihrem gesellschaftlichen vorgegangen. [...]
Es war der Besitz einer Freiheit der menschlichen Kräfte, die die
Haupttriebfedern seiner Tätigkeit enthielten; es war die uneingeschränkte
Äußerung der Sinnlichkeit, Vernunft und des Willens, die diesen Zustand
charakterisiert. [...]
Nie würde das menschliche Geschlecht wieder in den Besitz dieser Freiheit
gekommen sein, wenn die Natur nicht alle Kräfte aufgeboten, ihm wieder
solchen zu erobern. Und diese Begebenheiten verdienen einzig und allein mit
dem Namen Revolution gestempelt zu werden. [...]
Hier muss die Triebfeder überhaupt in einem Drucke gesucht werden, der die
menschliche Natur in ihrer Tätigkeit so hindert, dass es ihre Bedürfnis
wird, dem alten Zustande der Dinge oder ihrem bisherigen Verhältnisse
plötzlich zu entsagen. [...]
Eine politische Revolution, glaube ich, kann nur dann Bedürfnis werden, wenn
die Regierung ihr erlangtes Eigentum, worunter ich ihre über Freiheit des
Genusses, der Meinung und Handlung erlangte Herrschaft verstanden wissen
will, so verwaltet, dass sie es als ihr Eigentum betrachtet, oder wenn sie
auf Fortschritte, die Kultur, Industrie, Wissenschaften und Aufklärung in
ihrem Kreise macht, kein aufmerksames Auge hat und die Menschen die Fesseln
fühlen, die ihnen die Gesetze schaffen. [...]
Alle Erschütterungen, die die Gesellschaften heimsuchten und die jenen Zweck
augenscheinlich beförderten, nenne ich daher Revolutionen sowie den Trieb
der menschlichen Natur, denselben zu verfolgen, den revolutionären Geist.
[...]
Alle Revolutionen lassen sich nämlich auf folgende Ursachen zurückführen.
Die Regierung betrachtet den Staat als ihr Eigentum. Lästige Abgaben,
ungeheure Requisitionen von Seiten der Regierung zehren die Kräfte des
Staats auf, so dass das Volk bei allem Aufwande seiner Kräfte und aller
Mittel, die ihm Natur und Kunst darbieten, nie zum eigenen Genuss, noch
weniger lohnenden Ertrag kommen kann; oder sie sucht das allgemeine
Bedürfnis der Menschen, sich einen eigenen Kreis von Ideen zu schaffen,
durch eine hierarchische Gewalt zu hintertreiben; oder die Rechte des Volkes
nach ihrem Willen zu handhaben, insofern sie einen allgemeinen Missbrauch in
Aufteilung der Rechte und Privilegien veranlasst. [...]
Die aufgefundenen Ursachen aller Revolutionen veranlassen in uns die Idee,
dass sich alle Erscheinungen derselben einteilen lassen, in ökonomische,
religiöse und sittliche.
(in:
Garber, Jörn (Hg.) 1974
S.7-18, gekürzt)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
09.07.2021
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