Schreiben ist eine besondere Form von Verhalten
Der Linguist Hanspeter
Ortner (2000)
hat eine Typologie von zehn
Schreibstrategien entwickelt, die er
aber weniger in entsprechenden starren Verhaltenstypen als in
Verhaltensstrategien beim Schreiben von Texten repräsentiert sieht.
(vgl.
Girgensohn/Sennewald 2012, S. 39) Dessen ungeachtet hat er selbst
bestimmte Schreibtypen in seinen Untersuchungen identifiziert und als
solche auch bezeichnet.
Ortner (2000,
S.346ff.) gewinnt seine Schreibstrategien aus ca. 6.000 Selbstzeugnissen von
Schriftstellern (Tagebücher, Interviews, Brief usw.), die Aufschluss
darüber gehen, wie sie bei der Produktion ihrer im Allgemeinen fiktionalen
Texte vorgehen.
Schreibstrategien sind personengebunden
Da Schreibstrategien personengebunden sind, gehen z.B. Schülerinnen und Schüler zur
Bewältigung einer Schreibaufgabe mit unterschiedlichen Schreibstrategien
vor. Dies führt dann, wenn die gestellten Schreibaufgaben der jeweiligen
Vorgehensweise entgegenkommen, im Allgemeinen zum Erfolg. Wo dies
hingegen nicht der Fall ist, resultiert "ein Scheitern beim Schreiben
häufig aus der fehlenden Bindung zwischen Aufgabe und Strategie." (Baurmann
2002/2008, S.78) Die schreibdidaktische Herausforderung besteht in diesem Fall darin,
"beim Schreiben in der Schule für eine möglichst glatte Passung zu
sorgen" (ebd.) und in einem
schreiber-differenzierten
Unterricht das Repertoire erprobter Vorgehensweisen durch das
Erlernen weiterer, mit bestimmten Schreibaufgaben verbundener
Schreibstrategien zu erweitern.
Schreibstrategien sind Konstrukte mit hypothetischem Charakter
Die von Ortner (2000) gewonnenen Verhaltensstrategien bzw.
Schreibstrategien haben dabei, wie bei den meisten anderen Konzepten
dieser Art hypothetischen Charakter und sind nicht durch empirische Untersuchungen
quantitativ belegt. Insofern ist, auch wenn die Leistung Ortners
unbestritten ist, keineswegs bewiesen, ob seine zehn Schreibstrategien
generell auf die Produktion von Texten aller Art angewendet werden kann.
Vermutlich wäre dies auch nicht im Sinne Ortners, der in seinen
Verhaltensstrategien "keine angeborenen Schreibstrategien, sondern von
einzelnen Personen erprobte und bewährte Verfahren zur Bewältigung von
Schreibaufgaben" sieht. (Girgensohn/Sennewald
2012, S. 39) Und wenn Ortner von bestimmten Typen spricht, dann
meint er eben "Schreibende, die sich besonders häufig einer Strategie
entsprechend verhalten." (ebd.)
Die Wirklichkeit des Schreibens
sieht bei den allermeisten Menschen eben nicht so aus, dass sie
dabei nur einer einzigen Strategie folgen. Stattdessen werden
Strategien, wenn sie nicht übermäßig
starr
und schematisch mit der Gefahr von Schreibblockaden
verwendet werden, miteinander kombiniert. Und der flexible Umgang
mit den Schreibstrategien gehört zur allgemeinen
Schreibkompetenz Für Schule und Unterricht gehört es zu den schreibdidaktischen
Herausforderungen, den Schülerinnen und Schülern ohne normativen
Schematismus das
deklarative und
prozedurale Wissen um unterschiedliche Verhaltensstrategien bei der
Textproduktion zu vermitteln.
Ortner unterscheidet zwei grundlegende Strategien:
Bei dieser Schreibstrategie wird der Text ohne längeres Nachdenken
niedergeschrieben. Der Schreibprozess selbst wird dabei nicht in
einzelne Schritte zerlegt. So ist das Schreiben in einem einphasigen
Prozess eine Ad-hoc-Gestaltung, bei der das additive Nebeneinander, eine
kontinuierliche und schnelle Textproduktion ermöglicht. Diese
Schreibstrategie bestimmte lange Zeit den traditionellen Schulaufsatz,
bei dem das "an Vorgaben des Lehrers gebundene Schreiben in einem Zug"
am Ende zu einem abgeschlossenen Text führen sollte. (vgl.
Fix 2006/2008,
S.133)
Zerlegendes Schreiben
Die Schreibstrategien, die beim zerlegenden Schreiben zum Zuge
kommen, können nach
Ortner (2000,
S.346ff.) in zwei Grundtypen eingeteilt werden:
-
Beim
aktivitätszerlegenden Schreiben werden vom Schreiber
Stichwortlisten, Gliederungsentwürfe, Konzeptfassungen bis zu
vollständigen Textentwürfen als Vorfassungen des Textprodukts
angefertigt und, mitunter mehrfach, überarbeitet. Zu den Schreibern,
die dieser Strategie folgen, gehören
-
Beim
produktzerlegenden Schreiben werden vom Schreiber bis
hin zu einer Art Puzzle-Prinzip einzelne Textteile verfasst (z.B.
Schluss, dann Hauptteil und erst am Ende die Einleitung), die erst
hinterher zusammengesetzt werden. Dazu gehört auch ein Vorgehen, Zu
den Schreibern, die dieser Strategie folgen, gehören:
"Universal sind die Möglichkeiten. Individuell ist die Nutzung." (Ortner
2000, S. 565, Hervorh. d. Verf., vgl.
Baurmann
2002/2008, S.78f.)
Übersicht über Schreibstrategien ihre Merkmale und
schreibdidaktische Bedeutung
Nicht-zerlegendes Schreiben |
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Einen Text zu einer Idee
schreiben |
-
Textproduktion geht von einem
Thema, Idee oder Vorstellung aus; in der Aufsatzdidaktik im
Allgemeinen erste Schreibstrategie, die Schülern beigebracht
wird.
-
Schreibdidaktische Bedeutung: traditioneller
Schulaufsatz zu einem Thema
|
Mehrversionen oder
Neuversionen schreiben |
-
Zu einem bestimmten
Schreibimpuls bzw. einer Idee werden verschiedene
Textvarianten verfasst.
-
Schreibdidaktische Bedeutung: Neufassung schreiben,
statt einen Text in mühevoller Kleinarbeit zu
überarbeiten
|
Versionen redigieren |
|
Planendes Schreiben |
-
Ein "Schreibplan", z.B. ein
Gliederungsentwurf, wird erstellt: Dieser leitet den
Schreibprozess bis zum Ende der Textproduktion;
-
Schreibdidaktische Bedeutung: Verfassen eines Textes auf
der Grundlage einer Gliederung oder mit Hilfe von andren
Hilfen zur Entlastung wie z. B. Vorgaben zur Situation,
Bildimpulse etc.)
|
Aus dem Kopf
niederschreiben |
|
Schritt für Schritt
schreiben |
-
Die Textproduktion wird der Produktionslogik
folgend so in Schritte zerlegt, dass ein Schritt auf den
anderen folgt, z. B. Sichtung des Stoffes, Recherchieren,
Konzipieren, Gliedern und Formulieren etc.; systematisches
Hintereinander;
-
Schreibdidaktische Bedeutung: Detaillierte Anleitungen
für umfangreichere Schreibvorhaben wie z. B. Projekte,
Referate, Facharbeiten
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Working by Chaos -
Synkretistisches Schreiben |
-
Schrittwechsler; Beim Schreiben
fängt man immer wieder mit neuen Textteilen an und lässt
dafür alte liegen; Verknüpfung der Textteile miteinander;
unsystematisches Hintereinander;
-
Schreibdidaktische Bedeutung: schulisches Schreiben
meist dafür nicht geeignet; am ehesten möglich beim
Schreiben nach
Clustering
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Textteile schreiben |
-
Statt in der späteren
Reihenfolge der Textteile zu schreiben, werden Textteile
ganz unabhängig davon verfasst (z. B. erst Hauptteil, dann
Schluss und schließlich die Einleitung)
-
Schreibdidaktische Bedeutung: Formen des
kooperativen Schreibens; kollaborative Textproduktion am PC,
Schreibateliers,
|
Schreiben nach dem
Puzzle-Prinzip |
-
extrem
produktzerlegendes Schreiben
in einer Art Puzzle-Prinzip; Textproduktion ohne Überblick und vorherige Gliederung;
Risiko, dass ein Text nicht beendet wird, weil das Ende der
Textproduktion häufig nicht feststeht
-
Schreibdidaktische Bedeutung: Verfassen eines schlüssig
zusammenhängenden (kohärenten) Textes am PC, der u. a.
auch auf Recherchen im Internet beruht
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.07.2020
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