Die Beschreibung nach Lämmert (1955)
Die
Erzählweise der
Beschreibung
besitzt nach
Lämmert
(1955) vier Merkmale:
-
Zuständlichkeit der erzählten Personen
-
Zuständlichkeit der erzählten Sachen
-
sehr nahe Perspektive
-
Herausnahme aus dem zeitlichen Verlauf der Erzählung
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Beispiel
»Siri Hustvedt (geb. 1955): »Der Sommer ohne Männer (2012)
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Siri Husvedt: Der Sommer ohne Männer (Roman, 2011)
In ihrem Roman "Sommer ohne Männer" übernimmt die Ich-Erzählerin
einen Lyrik-Kurs von sieben pubertierenden Mädchen. Sie ist, nachdem ihr
Mann sie nach über dreißig Jahren Ehe wegen einer Jüngeren verlassen
hat, für einige Zeit von New York aufs Land gezogen, "in das fiktive
Provinznest Bonden in Minnesota, wo sie aufgewachsen ist. Dort mietet
sie ein kleines Häuschen am Stadtrand, ganz in der Nähe der Mutter, die
nach dem Tod des Vaters in einer Wohnanlage für Senioren lebt." (Meike
Fessmann, Freudiges Wüten, in: Süddeutsche Zeitung, 23.3.2011) In
Bonden erlebt sie eine Zeit ohne Männer und kann sich von ihrer eigenen
Depression erholen, die sie nach der Trennung von ihrem Mann bis in die Psychiatrie gebracht hat.
Die Frauen, an deren größeren und kleineren Dramen sie sich aufrichten
kann, sind ihre neunzigjährige Mutter mit ihren betagten Freundinnen,
von Mia, der Ich-Erzählerin, insgeheim "die fünf Schwäne" genannt, eine
junge Familie nebenan und die sieben pubertierenden Mädchen, die sie
unterrichtet. Die Gruppe der Alten um ihre eigene Mutter herum wirken
alle skurril und sind, jede auf ihre Weise, "mit ihrem allmählichen
Verschwinden, mit Demenz und Tod beschäftigt" (Jörg
Magenau, Heiterkeit trotz trauriger Themen, in: Deutschlandfunkkultur
21.03.2011) "Was der Roman einen Sommer lang vorführt, ist eine Art
Erdungsprozess, dessen heilsame Wirkung die Erzählerin selbst am meisten
verblüfft." (Fressmann,
ebd.) Die Frauen, denen sie begegnet, geben ihr die Möglichkeit,
"über verschiedene Formen von Weiblichkeit und deren gesellschaftliche
Herausbildung nachzudenken" und dabei zu sehen, in welchem harten
Kontrast die Schwierigkeiten des Jungseins "zu denen des Alters und zum
ganz normalen weiblichen Alltag in der Provinz. Mia begreift allmählich,
dass es ihr trotz der Trennung von Boris eigentlich ganz gut geht. Die
Heiterkeit, die der Text trotz der eher traurigen Themen wie Einsamkeit,
Alter, Vergänglichkeit ausstrahlt, spricht dafür. 'Alt werden ist
schön', sagt die Mutter. 'Das einzige Problem ist, dass dein Körper in
die Binsen geht.'"
Magenau,
ebd.)
Als Mia erstmals die sieben pubertierenden Mädchen vor sich hat, die sie
künftig im Schreiben und in Lyrik unterrichten wird, lassen die
charakterisierenden Beschreibungen der Mädchen erkennen, dass ihre
Erscheinung auf den Hintergrund der Vorstellungen der Ich-Erzählerin
über weibliche Biographien fällt.
"Als ich von meinem Pult aus auf
meine Schülerinnen blickte, wurde ich ruhiger. Sie waren wirklich
Kinder. Sofort setzte sich die groteske, aber ergreifende Realität von
halbwüchsigen Mädchen durch, und meine Sympathie für sie schnürte mir
fast die Kehle zu. Peyton Berg, etliche Zentimeter größer als ich, sehr
dünn und flachbrüstig, ordnete ihre Arme und Beine, als wären es fremde
Glieder. Jessica Lorquat war winzig, hatte aber den Körper einer Frau.
Ein unechtes Fluidum von Weiblichkeit umgab sie, das hauptsächlich in
einer Affektiertheit zum Ausdruck kam - der gurrenden Babystimme. Ashley
Larsen, glattes braunes Haar, leicht vorstehende Augen, ging und saß mit
dem selbstbewussten Auftreten, das sich mit einer neu erworbenen
erogenen Zone einstellt - sie streckte den Oberkörper vor, um knospende
Brüste zur Schau zu stellen. Emma Hartley zog sich scheu lächelnd hinter
einen Schleier aus blondem Haar zurück. Nikki Borud und Joan Kavacek,
beide mollig und laut, schienen als Tandem zu funktionieren, als eine
einzige kichernde, herumtänzelnde Person. Alice Wright, hübsch, große
Zähne mit Brackets, las, als ich hereinkam, und las still weiter, bis
die Stunde anfing. Als sie das Buch zuklappte, sah ich, dass es Jane
Eyre war, und verspürte einen Moment lang Neid, den Neid auf das
erste Entdecken." (aus: Siri Hustvedt, Der Sommer ohne Männer, übersetzt
von Uli Aumüller Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 2011, S.41)
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Weitere Formen des Erzählerberichts nach Lämmert
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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