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Domina und Kluminator

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Domina und Kluminator
Heidi Klums totalitäres Konzept in Germany's Next Topmodell

Heidi Klums Topmodelsuche, Germany's Next Topmodel by Heidi Klum, wie es richtig heißt, geht im Jahr 2023 auf dem Sender ProSieben in die 19. Runde. Bei jeder Neuauflage zieht die Sendung Kritiker und Kritikerinnen an, die Dramaturgie, Frauen- und Menschenbild seiner Macher einer herben Schelte unterziehen. Was dabei kritisiert wird, spielt sich auch in anderen Reality-Soaps vom Typ des so genannten "performativen Realitätsfernsehens" (Keppler 1994), "die  sich auf die eine oder andere Weise Lebenshilfe und Lebensberatung auf die Fahnen geschrieben haben." (Keppler 2010 S.124) Denn allen hätten sich vorgenommen, zu diesem Thema möglichst populäre Unterhaltung zu produzieren. Das Format stellt, so Angela Keppler (2010, S.116), "eine Bühne für nichtalltägliche Inszenierungen unter Beteiligung alltäglicher Menschen bereit, die deren alltägliches Selbstverständnis sehr unterschiedlichen Prüfungen unterziehen."

Heidi Klums Kandidatinnen agieren in einem solchen sozialen Setting, das ihnen für eine bestimmte Zeitdauer ungewöhnliche und extreme Belastungen auferlegt. Die Attraktivität der Sendung geht nicht zuletzt von den in diesem Setting angelegten Spannungen zwischen den Kandidatinnen aus, die um die Verheißung einer internationalen Topmodelkarriere miteinander konkurrieren. Dementsprechend gehören, so Kepler (ebd.) "Melodramatik, Streit, Neid, Rivalität sowie Versöhnung und Verbrüderung" zu den zentralen dramaturgischen Elementen des Formats. Die dabei vorgeführten Dramen blieben zwar ein Spiel, seien aber auch immer mehr als das. So würden vor den Augen der Zuschauer realitätsnahe (oder wenigstens so erscheinende) Lebensmöglichkeiten durchgespielt, die den Zuschauern eine Gelegenheiten böten, sich ihre eigenen Lebensmöglichkeiten vor Augen zu führen und damit auch ihr eigenes Selbstverständnis, stillschweigend und ohne großen Reflexionsaufwand zu variieren.  (ebd., S.124)

Als weiteres Merkmal kommt bei den Reality-Soaps, ähnlich wie bei den Soap-Operas, den fiktiven Fernsehserien, eine "klare serielle Struktur" hinzu, bei der die voneinander abgegrenzten Einheiten miteinander so verknüpft werden, dass die Zuschauer "aus den vergangenen Folgen Wissen akkumulieren und mit der Erwartung leben, dass das Geschehen in die Zukunft noch verlängert wird" (Faulstich 2008, S.8, zit. n. ebd.)

Die Sendung gibt dabei kein in "Echtzeit" verlaufendes Geschehen wieder. Stattdessen handelt es sich um "eine hochartifizielle Montage von Szenen, die stets nach dem Prinzip der Zuspitzung" aufgebaut ist. (Keppler (2010, S.117) Dabei sollen Stereotype, wie sie in allen Reality-Formaten Verwendung finden, auch in GNTM Identifikationsmöglichkeiten schaffen.

Nach Jahren steigenden Publikumsinteresses von 3,02 Mio. Zuschauer im Jahr 2006 bis zu 3,83 Mio. im Jahr 2009 ist  das Publikumsinteresse im Jahr 2022 auf 2,06 Mio. gesunken. Nach Zeiten eines deutlich sinkenden Marktanteils unter den 14 bis 49-Jährigen (Tiefstmarke 2015: 14,7%) hat der Anteil in den letzten Jahren allerdings wieder zugenommen und lag 2022 bei knapp unter 20 Prozent (19,8%) (vgl. Wikipedia)

Solange erkleckliche Werbeeinnahmen fließen, darf der "Kluminator", wie sich Heidi Klum mitunter selbst bezeichnet hat, also weitermachen. Längst hat GNTM, wie die Insider sagen, dabei auch die sozialen Netzwerke für sich gekapert. Mit fast einer Million Followern (Stand: Dezember 2022) auf Instagram und dem eigenen YouTube-Kanal mit seinen 3.320 Videos und 849.000 Abonnenten (Stand: Dezember 2022) ist GNTM bei jungen Mädchen weiterhin sehr angesagt.

Dabei wird das Konzept der Sendung immer wieder einmal weiterentwickelt, um irgendwie Anschluss an den gesellschaftlichen Geschlechterdiskurs zu halten. So wurden immer wieder die Castingvoraussetzungen verändert und ab 2024 sollen nicht mehr ausschließlich Frauen an den Start gehen dürfen. Es spiele für die Bewerbung »keine Rolle, welchem Geschlecht sich die Bewerber:innen zugehörig fühlen«. Was gut für ihr Geschäft ist, setzt kaum jemand anderer so konsequent um. Mit ihrer eigenen Tochter Leni posierte sie 2023 in verführerischen Dessous auf großflächigen Plakaten und gab dabei zu verstehen, dass sie auch weiterhin an ihrer Linie festhält.

Was die bildhübschen jungen Frauen erwartet, hat Meike Laaf schon vor Jahren in ihrem Artikel "Die Gleichschaltung der Gesichter" in der tageszeitung (taz) vom 3.3.2011 wie folgt auf den Punkt gebracht:
"Die Klum wird ihren Kandidatinnen in einer Woche vorwerfen, ihnen fehle die richtige Einstellung. Wird Kandidatinnen eine letzte Chance einräumen, wenn sie endlich mal aus sich rauskommen, ihr wahres Gesicht zeigen. Und sie in der nächsten Woche trotzdem rauswerfen, weil sie einfach zu langweilig sind oder ihnen einfach das stets einsetzbare 'gewisse Etwas‘ oder die 'Persönlichkeit‘ fehlt. Zu aufgedreht, zu introvertiert. Zu unkontrolliert, zu brav, zu unnatürlich, zu maskulin, zu erotisch, zu süß, zu wenig wandelbar – jede Woche erfinden Führerin Klum und ihr Jurygefolge neue Kritikpunkte."

"Die Mädchen dürfen sich nie zu sicher fühlen", verkündet die selbsternannte "Domina vom Dienst", wie die geschäftstüchtige Powerfrau Klum von Hans Hoff in der Süddeutschen Zeitung vom 3.3.2011 bezeichnet wird. Die jungen Frauen sollen auf ihren stets nur verheißenen, aber bisher für keine der zur Siegerin gekürten Mädchen Realität gewordenen internationalen Topmodelruhm alles tun, verlangt ist völlige Unterwerfung.

Heulen und Zähneknirschen, die öffentliche Zurschaustellung und das Anprangern der Verlierer gehören dabei genauso zum Repertoire der plumpen Inszenierung menschlicher Leidenschaften und Gefühle, wie die den geskripteten Dokusoaps entlehnten Stilmittel der Verlangsamung, Verkürzung und Verdichtung, mit denen der bewusst geförderte und inszenierte Zickenkrieg in einer Art Endlosschleife präsentiert wird.

Für Laaf ist die psychologische Kriegsführung, denen die Kandidatinnen ausgesetzt sind, denn auch "purer Terror", denn "welche Kandidatin in welcher Woche niedergemacht wird, ist vollkommen willkürlich – klar ist nur, dass jedes Mädchen, eins nach dem anderen, irgendwann heulend vor der Jury stehen muss und sich in der Woche danach heulend unterwirft. Und: besonders starke Charaktere müssen zuerst gebrochen und gleichgeschaltet werden. Bis zum Negieren von Solidarität untereinander und zur völligen Aufgabe von Selbsterhaltungstrieb und Schamgefühl."
Die kritische Betrachtung der Journalistin der taz gipfelt denn auch darin, die totalitären Strukturen der Casting-Show herauszuarbeiten. Wenn sich Regeln ständig veränderten, eine unfehlbare Führerin und eine gebrochene und atomisierte Gefolgschaft in einer solchen Weise zusammenwirkten und zugleich ein "Lügenkonstrukt", " man könnte durch Gewinnen der Show tatsächlich ein international gefeiertes Model werden" dazukomme, dann seien wesentliche Aspekte einer totalitären Bewegung erfüllt, wie sie die Philosophin Hannah Arendt in ihrer 1.000-seitigen Abhandlung über totale Herrschaft beschrieben habe.

Natürlich weiß Heidi Klum "mit ihrem penetranten Plastikfröhlichkeitscharme" (Laaf) wie das Geschäft mit der (Eigen-)Werbung läuft. So ist auch Kritik, die an ihren Sendungen in Deutschland und den USA immer wieder laut wird, wie Hans Hoff betont, "von vornherein eingeplant". Denn, so fährt er fort, "gäbe es die Proteste nicht, würde nicht immer wieder jemand aufstehen und das, was bei GNTM passiert, erregt problematisieren, wäre die Show wohl nach Staffel drei beendet gewesen. Das hätte sich dann möglicherweise auf Klums Markenwert ausgewirkt".

Und an diesem Markenwert der selbsternannten "Königin der Modelwelt" (Schneeberger) arbeiten auch die anderen Jurymitglieder eifrig mit, indem sie mit gegensätzlichen Statements den Kandidatinnen stets die letzte Hoffnung rauben, sie könnten sich mit dem Befolgen eines bestimmten Ratschlages Vorteile gegenüber den Mitkonkurrentinnen verschaffen. Solche "Doppelstrukturen und ungeklärten Hierarchieverhältnisse" seien es, die "das Klum-Imperium aufrechterhalten", erklärt Laaf und ergänzt: "Mit dieser Strategie stabilisierten zumindest Hitler und Stalin ihre Bewegungen, sagt Arendt."

Noch immer scheinen die letzten Tage von GNTM nicht angebrochen. So werden die Dominasprüche der "Mutter des Hochleistungslaufens" (Stöhr) weiterhin über den Bildschirm flimmern und von einer Mehrheit von Mädchen und jungen Frauen konsumiert werden, die im Vergleich zu allen anderen Mädchen um ein Vielfaches glauben, zu dick zu sein. Über das totalitäre Konzept Klums kann dabei auch nicht hinwegtäuschen, dass seit 2018  auch sogenannte Plus-Size-Models, also Frauen mit größeren Konfektionsgrößen, an der Show teilnehmen und 2021 eine "Plus-Size"-Teilnehmerin sogar den 2. Platz im Wettbewerb erreicht und 2023 sogar zur Siegerin gekürt wurde.

Für die Philosophin Rebekka Reinhard "(sind) die so genannten Topmodels (...) ein Symptom unserer narzisstischen Kultur, in der der Schein das Sein, die Geste den Geist, die Form den Inhalt immer mehr verdrängt.“ Jedenfalls seien die Teilnehmerinnen der Show "keine moralischen Vorbilder, sondern Zicken“ und die Sendung würde das Bild vermitteln, dass der Sinn des Lebens darin bestünde „das eigene Ich permanent und penetrant in den Mittelpunkt zu rücken, es erst zur Marke und dann zum Bestseller zu machen." (zit. n. »Wikipedia)

(Quellen: Hans Hoff, Man stürzt nicht nur einmal. Scheitern ist bei Castingshows wichtig – vor allem, wenn es um die Schönheit junger Frauen geht, in: Süddeutsche Zeitung, 3.3.2011; Meike Laaf: Die Gleichschaltung der Gesichter. GERMANY’S NEXT TOPMODEL Was passiert, wenn man mit der Hannah-Arendt-Kanone auf einen Spatzen wie Heidi Klum schießt? in: die tageszeitung 3.3.2011; Mark Stöhr: Und da laufen Heidis Mädchen wieder, stern.de, 4.3.11) Ruth Schneeberger: "Alles, was man nicht sehen will. TV-Kritik, 4.3.11")

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Gert Egle 2011, zuletzt neu bearbeitet am: 30.12.2023

   
  Arbeitsanregungen zur Texterörterung
:
  1. Geben Sie den Text in Form einer strukturierten Textwiedergabe wieder.

  2. Setzen Sie sich mit dem Text kritisch auseinander.

   Weitere Arbeitsanregungen:

  1. Diskutieren Sie in Ihrer Lerngruppe: Was halten Sie von dem Fernsehformat "Germany's Next Topmodel"?

  2. Suchen Sie drei Thesen heraus, zu denen Sie Ihre eigene Argumentation nach dem allgemeinen Argumentationsschema zur erweiterten Argumentation entwickeln und notieren.

  3. Verfassen Sie einen kommentierenden Leserbrief zu dem Text.

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