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Aspekte der Schreibaufgabe

Über Kohärenzlücken "stolpern" und Transfersignale erkennen

Eine moderne Parabel interpretieren


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Textinterpretation: Sich auf eine moderne Parabel einlassen

Lesen und Textverstehen (CI-Modell)
Inferenzbildung beim Lesen kürzerer erzählender Texte
▪ Kohärenzbildung über mentale Modelle, kognitive Schemata und literarische Konventionen (Gattungen)

Moderne Parabeln kommen vielen Leserinnen und Lesern zunächst einmal unverständlich und fremd vor. Und die negative Weltsicht, die meist aus ihnen spricht, wirkt oft verstörend. Dahinter steht dabei oft die von solchen Texten ausgelöste »kognitive Dissonanz, d. h. die Erfahrung, dass das, was man gelesen hat, einfach nicht so kognitiv zu verarbeiten ist, wie man das gewohnt ist. Vereinfacht ausgedrückt: Die Muster, mit denen wir etwas Gelesenem Bedeutung bzw. Sinn zuschreiben, funktionieren einfach nicht.

Irgendwie, so scheint es, fügt sich der Text nicht zu einem Textganzen. Seine Wörter und Sätze lassen sich für uns nicht so verstehen, dass wir uns, wie man redensartlich sagt, einen Reim darauf machen können. Selbst wenn auf der Textebene sprachlich insofern alles stimmt, dass keine gravierenden Verstöße gegen den üblichen Sprachgebrauch festzustellen sind, Wörter und Sätze syntaktisch mit gängigen Kohäsionsmitteln auf der Textoberflächenstruktur miteinander verbunden sind (was im Übrigen bei modernen Parabeln nicht zwingend der Fall sein muss), können wir die Bedeutung bzw. den Sinn nicht herauslesen. Die ▪ Texttiefenstruktur, wie man das in der Textlinguistik auch nennt, erschließt sich uns nicht. Wir erfahren dann den Text als • i. e. S. inkohärent.

Im kognitionspsychologischen ▪ Construction-Integration-Modell des Textverstehens ist dabei die • Bildung von Interenzen die als "Motor der Sinnkonstruktion beim Lesen" (Christmann 2015, S.172) angesehen werden können, so gestört, dass wir auch mit dem von uns zum • Textverstehen beigesteuerten Wissen, mit dem wir sonst, auch ohne dass wir es bemerken schon beim ersten Lesen schon • "Textlöcher", die auf der Textoberfläche bestehen, ohne weiteres schließen können. Schon die das erste Lesen und die dabei wirksamen • bottom-up-Verarbeitungsprozesse klappen also nicht mehr und verhindern, dass wir im Zuge der weiter integrierenden top-down-Verarbeitung ein ▪ Situationsmodell des Textes (in der Textlinguistik spricht man hier vom Textweltmodell) gewinnen, das sonst auf den ▪ Inferenzen aufbaut, die auf der ▪ Textbasis und ▪ Inferenzen, die über diese Textbasis als Verknüpfungen mit dem leserseitigen Wissen gebildet werden. (vgl. Christmann 2015, S.177)

Soviel zur "grauen Theorie." Was aber, wenn sich ein Leser oder eine Leserin mit dem zufrieden gibt, was sich ihm vordergründig als Handlungssinn aufdrängt und ganz anderen Mustern in seinem Kopf folgt als denen, denen ein kompetenter (Parabel-)Rezipient eigentlich folgen "sollte"? Biegt er/sie sich damit den eigentlichen Sinn eines Textes nur einfach solange zurecht, bis er in die Schemata passt, mit denen er sonst an Texte herangeht? Schließlich ist es weder text- noch leserseitig garantiert, dass ein Rezipient beim Lesen überhaupt den Eindruck gewinnt, "dass der Text eine 'andere' Bedeutung hat" (Zymner 1991, S.88). Und In jedem Fall ist das Erkennen einer über den Buchstabensinn hinausgehenden Bedeutung nicht einfach eine Frage, die nur über eine möglichst genaue Erfassung eines Parabeltextes beantwortet werden kann, also mit dem, was man gewöhnlich "Textarbeit" nennt. Und doch macht es einen Unterschied, ob man einen solchen Text nur überfliegt z. B. ▪ orientierend bzw. ▪ diagonal statt ▪ intensiv, also auch mehrfach liest, weil man beim Überfliegen einfach auch manches überliest. Ohne die volitionale Bereitschaft, sich auf solche oft auch Unlust erzeugenden Texte • einzulassen und sein eigenes Textverstehen und Textverständnis zu reflektieren, "stolpert" man jedenfalls nicht so leicht über semantische "Ungereimtheiten", die die globale Uneigentlichkeit des Textes signalisieren und was eigentlich als "Stolperstein" gedacht war, wird, wenn es möglich ist, halt "eingeebnet" und vordergründig "geglättet".

Ob man einen Text überhaupt als Parabel versteht und sich auf die Suche nach seiner über den Buchstabensinn hinausgehenden Bedeutung macht, hängt in der Praxis, insbesondere bei der schulischen Interpretation • moderner Parabeln, im Allgemeinen wohl nur zum Teil davon ab, ob man bei der Rezeption und • Sinnkonstruktion über • "Textlöcher" und • semantischen Inkohärenzen konkret benennen kann, die die • Appellstruktur dieser Texte ausmachen. Zudem sagt das analytische Identifizieren von "Stolpersteinen" dieser Art oft recht wenig darüber aus, welche Analogien zwischen dem Bildbereich auf der lokalen Textebene und dem Sachbereich in einem neuen textexternen Bedeutungszusammenhang bestehen. Und auf diesen Bedeutungstransfer und nicht um den analytischen Nachweis von bestimmten Textmerkmalen im Sinne der so genannten •"Merkmal-Nachweis-Didaktik" (Leubner/Saupe/Richter (2016) kommt es im Literaturunterricht an der Schule an. Diesen Bedeutungstransfer in der möglichen Anschlusskommunikation plausibel zu machen, in dem man ihn auf den Text bezieht, ist das Hauptziel, auf das es bei der schulischen Interpretation moderner Parabeln ankommt.

Kohärenzlücken und implizite Transfersignale sind eben zunächst nicht mehr als Aufforderungen, den Sinn des Textes jenseits der Textebene zu konstruieren, legen aber damit keineswegs fest, dass ein bestimmter Text nur eine, ihm beim jeweiligen Transfer zugewiesene Bedeutung haben kann. Die prinzipielle Deutungsoffenheit von Parabeln und die normative Zuschreibung eines bestimmten Spielraums der Sinnkonstruktion oder zulässiger Lesarten von Parabeln lässt sich damit jedenfalls nicht begründen.

"Uneigentlichkeit" ist auch modernen Parabeln häufig nur in geringem Maße "eingeschrieben". Worauf eine Parabel verweist oder anders ausgedrückt: welche Bedeutung ihr zugeschrieben wird, ist also nicht einfach in die Reihenfolge der sprachlichen Zeichen "eingraviert". Und dementsprechend ist die Tatsache, ob man auch erkennt, dass ein solcher Text über sich hinausweist, nicht einfach davon abhängig, wie genau man einen solchen Text liest und ob man die Signale genau benennen kann, von denen die Suchaufforderung ausgeht. Unter literaturdidaktischem Vorzeichen ist es also nicht von vorrangiger Bedeutung, dass Schülerinnen und Schüler am Text einer ▪ modernen Parabel die darin enthaltenen • impliziten Transfersignale, dazu noch in ihrer Gleichgerichtetheit identifizieren können.

Was sind aber nun die "Stolpersteine" (semantische Inkohärenzen)" oder "Kohärenzlücken", die einen darauf aufmerksam machen sollen, bei • modernen Parabeln den Sinn des Textes außerhalb des eigentlichen Textes zu suchen? Woher das Vertrauen nehmen, dass man ihn dort auch finden kann, ohne dass man sich mit seiner eigenen • Sinnkonstruktion "verrennt", weil sie den Rahmen dessen sprengt, was der Bedeutungsumfang der in einem Text verwendeten Wörter zulässt, auch wenn es nie darum gehen kann, das "richtige" Textverständnis zustande zu bringen.

"Stolpersteine" können "»ungewöhnliche« Formulierungen" (Zymner 1991, S.96), also Wörter, Wendungen oder ganze Sätze auf der lokalen Textebene sein, aber auch "»ungewöhnliche« inhaltliche Elemente" (ebd.), deren Bedeutung sich einem auf der Textebene einfach nicht erschließt. Hinzu kommen können noch weitere "gleichgerichtet-appellierende Elemente" (ebd., die den Leser bzw. die Leserin auffordern, die Geschichte nicht "einsinnig", sondern "mehrsinnig" zu verstehen. (ebd., vgl. auch S.88) So kann die Aufforderung zum Bedeutungstransfer auch von der kontextuellen Einbettung in einem miterzählten Kontext ausgehen, der die Suchbewegung auslöst.

Aber: nicht alles, was wir beim Lesen eines literarischen Textes nicht sogleich verstehen, hat die Funktion, eine Suchbewegung zur globalen textexternen • Sinnkonstruktion auszulösen, und nicht alles, was uns fremd, sperrig oder vom "normalen" Sprachgebrauch abweichend vorkommt, ist Teil eines aus mehreren gleichgerichteten Elementen impliziten Transfersignals. Nicht alle Formen uneigentlicher Sprachverwendung konstituieren die für die Parabel typische • Appellstruktur des ganzen Textes zur Bedeutungsübertragung. So ist z. B. eine Metapher lediglich vom Text aus betrachtet nur punktuell uneigentlich, die Personifikation dagegen partiell, d. h. auf bestimmte Textteile bezogen und die ▪ Parabel ist schließlich textübergreifend global uneineigentlich.


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Das bedeutet eben auch, dass das, was einen erzählenden Text mit den von ihm verwendeten erzähltechnischen Mitteln als durch und durch konstruiert erscheinen lässt und was in gewisser Hinsicht seinen Kunstcharakter ausmacht, nicht als implizite Transfersignale auf der "Binnenebene des Erzählten" (Zymner 1991, S.94) anzusehen sind. Allein die Tatsache, dass eine Erzählinstanz auf ihre Weise mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, z. B. mit einer komplexen Gestaltung der Erzählgeschwindigkeit, unterschiedlichen Perspektiven u. ä. m. den Leser bzw. die Leserin auffordert, das komplexe, wohl konstruierte Gefüge lesend zu "entwirren", macht es sie eben nicht zu einem globalen Transfersignal. (vgl. ebd.)

Der analytische Nachweis, wodurch die Suchbewegung bei der Arbeit mit modernen Parabeln ausgelöst wird, ist eine Aufgabe, die sich der wissenschaftsorientierten •"Merkmal-Nachweis-Didaktik" (Leubner/Saupe/Richter (2016) stellen mag. Bei der schulischen Textinterpretation ist das "Auffinden gleichgerichteter Textelemente" (Zymner 1991, S.94), die, solange sie nur dazu dienen den Parabelcharakter auf Textebene nachzuweisen, nicht nur mühevoll, sondern in der Regel auch, didaktisch gesehen, wenig sinnvoll. Ihr mühevoller Nachweis versperrt dabei u. U. auch den Weg, sich auf die Kernaufgabe, durch ▪ eigenes Zutun bei der Rezeption die textexterne ▪ Sinnkonstruktion mit dem Vertrauen darauf anzupacken, dass das eigene Verständnis des Textes im Zuge der Überwindung der von solchen Texten oft ausgelösten »kognitiven Dissonanz (strukturelle oder ▪ radikale Fremdheitserfahrungen)  in der Vielzahl seiner möglichen Konkretisationen ihre Berechtigung besitzt und in der möglichen Anschlusskommunikation plausibel gemacht werden kann.

Textinterpretation: Sich auf eine moderne Parabel einlassen

Lesen und Textverstehen (CI-Modell)
Inferenzbildung beim Lesen kürzerer erzählender Texte
▪ Kohärenzbildung über mentale Modelle, kognitive Schemata und literarische Konventionen (Gattungen)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 03.04.2024

       
 

 
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