Es
gelingt uns nicht immer im Zuge der
visuellen Wahrnehmung, die Dinge "richtig"
wahrzunehmen. Nicht immer können wir uns darauf verlassen, dass das, was
im Auge auf der
Netzhaut landet (proximaler Reiz) auch physikalisch "richtig"
interpretiert wird. Unsere Wahrnehmung kann in Schwierigkeiten kommen,
wenn Reize mehrdeutig sind und unsere Sinne lassen sich durchaus täuschen. Was sich beim Spiel mit optischen Täuschungen auf dem Papier schnell
demonstrieren lässt, findet sich aber auch im Alltagshandeln der Menschen
wieder. Wir glauben, dass uns in einer sternenklaren Nacht der
Mond folgt,
obgleich wir wissen, dass dies nicht der Fall ist. Bedingt durch die große
Entfernung zwischen Erde und Mond sind die vom Mond zur Erde reflektierten
Lichtstrahlen dann, wenn sie auf die Erde treffen, so weitgehend parallel,
dass sie uns vorkommen, als seien sie quasi zu unserer Bewegungsrichtung im senkrechten
Lot, ganz gleich, wohin wir uns auch fortbewegen. (vgl.
Zimbardo/Gerrig
(2004, S. 163f.)
Wohnungsdesigner wissen,
dass kleine Räume größer wirken, wenn sie hell gestrichen sind, und bei
der Kleiderwahl weiß jeder, der Gewichtsprobleme hat, dass Querstreifen
dick und Längsstreifen dünn machen.
Aber was uns bei alledem
alltagspsychologisch irritiert, ist, dass uns unsere Wahrnehmung eben
nicht wie ein physikalisches Messinstrument über die Werte physikalischer
Größen unterrichtet. Gleichwohl ist es vergleichsweise einfach erklären.
Unser
Gehirn ist eben nicht dafür ausgestattet, den Wahrnehmungsprozess selbst
zu betrachten. Und aus diesem Grunde entzieht sich eben unserer
Wahrnehmung, dass zwischen der
▪
Stufe der perzeptuellen Organisation und
Strukturierung und der
▪
Stufe der Identifikation und Wiedererkennung ein
Unterschied besteht. Infolgedessen können wir "nicht zwischen der Leistung des
Wahrnehmungssystems und den höheren kognitiven Subsystemen, die von ihm
Gebrauch machen", unterscheiden. (Mausfeld
2005,
online, 12.07.06)
Unsere
alltagspsychologische "Messinstrumentkonzeption
der Wahrnehmung" (Mausfeld) verführt uns bei den so genannten
▪
Wahrnehmungstäuschungen (nicht
zu verwechseln mit dem Begriff optische Täuschungen) dazu, die Diskrepanz
zwischen dem Wahrnehmungseindruck und der physikalischen Realität den
Sinnen anzulasten, wenn wir sie einfach als Sinnestäuschungen bezeichnen.
In Wahrheit freilich, so hat schon Hermann von Helmholtz Mitte des 19.
Jahrhunderts festgestellt, täuscht sich das Sinnesorgan nämlich dabei
nicht, sondern "wir täuschen uns im Verständnis der Sinnesempfindung."
(Helmholtz 1855/1896, zit. n.:
Mausfeld
2005,
online, 12.07.06)
Perzeptuelle Mehrdeutigkeiten
Die so genannten
▪
Umspring- bzw.
Kippbilder, die ja auf der
▪
Netzhaut ein bestimmtes Abbild (proximaler
Reiz) erzeugen, werden mal so, mal so gesehen.
So kann man im Falle der
▪ Rubin'schen Vase einmal eine Vase und ein ander Mal zwei Gesichter sehen.
Aber, und das ist das Entscheidende: Man kann nur entweder das eine oder
das andere sehen. Beides zugleich zu sehen, funktioniert nicht. Unsere
Wahrnehmung alterniert dabei stets zwischen verschiedenen, aber gleich
wahrscheinlichen Lösungen. Was am Ende wahrgenommen wird, hängt davon ab,
"wie und nach welchen Kriterien das Sehsystem die Gruppierung von
Merkmalen zu kohärenten Figuren vornimmt und welche Lösungen dieser
vorbewusst ablaufende Gruppierungsprozess anbietet." (Singer
1997, S.43)
Solche
perzeptuellen Mehrdeutigkeiten
sind für viele solcher Abbildungen nachzuweisen.
Dass
uns solche Mehrdeutigkeiten im Alltag nicht mehr zu schaffen machen, liegt
daran, dass wir sie durch den Kontext, die Umgebung, in der sie sich
befinden, meistens eindeutig identifizieren können. Diese Umgebung
beeinflusst damit natürlich auch die Wahrnehmung. Denn, wird einem
Betrachter der Rubin'schen Abbildung sprachlich mitgeteilt, es handle sich
um zwei gegeneinander gerichtete Gesichts-Profile, wird er daher zunächst
seine Wahrnehmung an dieser Wahrnehmungshypothese (▪
perzeptuelle
Strukturierung) orientieren. Wird ihm dagegen gesagt, es handele sich um
eine schwarze Vase vor weißem Hintergrund, dann wird er seine Wahrnehmung
so strukturieren, dass er nach Anhaltspunkten sucht, die diese
Wahrnehmungshypothese bestätigen können.
Es
gibt aber auch Wahrnehmungen, die wirklich falsch sind. Solche Wahrnehmungstäuschungen
funktionieren bei allen Menschen gleichermaßen, sofern ihre
Wahrnehmungssituation übereinstimmt. Für solche "optischen" Täuschungen
gibt es eine ganze Reihe von Beispielen. Einige sind seit der Mitte des
19. Jahrhunderts bekannt, andere wurden später erfunden. Was im Alltag
beim Spiel mit optischen Täuschungen meist verwunderlich oder gar "witzig"
empfunden wird, ist unter wahrnehmungspsychologischer Perspektive
Musterbeispiel für die Unterscheidung von
▪
sensorischen Prozessen,
▪
perzeptueller Strukturierung und
▪
Identifikation.
Ein Beispiel dafür ist die so genannte
▪
Müller-Lyer-Täuschung, die auch dann funktioniert, wenn wir
wissen, dass uns unsere Wahrnehmung getäuscht hat. Wir nehmen nämlich alle
gleichermaßen wahr, dass die Linien im Vergleich miteinander
unterschiedlich lang sind, und erst das Nachmessen fördert das Gegenteil
zu tage. Das ändert auch die Tatsache nicht, dass wir wissen, dass die
Linien stets gleich lang sind. (vgl.
Zimbardo/Gerrig
(2004, S. 163f.)
Zur Erklärung dieses Phänomens hat die Wissenschaft verschiedene Ansätze
entwickelt. So hat man es auf eine
▪Fehlwirkung der Größenkonstanz
zurückgeführt.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.03.2024
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