▪
Thematisches Projekt: Lesen
▪
Geschichte des Lesens
▪
Überblick
▪
Lesen in der frühen Neuzeit
(16./17. Jh.)

Die ▪
Literaturepoche
des
Barock
stellt eine vergleichsweise einheitlich beschreibbare Epoche dar, die zwischen dem
ganz und gar weltanschaulich-konfessionell geprägten
▪
Reformationszeitalter
und der mehr von der Philosophie herkommenden
▪ Aufklärung liegt.
▪ Lesen war in dieser
Zeit stets ein Vorgang, der mit Sorgfalt praktiziert wurde und
verlief im Gegensatz zu unserem heutigen Lesen langsam. Das veränderte
sich erst im 18. Jahrhundert. (vgl.
Bickenbach 2015,
S. 403) Während des ▪
Dreißigjährigen Krieges
(1618-48), von dem
Friedell (1928/1969, S.414) sagte, dass er "unter den vielen langen und sinnlosen Kriegen, von denen die
Weltgeschichte zu berichten weiß, (...) einer der
längsten und sinnlosesten (war)", ging die Buchproduktion von
vorher etwa 1600 Neuerscheinungen pro Jahr auf knapp 600 Titel zurück
und es dauerte fast 150 Jahre, bis sich die Buchproduktion von diesem
Einbruch erholte. Was im »Barockzeitalter
(Ende des 16. Jh. bis gegen 1750/50) an Büchern, meistens ins
lateinischer Sprache herauskam und vertrieben wurde, richtete sich vor
allem an das gelehrte Publikum, das diese Bücher aus professionellen
Gründen gelesen hat. Eine weitaus höhere Verbreitung als das Buch hatten
aber im 17. Jahrhundert periodische erscheinende Zeitungen, die mit über
250.000 Lesern eine weitaus größere Leserzahl hatten. (vgl.
ebd., S.746)
Lesen und die Begegnung mit Literatur und Dichtung ist aber nicht nur
an die Produkte des Buchmarkts gebunden. Insbesondere die "barocke Lyrik ist Gelegenheitsdichtung in einem Maße, wie es
heute nicht leicht vorzustellen ist. Sie ist an alle wichtigeren Anlässe des
öffentlichen wie privaten Lebens gebunden. An die Gelegenheit gebunden, wird
sie in Auftrag gegeben und, bald schlechter, bald besser honoriert. [...] Gelegenheitsdichtung entspricht [...] einem Bedürfnis des bürgerlichen
Alltags ('dutzendweise' wird sie hergestellt). Wer sie schreibt, kann sich
an Regeln und Muster halten. Gelegenheitsdichtung dieser Art ist somit
lernbar, obschon ein 'guter Kopf' allein noch nicht genügt. "
(Herzog 1979, S.39-52) Die Tatsache, dass solche
Gelegenheitsdichtung im 17. Jahrhundert massenhaft verbreitet war und
das oft mit einer zweifelhaften Qualität, hat zur Abwertung der
Kasualdichtung dieses Jahrhunderts in späteren Zeiten geführt. (vgl.
ebd.)
Die
Buchproduktion der Barockzeit,
in der das ▪ Lesen
noch immer soziales Privileg und keine allgemein verbreitete
Kulturtechnik war, war vor allem an dem Herstellen von Werken für
den zeitgenössischen gelehrten Diskurs orientiert, auch wenn es daneben
eine ganze Reihe volksmedizinischer Schriften mit Anleitungen für Diäten
oder sonstigen Therapieanleitungen, Arznei- und Kräuterbücher und sogar
Kochbüchern gab, in denen es um Gesundheitsfragen und die Heilung von
Krankheiten ging. Diese Bücher in deutscher Sprache waren offenbar für
einen größeren städtischen Leserkreis gedacht. (vgl.Schneider
2015, S.743) Aber sogar Unterhaltungsliteratur war schon im Angebot,
das sich vor allem an lesende Frauen in den Städten richtete, die im
Übrigen auf Erbauungsliteratur und den Katechismus zur Lektüre
zurückgreifen konnten.
Trotz diesem
beginnenden literarischen Lesen las man vor allem aus beruflichen
Gründen und zu religiös-liturgischen Anlässen etwa beim Gottesdienst,
bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen,
für den gelehrten Disput, für administrative oder kaufmännische Zwecke.
Privater Bücherbesitz in größerem Umfang war zwar auch weiterhin eher
selten, aber es kam schon vor, dass sich wohlhabende Kaufleute, manchmal
sogar Handwerker und kleinere Gewerbetreibende eine größere Anzahl von Büchern
leisteten. Privater, nicht aus professionellen Gründen motivierter
Bücherbesitz fußte dabei vor allem, wie im »pietistischen
Umfeld mit seiner häuslichen Bibellektüre, auf religiösen Motiven,
was Adelige im »Barockzeitalter
(Ende des 16. Jh. bis gegen 1750/50) in ihren Sammlungen prächtig
ausgestatteter Bücher und Folianten zusammentrugen, waren hingegen
Statussymbole und Prestigeobjekte, die vor allem repräsentative Funktion
besaßen.
Was an Lesestoffen in einem
meist städtischen Haushalt verfügbar war, war, ob Bücher
oder andere gedruckte Produkte, also mehr als überschaubar. Was es gab, wurde
von den Familienmitgliedern meistens "mehrfach gelesen, und die Texte
verloren so auch über Generationen hinweg nicht an Autorität. Ein Buch
bot oft Lesestoff für ein ganzes Leben, da einzelne Abschnitte oder
Kapitel an bestimmte Zeiten des Tages oder des Kirchenjahres gebunden
waren, wie z.B. Advent, Fastenzeit und Ostern." (Limmroth-Kranz
1997,
Hervorh. d. Verf.)
Im Übrigen musst man zu
dieser Zeit auch nicht unbedingt selbst lesen können, um am allgemeinen
Lesen von Büchern teilzuhaben. Lesen war nämlich meistens an die soziale
Praxis des Vorlesen gebunden, stilles Lesen, wie wir es heute kennen,
noch kaum verbreitet. Wer also nicht lesen konnte und sich auch kein
Buch leisten konnte, wurde Rezipient der frühneuzeitlichen sozialen
Hörbuchpraxis: Er oder sie hörte einfach zu, wenn, wie üblich vorgelesen
wurde. Das war keine Schande, "denn Lesen, Vorlesen und Zuhören standen
als Rezeptionsweisen relativ gleichberechtigt nebeneinander." (vgl.
Schneider 2015,
S.745) Im Übrigen blieb vielen potentiellen Leserinnen und Lesern, die
jeden Tag in einem harten Arbeitstag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang
ihren oft kümmerlichen Lebensunterhalt sichern mussten, kaum Gelegenheit
bei Tageslicht Zeit mit Lesen zu verbringen. Wenn, dann war dies am
ehesten in den Wintermonaten der Fall, in denen gerne in der Familie
vorgelesen wurde
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(16./17. Jh.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.01.2022