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Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
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Die Karlsschule
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Überblick
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Kurzer Abriss der Geschichte
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Die
Schüler der Karlsschule
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Erziehung und militärischer Drill
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Lehr- und Unterrichtspraxis
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Privatleben - Fehlanzeige
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Ständische Ungleichheit
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Umzug nach Stuttgart 1775
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Textauswahl
"Das Haupt- und
Zentralfach für die fünf bis sechs ersten Jahrgänge in der
Karlsschule, die seit 1783 sogenannten 'philologischen Abteilungen',
war das
Lateinische. Die Lebenszeit der Karlsschule war in bezug auf dessen
Geltung und Stellung in der allgemeinen Kultur eine Zeit der
Umwertung. Die
Tradition der Humanistenzeit,
wonach das Latein das unentbehrliche Organ und Voraussetzung aller
höheren Bildung und Wissenschaft war und daher in den höhern Schulen
alle anderen Fächer an Umfang und Nachdruck des Betriebs weit
überragte, war noch in weitem Kreise lebendig und herrschend,
namentlich in den württembergischen höheren Schulen und dem Tübinger
Stift war sie noch ungebrochen. Ein korrektes, gewandtes und
zierliches Latein zu schreiben war das weitaus wichtigste Ziel des
auf die Universität vorbereitenden Unterrichts, auf der Universität
war ein Teil der Vorlesungen und die meisten gelehrten Schriften in
lateinischer Sprache gehalten. Diese Geltung des Lateinischen hatte
aber doch durch die begonnene deutsche Literaturbewegung schon
schwere Stöße erhalten, und andererseits war durch die Philologen
Gesner, Ernesti und Henne eine Auffassung des klassischen Altertums
(die jetzt sog. neuhumanistische) in den Vordergrund getreten,
welche das klassische Altertum nicht sowohl nach seiner verbalen und
formalen, als nach seiner realen und ästhetischen Seite, nach seinem
gesamten geistigen Inhalt würdigen und zum Gegenstand des Studiums
wie der Jugendbildung machen wollte. [...]
Der lateinische
Unterricht hat an der Karlsschule mit dem Eintreten des Professors
Jahn im Juni 1771 begonnen, und es wurde nach Aufhören der 'teutschen
Klasse' von 1774 an in allen Klassen außer den
Bestimmungsabteilungen Latein unterrichtet, und zwar in den
philologischen Abteilungen mit (von unten nach oben) abnehmender
Stundenzahl, in anfangs 25, später 14 bis zu 12, später 8 und 6, in
den philosophischen Abteilungen in 9 bis 6, später 6 bis 4,
schließlich 2 Wochenstunden, je mit der entsprechenden Zahl von
Arbeitsstunden; [...]
Wie weiterhin die
Stunden auf Komposition und Exposition verteilt gewesen seien, ist
nicht zu ersehen, jedenfalls wurde beides mit Eifer und Nachdruck
betrieben. Wöchentlich wurde ein 'Argument' diktiert, das in 1 1/2
Stunden ausgearbeitet und in weiteren 1 1/2 Stunden sofort
korrigiert und besprochen wurde. Bei den öffentlichen
Jahresprüfungen wurden bis 1781 regelmäßig von dem Rektor des
Gymnasiums (Volz), später von Lehrern der Anstalt selbst ein
'Aufsatz' diktiert, der von den unteren Abteilungen ins Lateinische
übersetzt wurde, und zwar meist so, dass die älteren Schüler zu
exzipieren (d. h. die Übersetzung sofort
niederzuschreiben), die jüngeren zu komponieren ( d. h. in längerer
Zeit auszuarbeiten) hatten; teilweise wurde auch exzipiert und dann
noch eine variatio dazu geliefert, zuweilen auch in lateinischen
Versen exzipiert, von manchen auch derselbe Text ins Griechische und
Französische, vereinzelt sogar ins Englische und Italienische
übersetzt. Auf diese Übersetzungsleistung gründete sich dann die
Erteilung der Preise (meist zwei) in der lateinischen Sprache. Auch
im griechischen Unterricht musste häufig der griechische Text nicht
ins Deutsche, sondern ins Lateinische übersetzt werden.
Bei diesem ganzen
Betrieb ist wesentlich, dass das Lateinische, wenn es auch
mit dem Griechischen in den Akten der Karlsschule gewöhnlich als
tote Sprache gegenüber den lebenden bezeichnet wird, doch als
Gelehrtensprache tatsächlich eine
lebende Sprache war, sofern Schriften
wissenschaftlichen Inhalts fast ausschließlich lateinisch
geschrieben und die akademischen Vorlesungen wenigstens teilweise in
lateinischer Sprache gehalten wurden. [...] Die feierlichen Reden
bei den Jahresfesten und die Disputationen wurden wenigstens
vereinzelt lateinisch gehalten; die der Einladung zu den Prüfungen
regelmäßig beigegebenen kürzeren populärwissenschaftlichen
Abhandlungen von dem professor eloquentiae
über Gegenstände philologischen Inhalts waren ganz überwiegend
lateinisch, auch die Probeschriften der Zöglinge aus der juridischen
und medizinischen Fakultät waren ganz überwiegend lateinisch, doch
so, dass mehr und mehr auch deutsche eindrangen; in den anderen
Fakultäten wurden ausschließlich deutsche verfasst, ohne Zweifel,
weil man bei den drei alten Fakultäten dem allgemeinen
Universitätsbrauch folgte, bei den neuen aber die moderne Sprache zu
gebrauchen sich nicht zu scheuen hatte. Indem so das Latein auch auf
dem wissenschaftlichen Gebiet allmählich, in den Vorlesungen fast
durchaus von der Muttersprache verdrängt wurde, zeigt sich die
Karlsschule, wie in vielen andern Dingen, als ein Spiegel der
Kulturentwicklung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. [...]
Dass man Lateinisch
lernen muss, gilt immer als selbstverständlich, und zwar nicht nur
unter dem Gesichtspunkt der formalen Geistesbildung, sondern das
Lateinschreiben ist Selbstzweck.
In den Instruktionen aus den ersteren Jahren wird wiederholt
'Zierlichkeit und Fertigkeit' des
lateinischen Stils
verlangt, und auch bei der Beurteilung der Prüfungsaufgaben für
Lehrer und für Schüler und bei den Probeschriften wird außer auf
elementare Korrektheit - gegen die freilich nicht selten gesündigt
wird - auf fließenden, zierlichen, deutlichen Stil gesehen. [...]
Vom
Anfertigen lateinischer Werke, das in den damaligen
württembergischen Schulen eine so große Rolle spielte, findet man
wenig Spuren in der Karlsschule; in den ersteren Jahren wurde es, im
Zusammenhang mit der Tradition, getrieben, aber schon in der Mitte
der 70er Jahre finden sich nur noch ganz vereinzelt Beispiele davon:
man ließ es, wie es scheint, stillschweigend einschlafen.
Dagegen nimmt die
Schriftstellerlektüre
eine bedeutsame Stelle ein und es treten darüber sehr erleuchtete
Anschauungen in neuhumanistischem und modernem Sinn zutag [...] Die
Bildung des literarischen Geschmacks durch Kennenlernen der antiken
Muster
Terenz, Vergil,
Horaz (mit Hinweis auf ihre Schönheiten), und des eigenen Stils
durch Übersetzung ins Deutsche, dabei sachliche Belehrung für die
Kriegswissenschaften aus Caesar, für die
Geschichte und Geschichtsschreibung aus Livius,
Justinus, Eutropius,
Florus, für die Ästhetik aus Horaz'
ars poetica
und besonders für die philosophische Ausbildung aus den
philosophischen Schriften Ciceros wird
wiederholt als Zweck des lateinischen Unterrichts bezeichnet. [...]
Als Ergänzung des lateinischen Unterrichts traten bald an dieser,
bald an jener der höheren philologischen und der philosophischen
Abteilungen
Römische Altertümer hinzu, auch
'Antiquitäten', seit 1788 'Archäologie' genannt [...]
Das
Griechische stand zu der Zeit, da die
Karlsschule gegründet wurde, auf einer niedrigen Stufe der
allgemeinen schulischen Wertschätzung. Es wurde zwar als nötig für
die künftigen Theologen, als nützlich für die Juristen und Mediziner
angesehen, aber wesentlich nur wegen des Verständnisse der aus dem
Griechischen stammenden technischen Ausdrücke und Schriften; unter
dem Gesichtspunkt der allgemeinen Bildung, der Einführung in das
griechische Geistesleben wurde es nicht betrachtet. Demgemäß
beschränkte sich der Unterricht im Allgemeinen wesentlich auf
elementare Sprachkenntnis und auf das
Neue Testament. [...]
Eine griechische Grammatik
findet sich nirgends genannt; es ist anzunehmen, dass in induktivem
Verfahren gleich mit Lesen und Übersetzen eines griechischen Textes
begonnen und im Anschluss daran Grammatik und Wortkunde, wohl mit
Diktieren, von Lehrern eingeübt wurde. Dem Anfangsunterricht dienten
die
Äsopischen Fabeln in der Ausgabe von
Hamberger, dann die Chrestomathie von Geßner und Gedike, welche
Stücke aus
Herodot, Thukydides,
Xenophon, Aristoteles,
Theophrast, Plutarch
enthielt; daneben wurden bis in die obersten philosophischen Klassen
Übungen im Komponieren und Exzipieren angestellt [...]
In den Jahren 1777 und 1778 wurde auch in
Hebräisch
und Chaldäisch Unterricht erteilt,
und zwar [...] dem für den Bibiothekarberuf bestimmten Eleven
Reichenbach in 2 Wochenstunden."
(aus:
Hauber 1907/1909, S.56-62, gekürzt}
(im Fettdruck hervorgehobene Wörter und Textpassagen im
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.09.2023