▪
Motive
der Literatur
▪
Motiv des Lichts
▪
Überblick
▪
Das Licht als Symbol
▪ Lichtverschmutzung und
Lichtsmog
▪
Literarische Beispiele ▪
Baustein:
Motive
als Strukturelemente erkennen und beschreiben
Ilse
Aichinger verwendet in ihrer
Kurzgeschichte
▪»Das Fenstertheater« verschiedene
Motive
und Motivgegensätze
zur Gestaltung der Aussage. Sie können für die Interpretation des Textes
herangezogen werden, zumal solche Motive im kulturellen
Gedächtnis der Gesellschaft verankert sind und damit
auch zum Kontext gehören.
Hier haben wir vor
die Darstellung der
Motivgegensätze in Aichingers Kurzgeschichte einige
grundsätzliche Überlegungen vorangestellt. Sie betreffen
die
Licht in unserer Alltagskultur
Das künstlich erzeugte Licht hat, seitdem der Mensch Feuer entzünden
und bewahren konnte, wohl kaum wie
etwas anderes das Leben der
Menschheit beeinflusst. Dabei hatte das Feuer natürlich auch andere
Funktionen (Wärmequelle, Energiequelle zum Kochen oder zur
Rohstoffverarbeitung).
Das Licht in Redensarten und sprachlichen Wendungen
In unserer Alltagskultur hat die (symbolische oder reale) Wirkung
des Lichts in bestimmte
Redensarten und
umgangssprachlichen Wendungen Eingang gefunden.
Wir sagen z. B., dass
-
auf
jemanden ein schlechtes Licht fällt
-
jemandem ein Licht aufgeht
-
jemand sein Licht unter den Scheffel stellt
-
man
jemanden hinters Licht führt
-
etwas
bei Lichte besehen werden muss
-
etwas
einleuchtet
-
jemand das Licht scheut
-
jemand eine Lichtgestalt ist
-
jemand helle ist oder unterbelichtet
-
jemand einen lichten Moment hat
|
-
etwas
aufgeklärt wird
-
etwas
in einem schiefen Licht erscheint
-
man
sein Licht leuchten lässt
-
man
etwas in rosigem Licht sieht
-
jemand im Dunkeln tappt
-
jemand kein großes Licht ist
-
lichtscheue Gestalten umhergehen
-
man
das Licht am Ende des Tunnels sieht
-
etwas
ein bezeichnendes Licht auf jemanden wirft
-
man
das Licht der Welt erblickt
|
▪
Baustein:
Motive
als Strukturelemente erkennen und beschreiben
Stoff, Thematik und Motiv -
eine schwierige Abgrenzung
Dabei versteht man unter Motiven in der
traditionellen Erzähltheorie inhaltliche Elemente, die in
verschiedenen
literarischen Gattungen gleich bleiben, räumlich, zeitlich und
figural aber in den Literaturgattungen und den konkreten
literarischen Texten verschieden umgesetzt werden können. Dabei
wird der Begriff des Motivs auch mehr oder weniger trennscharf von
den Begriffen Stoff
und Thema(tik) abgegrenzt, die man aber mit den folgenden Kriterien
einigermaßen unterscheiden (vgl. Mölk 1966, zit. n.
Lahn/Meister 2013, S.204)
Für größere
Darstellung bitte anklicken!
Pointiert zusammengefasst lässt sich hinsichtlich der Abgrenzung von
Stoff, Thema und Motiv sagen, dass das Motiv die kleinste
strukturbildende und bedeutungstragende (semantische) Einheit
bildet, "der Stoff sich aus einer Kombination von Motiven
zusammensetzt und das Thema die abstrahierte Grundidee eines Textes
darstellt." (Christine
Lubkoll, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, 5. Aufl.
2013, S.542f.)
Motiv
des Lichts
Das Motiv des Lichts hat in der Kulturgeschichte des
Abendlandes aber auch in anderen Kulturen eine herausragende Bedeutung.
Sie soll -
vor der eigentlichen Erzähltextanalyse - hier ein paar allgemeine
Gesichtspunkte dargestellt werden. Sie können in die Motivanalyse mit
eingehen.
"Licht ist Wärme. Licht bringt Erkenntnis, Licht ist ein
Symbol des Göttlichen. Licht lässt die Nacht zum Tag werden,
Leuchtreklamen funkeln in den Städten, die Gaslaternen des 19.
Jahrhunderts standen für Fortschritt, die Fackelumzüge der
Nationalsozialisten waren eine Demonstration der Macht." So wird ein
Text eingeleitet, der sich mit der Wissenschaftsgeschichte des Lichts
beschäftigt. (Westhoff,
Andrea und Justin Westhoff, 2015)
Das Symbol des Lichts in Religion, Geschichte, Politik,
Medien und Gesellschaft
Vor allem für etliche Religionen ist das Motiv
bzw. das Symbol des Lichts zentral, weil die Unterscheidung von
Helligkeit und Dunkelheit die Entstehung der Welt symbolisiert. (z. B.
"Es werde Licht" in der biblischen Schöpfungsgeschichte. Im
Motivgegensatz von Licht und Dunkelheit manifestiert sich darüber hinaus
das (moralisch) Gute und Böse.
Daneben hat es aber auch als Macht- und
Herrschaftssymbol interkulturelle Bedeutung gewonnen.
Das Spiel mit dem
Motivgegensatz von Licht und Dunkel und seinen religiösen, moralischen
und Macht signalisierenden
Konnotationen hat kein anderes mediales Ereignis in den letzten Jahren
mehr gespielt, als die »Herr–der–Ringe–Filmtrilogie
(2001-03), mit der »Peter
Jackson (geb. 1961) den »gleichnamige
Roman (1954/55) von »J.
R. R. Tolkien (1892-1973) in Szene gesetzt hat. In dem mit zahlreichen »Oscars
prämierten »Fantasy-
und »Monumentalfilm,
der einer der größten »Kassenschlager
aller Zeiten wurde, stellt der ewige Kampf der Mächte des Lichts mit den
Mächten der Finsternis ein Kernmotiv der Handlung ist. Deren »Agenten
sind klar von einander getrennt. Hier die Guten, z. B. »Elben,
»Menschen
des Westens und »des
Nordens, »Zwerge
und »Zauberer,
dort die Bösen als deren Gegenspieler, z. B. die Geschöpfe und
Gefolgsleute »Saurons,
die »Orks,
»Trolle
und »Menschen
des Ostens und »des
Südens.
In der Gesellschaft ist die
Überhöhung, die das Licht schaffen kann, längst fester Bestandteil der
Eventkultur geworden, die mit ihren
Lichtinszenierungen natürlich auch an die Licht-Macht-Symbolik anknüpft und
aus einfachen, manchmal sogar ziemlich trivialen Ereignissen einzigartige
Erlebnisse machen soll. Ohne emotionalisierende
Lightshow lässt sich kein Musikevent vermarkten, ohne eine
ausgeklügelte Lichtregie, die an die oben erwähnten Lichtdome Albert Speers
erinnert, kann offenbar keine der unzähligen
Quizshows im Fernsehen mehr die erforderliche Quote für die
Werbekunden des Sendeformats erreichen. Im Lichtdom der Quizshows wird jeder
x-beliebige Kandidat zum Helden, zu einer medial verklärten Lichtgestalt,
mit der man mitfühlen kann und der man unter Umständen nacheifern möchte.
Licht wird aber auch als Symbol gegen das Dunkle und das Bedrohliche
gesehen. Immer tun sich Menschen auf der ganzen Welt in »Lichterketten
zusammen, um gegen bestimmte Dinge in einer meist schweigenden Geste zu
protestieren. Solche Protestaktionen finden häufig im Zusammenhang mit
ungewöhnlichen Morden, Attentaten oder Übergriffen gegen Minderheiten statt,
wenn die Menschen ihre Solidarität mit den Opfern zeigen wollen.
Lichtverschmutzung und Lichtsmog
Heute befriedigt das moderne elektrische Licht Grundbedürfnisse der
Menschen in allen (Industrie-)Gesellschaften. Der Fortschritt aber seine
Schattenseiten.
Nachtaufnahmen von Satelliten aus dem Weltall zeigen ein hell
strahlendes Lichtermeer über den Metropolen und, dass das Nachtlicht auf
der Welt ungleich verteilt ist. (→Google Bildersuche: Lichtverschmutzung)
Marc Imhoff/NASA GSFC, Christopher Elvidge/NOAA NGDC;
Image: Craig Mayhew and Robert Simmon/NASA GSFC [Public domain]
Doch in den hell beleuchteten Städten ist dies längst auch zu einem
Problem geworden. Wer von dort aus nachts den Sternenhimmel sehen will,
hat meistens wenig Chancen. Die Straßenbeleuchtung, Scheinwerfer, die
alte und neue Gebäude, Stadien und Gärten illuminieren und größere
oder kleinere blinkende Werbetafeln mit ihren Laufschriften und
Videoszenen wie am »Times
Square in New York, der bei Nacht Tausende von
Touristen anzieht,
verunmöglichen nicht nur dort den Blick auf den funkelnden Sternenhimmel
und die Grandiosität unserer Milchstraße. Kein Wunder: Man hat
festgestellt, dass unsere Städte inzwischen zum Teil 4.000-mal
heller als das natürliche Nachtlicht leuchten. (vgl.
BR Wissen: Immer mehr Licht stört die Dunkelheit, abgerufen am:
20.10.2019)
Die Risiken, die wir mit der Überflutung unseres Lebens mit
künstlichem Licht, man spricht in diesem Zusammenhang auch von
Lichtsmog, werden aber allmählich sichtbar. »Lichtverschmutzung schadet
Mensch und Tier.
Nicht nur Schlafforscher haben schon Alarm geschlagen: Zuviel
Kunstlicht kann nämlich auf Dauer krank machen. Verantwortlich ist dabei
vor allem das blaue, das kalte Licht der LEDs von Leuchtreklamen und
moderner Straßenbeleuchtung. Es strahlt uns aber auch aus Fernsehern,
Handys oder Laptops entgegen und hält uns wie das Tageslicht wach, weil
nur das Schlafhormon »Melatonin nur in Dunkelheit vom Körper produziert
wird.
"Ohne Dunkelheit leben wir gegen unsere innere Uhr und schlafen zu
wenig. Wir können uns nicht ausreichend erholen, unsere Zellen sich
nicht genügend regenerieren. Zuviel Licht in der Nacht kann auf Dauer
chronische Schlafstörungen auslösen." (ebd.)
Motivgegensätze in Ilse Aichingers
"Das Fenstertheater"
In Ilse Aichingers
Kurzgeschichte
»Das Fenstertheater«
findet man verschiedene
Motive
und Motivgegensätze
zur Gestaltung der Aussage.
Sie dienen der formalen
Gliederung, bringen die verschiedenen Elemente in einen
Bedeutungszusammenhang und verflechten die verschiedenen Themen, die die
Kurzgeschichte beinhaltet. Zugleich erzeugen sie mit ihren
Konnotationen Spannung und verstärken die Anschaulichkeit des erzählten
Geschehens. Ingesamt liefern sie eine Möglichkeit, die Geschichte über
ihren Oberflächensinn hinweg zu verstehen und zu interpretieren. (vgl. Christine
Lubkoll, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, 5. Aufl.
2013, S.542f.)
Verschiedene Motive werden
miteinander verknüpft
Das Motiv
des Lichts ist vor allem mit den
Handlungsräumen der Figuren der Geschichte
verbunden, vor allem mit dem Zimmer des alten Mannes und
dem des kleinen Jungen, aber im Motivkontrast auch mit
dem der Frau.
Als
der alte Mann gegenüber unter den Blicken der an ihr
Fenster gelehnten Frau noch am frühen Abend ("eine
Werkstatt, die um diese Zeit schon geschlossen war"), an
dem es "noch ganz hell war" das Licht in seinem
Zimmer anknipst, veranlasst dies die Frau, die "den
starren Blick neugieriger Leute, die unersättlich sind",
genauer zu beobachten, was dort vor sich geht.
In ihrer
ansonsten diese Neugier wenig befriedigenden Umgebung ("Alles
lag zu tief unten") (Motiv der Nähe und der Ferne) bringt dieses "für sich" bleibende
Licht, für das es angesichts der von draußen noch in die
Zimmer fallenden Helligkeit eigentlich keinen
vernünftigen Grund zu geben scheint, so merkwürdig, dass
sie ihre Absicht, den Fensterplatz zu räumen, aufgibt.
Was
drüben geschieht, ist aus ihrer ▪
ideologischen Perspektive betrachtet, so
"merkwürdig", dass es aus ihrer ▪
figuralen/personalen Perspektive wie "aufflammende
Straßenlaternen" (Gaslaternen) aussieht, jedenfalls so
seltsam, dass ihr das Ganze vorkommt, "als hätte einer
an seinen Fenstern die Kerzen angesteckt, noch ehe die
Prozession die Kirche verlassen hat." Das Licht drüben
ist jedenfalls aus Sicht der Frau für für die Tageszeit
ebenso zu früh, wie Straßenlaternen, die noch bei
hinreichend Tageslicht angehen oder Kerzen, die lange
vor der Prozession, auf der sie mitgeführt werden
sollen, angezündet werden. Weil es in ihren Augen
überflüssig bzw. funktionslos ist, scheint es in der
Helligkeit der Umgebung "für sich" zu bleiben, strahlt
jedenfalls noch außen offensichtlich nicht ab. Und doch
ist es gerade das, was die Frau aufmerksam werden lässt
und neugierig macht.
Im Bild des
Aufflammens der Laternen vermischt sich das Motiv des
Lichts mit dem Motiv des Feuers (Laternen, Kerzen).
Dadurch erhält das an sich harmlose
und unspektakuläre Geschehen drüben am Fenster eine
Bedeutung, die das Lichtanzünden in die Nähe einer
religiösen Handlung (Prozession) und damit in einen
religiösen Kontext
stellt, auch wenn der Mann drüben die dafür geltenden Regeln bzw.
Handlungsschemata - sträflich oder dilettantisch -
missachtet. Die Verknüpfung der beiden Motive steigert insgesamt nur den
Aufmerksamkeitswert, den die Frau den Vorgängen am
gegenüberliegenden Fenster zuschreibt und steigert ihre
Neugierde.
Die Handlungen, die der alte Mann am gegenüberliegenden
Fenster vorführt, werden von der Frau als für sie
inszeniert verstanden, zumal nur das Fenster, an dem sie
selbst steht, als plausible "Adresse" seines "Spiels"
für sie in Frage kommt (Motiv des Spiels). Wie lange
sich das Spiel hinzieht, ist im Text kaum markiert.
Während es zu Beginn der Erzählung draußen am frühen
Abend noch ziemlich hell zu sein scheint, ist es, als
die Polizei und in deren Gefolge die Frau in die Wohnung
des alten Mannes eindringen,
"inzwischen finster geworden".
Es ist dabei das Licht im Zimmer des Mannes, das den
Raum gegenüber zur Bühne werden lässt, auf der die
Handlungen des Mannes erst zu den von ihr vermuteten
komischen Vorführungen werden, die er sich vermeintlich
zu ihrer Unterhaltung ausgedacht hat. (Motiv des Spiels)
Was sich im Licht dieser Guckkastenbühne gegenüber
abspielt, ist Lebensfreude pur, das der Frau im Glauben,
die Vorführung mit ihren theatralischen Gesten (z. B.
das Kreuzen der Arme über der Brust und das Verneigen
des Mannes) und der das Spiel durchbrechenden
Kontaktgeste des Zwinkerns mit dem Auge ("als
herrsche zwischen ihnen ein geheimes Einverständnis")
seien für sie bestimmt, "so lange
Vergnügen" Vergnügen bereitet, wie sie das Ganze als
Theater am Fenster gegenüber einordnen kann.
Als sie allerdings sieht, wie der
Mann, offenbar kopfüber stehend, völlig unvermittelt
"nur mehr seine Beine in dünnen, geflickten Samthosen in
die Luft" streckt, wendet sich die erzählte Geschichte.
Aus dem Spiel wird in den Augen der Frau Ernst und dabei
so bedrohlich empfunden, dass sie die Polizei
verständigt.
Warum sie das tut und was sie der
Polizei bei ihrem Anruf mitteilt, bleibt im
Erzählerbericht ausgespart. Lediglich die Tatsache, dass
die Polizei mit dem "Überfallkommando" anrückt, kann als
Indiz dafür gelten, dass sie die Lage dabei wohl sehr
dramatisiert hat ("ihre Erklärung hatte nicht sehr klar
und ihre Stimme erregt geklungen" (narratoriale
Perspektive)).
Währenddessen geht das Geschehen
am Fenster drüben aber wieder wie zu Beginn der
Vordührung weiter, wird von der Frau aber trotz der
offensichtlichen Clownerei des Mannes mit dem Lachen und
seiner Geste, das in der hohlen Hand gefangene Lachen
"hinüber" zu werfen, nicht mehr als Spiel interpretiert.
Jetzt kann sie ihren Blick von dem
zur Sensation gewordenen realen Geschehen erst recht
nicht mehr "losreißen" und bestätigt damit die
direkte Charakterisierung durch den narratorialen
Erzähler, der diesen schon gleich zu Beginn der
Erzählung als "unersättlich" bezeichnet.
Die Bedeutung des Lichtmotivs wird
im letzten Handlungsabschnitt noch einmal deutlich. Als
die Polizei und in deren Schlepptau die Frau und etliche
andere Schaulistige in die von der Polizei aufgebrochene
Wohnung des alten Mannes eindringen, ist das Spiel in
dem erleuchteten Zimmer immer noch im Gange. Was auf den
ersten Blick verrückt, zumindest aber grotesk erscheint,
entpuppt sich als Vorführung, die der alte Mann zum
Vergnügen für einen kleinen Jungen aufführt, der
gegenüber in seinem ebenfalls erleuchteten Zimmer im
Kinderbett, das Spiel und die Gesten des Mannes imitiert
und daran eine unbändige Freude hat ("Er sprang und
winkte herüber und krähte vor Jubel. Er lachte
...)". Auch hier signalisiert das Licht und die
Helligkeit des Raumes (kindliche) Lebensfreude,
Kontaktfreude und Freude an menschlicher Nähe.
Das Fenster der Frau ist dagegen unerleuchtet. Dort, wo
sie lebt, ist es "finster". Ihr Fenster gewährt keine
Einblicke und drückt damit im Motivgegensatz von Licht
und Dunkel, den Kontrast aus, in dem die beiden
erwachsenen Figuren zueinander stehen. Während der alte
Mann am realen Leben auf seine Weise teilhat, Kontakt
mit den Menschen sucht und damit im Licht der Welt
steht, scheut die alte Frau das Licht, erweist sich
letzten Endes als unfähig, ihr offenkundiges Alleinsein
und ihre Distanz zum Leben ("Alles
lag zu tief unten") zu überwinden.
hell |
dunkel |
Zimmer des alten Mannes und des kleinen
Jungen |
Zimmer der Frau |
Lebensfreude, Kontaktbereitschaft und -fähigkeit;
menschliche Nähe |
Kontaktunfähigkeit; Alleinsein,
Ausgeschlossensein |
Motiv der Nähe /Ferne
Wohnung im vorletzten Stock |
Straße "tief unten" |
weit weg vom
pulsierenden Leben auf der Straße bzw. der Öffentlichkeit, private
Zurückgezogenheit |
symbolisch für die
Vielfältigkeit des Lebens, quasi Schnittpunkt des Lebens, nicht
erreichbar, keine Teilhabe |
Motiv des Spiels
alter Mann |
Frau |
pantomimisches Gebärden- und
Verkleidungsspiel |
Spielverweigerung |
anthropologische Bedeutung: Leben als
Spiel |
Selbstkontrolle, von
Vorurteilen ausgehend |
Fenstertheater der
Verführung in Siri Hustvedts "Die Verzauberung der Lily
Dahl" (1997)
»Siri
Hustvedt (geb. 1955) spielt in ihrem Roman "Die
Verzauberung der Lily Dahl" (1997) mit den gleichen
Motivgegensätzen und erzählt ein erotisches
Fenstertheater aus der Sicht der weiblichen Hauptfigur.
Es kann als ein weiteres Beispiel für die oben
aufgeführten Motive und das Motiv des Fenstertheaters
gelten, das im Übrigen im Film immer wieder auftaucht.
Die Hauptfigur des Romans, die 19-jährige Lily Dahl,
lebt in einer Kleinstadt in Minnesota/USA in einer
kleinen Wohnung und bedient in einem kleinen Café. Sie
träumt von einem Leben wie Marilyn Monroe und will in
Zukunft die Enge der "blöde(n)
Stadt (...) voller Schnüffler, die nach Unrat suchen und
sich über ihre Funde das Maul zerreißen.“ (S.55)
verlassen, weiß aber auch, das sie "mit diesem Ort
verbunden" ist. Eine Wendung in ihrem Leben tritt ein, als sie
anfängt, "von ihrem Fenster aus den attraktiven Maler und Frauenschwarm
Edward Shapiro bei seiner Arbeit zu beobachten – dem Portraitieren. Der
Akt des Portrait-Malens verschmilzt in Lilys Betrachtung zu einer
erotischen Szenerie und Lily wünscht sich Edwards Modell zu sein. Eines
Nachts wird sie mutig und zieht sich für Edward aus, der scheinbar
längst bemerkt hat, dass sie ihn beobachtet. Diese erotische Situation
wird verstärkt durch einen unbekannten Dritten, der die geheime
Interaktion zwischen Lily und dem Maler zu beobachten scheint … Lily
vermutet, dass es ihr seltsamer Kindheits- und Schulfreund Martin sein
könnte " (KATJA
1982 hat in ihrem Wordpress-Blog)
Das Motiv des "Fensterheaters der Verführung" spielt
sich darin wie folgt ab:
"Die Division Street war breit und baumlos. Das Zimmer des Mannes lag
mindestens zwanzig Meter von Lilys Zimmer entfernt, und sie hatte ihn
noch nie von näherem gesehen. Was genau sie davon erwartete, dass sie
ihn beobachtete, wusste sie nicht, aber es spielte kaum eine Rolle. In
Wahrheit konnte sie sich von dem Mann nicht satt sehen, und an den
Tagen, wo er nichts ins Bett ging, sondern aufblieb und bis nach
Tagesanbruch arbeitete, hatte sie sich zwingen müssen, ihre Vorhänge
zuzuziehen und vom Fenster wegzugehen. An diesem Morgen regnete es jedoch stark, und Lily konnte ihn nicht
richtig sehen. Sie streckte den Kopf aus dem Fenster und schaute
blinzelnd in seine Richtung [...] Und dann, bevor sie begriff, was
geschah, ging der Mann zu seinem Fenster, riss es auf und lehnte sich in
den Regen hinaus. Lily tauchte unter das Fensterbrett und kauerte sich
auf den Boden. [...] Sie war ein furchtbares Risiko eingegangen, als sie
sich derart hinauslehnte. Vorher hatte sie immer ein bisschen mit sich
geschimpft, dass sie ihn bespitzelte, aber der Gedanke, nun ertappt
worden zu sein, erfüllte sie mit Scham. Sonst war sie vorsichtig gewesen
hatte sich, nur die Augen über dem Fensterbrett, neben ihr Fenster
geduckt, hatte darauf geachtet, dass im Zimmer kein Licht brannte, und
wenn sie es anmachte, um zu duschen order sich anzuziehen, hatte sie
ihre Vorgänge fest geschlossen gehalten. Lily wusste, dass der Mann Edward Shapiro hieß. Obwohl sie noch nie ein
Wort gewechselt hatten, hatte sie einige Fakten über ihn erfahren und
eine Menge Klatsch über ihn gehört.[...] Lily hatte Angst, sich zu
rühren, aber dann spähte sie doch über das Fensterbrett. Shapiros
Fenster war dunkel [...] (S.8-10, Auszüge)
Das "Fenstertheater" geht ein paar Tage als "Theater der
Verführung" weiter:
"In ihrem Apartment angekommen, lief sie, ohne das Licht
einzuschalten, zum Fenster. Edward Shapiro telefonierte. [...] Die
meisten anderen Fenster des Hotels waren dunkel oder verhängt. [...] Ich
bin schlecht, dachte Lily, und im selben Augenblick wusste sie, was sie
tun würde. Sie machte alle Lichter an und riss das Fenster so heftig
auf, dass sie sah, wie Shapiro den Kopf drehte und zu ihr
hinüberschaute, Gut, dacht sie. Gut. Er ging an sein Fenster und beugte
sich hinaus. [...] Lily ging schnurstracks zum Fenster und nahm Shapiro
gegenüber Aufstellung. Sie hob die Hand, löste das Band, das ihren
Pferdeschwanz zusammenhielt, und schüttelte ihr Haar, dass es auf den
Rücken fiel. Sie sah ihn direkt an, obwohl sein Gesicht im Schatten lag,
und knöpfte langsam ihre Bluse auf. Dann warf sie sie zu Boden, strich
mit den Fingern über ihre nackte Schulter und biss sich fest in die
Unterlippe. Das ist wunderbar, dachte sie und knöpfte ihre
angeschnittenen Jeans auf. [...] und dieses Gefühl, gepaart mit dem
Wissen, dass er sie ansah, löste in ihr die Vorstellung aus, eine andere
zu sein - ein leichtlebiges Mädchen, dass bei einer Stripshow auf die
Bühne springt, ein Mädchen, das alles mitmacht und unschlagbar im Bett
ist. [...] Von ihm selbst war nur die Silhouette auszumachen [...] Lily
hakte ihren BH auf. [...] Einen Augenblick dachte sie an Marilyn nahm
den BH in eine Hand und schleuderte ihn durchs Zimmer.[...] Sie fühlte
sich nackt. [...] O Gott, dachte sie. Ihr Herz schlug jetzt schnell, und
sie atmete tief ein, bevor sie die Unterhose auszog. Du kannst jetzt
nicht aufhören. Es würde wirklich blöd aussehen, als hättest du die
Nerven verloren. [...] Mit nichts all den Schuhen stand sie an ihrem
Fenster und blickte über die Straße zu Edward Shapiro hinüber. Er ging
vom Fenster weg. Eine Weile starrte sie auf die Rückseite seiner
Leinwand, auf den Stuhl und das schwarze Telefon und fing fast an zu
weinen. Aber sie hielt die Tränen zurück, wickelte sich in den Vorhang
und setzte sich auf die Fensterbank. [...] Edward Shapiro kam zum
Fenster zurück, und Lily sah ihn an und hörte dem Mann und der Frau zu,
die zusammen sangen. Sie lehnte sich an den Fensterrahmen. Der rissige
Anstrich kratzte an ihrem Schulterblatt, und sie zog den Vorhang
zurecht, um ihre Haut zu schützen. [...] Während sie den Stimmen
dieser zwei Menschen lauschte, stellt sie sich vor, dass das wahre
Abenteuer ihres Lebens jetzt begann, dass nach dem hier alles geschehen
konnte, alles. Als das Lied zu Ende war, ging der Mann vom Fenster weg,
um die Platte abzuschalten und kam zum zweitenmal zurück. Lily sah in
sein dunkles Gesicht. Sie hätten sich etwas zurufen oder sich zuwinken
können, aber sie taten es nicht. Sie sahen sich weiter an, lange, wie
ihr schien, aber vielleicht war es gar nicht lange. Lilly hörte das
Geräusch eines Autos weiter hinten auf der Straße [...] Sie warf einen
letzten Blick auf Edward Shapiro, dann stellte sie sich in den
drückenden Schuhen auf die Zehenspitzen und schloss langsam die
Vorhänge" (S.45 -48, Auszüge).
▪
Motive
der Literatur
▪
Motiv des Lichts
▪
Überblick
▪
Das Licht als Symbol
▪ Lichtverschmutzung und
Lichtsmog
▪
Literarische Beispiele ▪
Baustein:
Motive
als Strukturelemente erkennen und beschreiben
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023
|