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Absolutismus und Aufklärung (ca.
1650–1789)
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Entstehung des frühmodernen Territorialstaates im
Absolutismus
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Überblick
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Die Rolle der territorialen
Konfessionskirchen
Die ▪ Entstehung des frühmodernen
Territorialstaates im 17. Jahrhundert mit einer in
einer obersten Gewalt konzentrierten Staatlichkeit erfolgte im Kern über
zwei Entwicklungsprozesse.
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Zum einen musste sich
eine staatliche Zentral- und Lokalverwaltung entwickeln, "die getragen
wurde von den Fürsten als den Inhabern jener Staatsgewalt verpflichteten
Beamtenschaft mit umfassender Regierungs- und Verwaltungskompetenz". (Schilling
1987, S.153)
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Zum anderen mussten
alle anderen Personen und Institutionen, die traditionell
(herrschaftliche bzw. staatliche) Gewalt ausübten, ausgeschaltet werden.
Der Vorgang, wie die Stände in den entstehenden einheitlichen
Untertanenverband nach und nach eingebunden wurden, wird als
Mediatisierung bezeichnet.
Allerdings vollzog sich
die Entwicklung zum modernen Staat nicht in Europa und in
Deutschland nicht überall gleich. Denn stets gab es neben der
landesherrlichen, auf dem Territorium beruhenden
monarchisch-fürstlichen, auch noch personenverbandlich-feudale
Strukturen und auch republikanische Traditionen, wie z. B. in der
Republik in den nördlichen Niederlanden, "die über ein Jahrhundert lang
von ihren royalen Nachbarn bewundert wurde und deren Wirtschaftserfolge
man eifrigst kopierte. " (Schiilling
2014, S.178)
Und auch in deutschen
Reichstädten, aber auch Nicht-Reichsstädten wie in Magdeburg entwickelte
sich eine besondere historisch-politische Kultur des Stadtbürgertums, der
ein eigenes Politikverständnis zugrunde lag. Man spricht in diesem
Zusammenhang von Stadtrepublikanismus.Dieser
konnte mehr oder weniger stark ausgeprägt sein.
Darunter versteht man "eine
besondere, vor allem in den Städten Italiens und des Reiches anzutreffende
Verfassung, oder besser gesagt, historisch-politische Kultur des
alteuropäischen Stadtbürgertums, die auf bestimmten Maximen und Normen
städtisch-bürgerlichen Zusammenlebens sowie des Regiments und der Politik im
weitesten Sinne beruhte." (ebd.,S.179)
Dort, wo man davon sprechen
konnte, wie z. B. in Magdeburg, betrachtete sich das Stadtbürgertum als
Partner in einem "positivrechtlichen Vertragsverhältnisses zwischen Stadt
und Kron- beziehungsweise Fürstengewalt, das der jeweiligen Stadtgemeinde
aufgrund von Absprachen und erworbenen Privilegien weitreichende Autonomie
und Handlungsspielraum innerhalb, aber auch und vor allem außerhalb des
jeweiligen Territoriums garantierte und das auf gegenseitiger Treuepflicht
beruhte." (ebd.,S.179)
Im Inneren stützte er sich auf die Gewährung bestimmter persönlicher Grund-
und Freiheitsrechte, vor allem dem Schutz vor willkürlicher Verhaftung und
das Recht auf Eigentum, auf die zumindest der Theorie nach vorhandene
Gleichheit sämtlicher Stadtbewohner bei den von ihnen zu tragenden Lasten
und Pflichten, auf die Existenz einer oligarchisch-egalitären politischen
Elite und auf "dem politischen Partizipationsanspruch des
genossenschaftlichen Bürgerverbandes." (ebd.,S.179)
Daneben gab es in vielen
Gebieten auch Entwicklungen hin zum modernen Staat, die ohne autoritären
Druck von oben zu einer "funktionierende(n) »Selbstregulierung der
Untertanen« (Schilling
1997; Schmidt
1997)" führten und auf andere "Formen des Aushandelns und Ausprobierens
[...] der Verhaltensspielräume im konkreten sozialen Handeln" (Niefanger
32012, S.53) beruhten.
Unter literaturdidaktischer
Perspektive dürfte aber der Blick auf die Entwicklung in den Großterritorien
Brandenburg-Preußens, Österreich, Sachsen, Bayern, Hannover etc. genügen,
weil sich darin bestimmte Entwicklungslinien des gesellschaftlichen
Formationsprozesses, der zur Staatsbildung geführt haben, im Sinne von »Nobert
Elias' (1897-1990) 1939 erstmals erschienen Werk »"Der
den Prozess der Zivilisation" (1997, Bd. 1, S.324-356 und
Bd. II, S.408-420) als Teilprozess
eines fortschreitenden, aber keineswegs geradlinig verlaufenden
Zivilisationsprozesses betrachtet werden kann, der zur jener
Sozialdisziplinierung führt, derer das Funktionieren eines größeren
Staatsgebildes bedarf, um die Untertanen dem Gewaltmonopol dauerhaft
unterwerfen zu können, das es beansprucht. Dass den "vielen Klein- und
Kleinfürstentümer, die das Bild des Alten Reiches aufs Ganze gesehen
prägten, (...) meist bereits die Kraft zur Vollendung der frühmodernen
Staatsbildung (fehlte)," (Schilling
1987, S.185) verdeutlicht dabei auch, dass das Konzept der
Sozialdisziplinierung von oben nicht als universelle Prozesskategorie taugt,
sondern eher einen idealtypischen Verlauf unter bestimmten Bedingungen
beschreibt.
Das Konzept der
Sozialdisziplinierung beschreibt dabei den Prozess, wie es im Zuge der
frühmodernen Staatsentwicklung in einer langwierigen Entwicklung gelang,
neue Formen der obrigkeitlichen und der sozialen Kontrolle zu installieren,
welche die auf eine lange Geschichte zurückgehenden Partikularinteressen von
Klerus, Adel und Stadtbürgertum "zugunsten eines »gemeinen Besten«, das
zunehmend von oben verordnet wurde, durch den Staat und seine mit einer
umfassenden Polizeigesetzgebung steuernd und ordnend eingreifende Bürokratie."
(ebd.,
S.155) Zug um Zug abschleifen konnten.
Der Wandel, der über die
Monopolisierung der staatlichen Gewalt die inneren Konsolidierung der neuen
gesellschaftlichen Formierung ermöglichte, wurde durch die gleichzeitig
stattfindende Konfessionalisierung und die seit dem »Augsburger
Religionsfrieden (1555) geltende Territorialisierung von Kirche und
religiösem Bekenntnis noch forciert.
Der ▪
Augsburger
Reichsabschied" aus dem Jahre 1555 legte den Religionsfrieden
zwischen Katholiken und Protestanten fest. (=
Augsburger
Religionsfrieden"). Darin wurde unter anderem geregelt, dass die Landesherren fortan die Religion in ihrem Territorium
bestimmen durften (»Cuius regio, eius religio
= "Wessen das Land, dessen der Glaube"). Wer die Religion nicht
annehmen wollte, müsse auswandern.
Die neue Staatlichkeit formierte sich dadurch, dass sie sich
Schlüsselmonopole staatlicher Gewalt sicherte. Dazu gehörte neben der
territorialen Herrschaft des Landesherrn über das religiöse Bekenntnis auch
die Angliederung und Aufsicht über die Kirchenverwaltung und die Übernahme
von Aufgaben, für die bis dahin die da noch autonomen Kirchen zuständig
waren. Dazu zählten z. B. die "so wichtigen Aufsicht über Ehe- und
Familie, der Übernahme des Schul- und Erziehungswesens sowie der Armen- und
Sozialfürsorge." (Schilling
1987, S.154) Zugleich erschloss die direkte oder indirekte Aufsicht über
das Vermögen der Kirche den Landesherren auch neue Finanzquellen, die sie
dringend für den personellen und in institutionellen Aufbau staatlicher
Behörden benötigten.
Hinzu kam noch, dass sich
die Fürsten auf der Grundlage ihrer neuen und herausragenden Stellung im
religiösen System eine neue, gegenüber dem Personenverband und seiner
personenrechtlichen Beziehungen (Treuverhältnis) grundlegend andere
Legitimation ihrer Gewalt gaben, die das neue Gewaltmonopol ideologisch
stabilisierten: Als "Retter des Glaubens (praecipua fidei)" wurde ihnen
fortan eine "sakrosankte Dignität" zugesprochen, "was den Untertanen durch
den Gottesgnadentitel, den nun jeder Fürst trug, sowie durch die
allsonntägliche Fürbitte für den Landesherrn und seine Familie stets aufs
neue vergegenwärtigt wurde." (ebd.)
Das sogenannte Gottesgnadentum führte mit seiner religiösen Übersteigerung
dabei auch zur "Entpersönlichung des Staatsprinzips" (ebd.).
Nach außen hin trug die
Konfessionalisierung ebenfalls zur Stabilisierung der Landesherrschaft bei.
Sie förderte nämlich die Abgrenzung von anderen Territorien, die eine andere Konfession
hatten und bewirkten die Entwicklung von distinktiven
sozial-kulturellen Mentalitäten und Verhaltensformen, die sich in
manchen Dingen zwischen katholisch oder protestantisch geprägten Regionen,
aller Modernisierungsprozesse zum Trotz, sogar noch bis heute beobachten
lassen. Noch gerade 70 Jahre ist es her, dass etliche protestantische
Flüchtlinge aus dem Osten, die man in erzkatholischen Gebieten Bayerns auf
Anweisung der Behörden unterbrachte, sozial in einer Weise ausgegrenzt
wurden, wie man sich das heute kaum mehr vorzustellen vermag.
