Folgt man der Spur gängiger schulischer Lehrwerke,
die Literaturgeschichte integrieren oder als eigene
"Literaturgeschichten" auftreten, dann ist darin zwar eine
vorsichtige Absetzbewegung von den Epochenkonstrukten und einer "trivialisierte(n)
Darstellung von Literaturgeschichte als einer Serie von Einzelepochen" (Wichert
22013,
S.48) durchaus zu erkennen, doch in vielen Produkten, die heute noch im
Gebrauch sein dürften, wurde und wird zum Teil das "Auffädeln von
Epochen bis heute" noch immer, zumindest mehr oder weniger "unbefragt als Orientierungswissen" (ebd.)
verkauft.
Allerdings haben sich inzwischen auch die Lehr- und Bildungspläne
geändert und haben auf verschiedene Weise Anschluss an den
fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Diskurs gesucht und
gefunden, so dass auch für die Lehrbücher im Rahmen der
Schulbuchzulassung inzwischen Neues hinzugekommen ist. Die Luft
für das von berufener oder weniger berufener Seite so gern
gepflegte, stereotype
Bashing eines vermeintlich ganz und gar verfehlten
Literaturgeschichtsunterrichts dürfte damit zumindest dünner
geworden zu sein.
Zudem tut die Literaturdidaktik gut daran,
sich im Auf und Ab konkurrierender wissenschaftlicher Moden
nicht vorschnell einer bestimmten anzuhängen, deren Halbwertszeit oft
weitaus geringer ist als von ihren Vertretern gesehen wird. Hier
tut in jedem Fall jener Pragmatismus gut, den schon Albert
Meier
81996.
S.578) als Konsequenz eines •
literaturgeschichtlichen Pluralismus in der Literaturgeschichte
gefordert hat, bei dem sich die verschiedenen Ansätze "gegenseitig tolerieren und das eigene Vorgehen weniger aus dem
Gegenstand als aus der Funktion zu legitimieren" (ebd.)
Dem Ruf Meiers
nach der "Freiheit zum Pragmatismus" Appell gewähren die mehr oder weniger
detaillierten Standards und Kompetenzerwartungen, mit denen die
Bundesländer je auf ihre Weise umsetzen, was die ▪
KMK-Bildungsstandards für die schriftliche Abiturprüfung im Fach Deutsch
(2012)
im Hinblick auf die Schaffung eines ▪
literaturgeschichtlichen und poetologischen
Überblickswissens ausdrücklich einfordern, allerdings wenig
Spielraum.
Die
Schulbuchverlage müssen dementsprechend auf dem Schulbuchmarkt
im Kampf um Marktanteile unter Beachtung der steuernden Vorgaben
aber auch so agieren, dass sie die Interessen der Lehrkräfte
berücksichtigen, die unter bestimmten institutionellen
Rahmenbedingungen den Umgang mit Literaturgeschichte
organisieren.
So kommen sie ihren Kundinnen und Kunden
auch entgegen
und halten an tradierten Epochenbeinteilungen und -begriffen fest,
wenn ein neues Lehrbuch am Markt platziert werden soll, zumal
sich ihre "tradierten Bezeichnungen im gegenwärtigen
gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess festgesetzt
haben." (Kepser/Abraham
42016, S.59, im Original teilweise im Fettdruck).
Diese
Orientierung an einer inhaltlich weitgehend obsolet gewordenen fragwürdigen Periodisierung, die selbst den Lehrkräften fragwürdig,
folgt dabei den Marktgesetzen, denen die Ware "Schulbuch" unterliegt. Und
die Lehrkräfte sehen sich angesichts "der
Knute des Zentralabiturs" (ebd.)
und dem daraus erwachsenden Druck gezwungen, dieses Epochenwissen möglichst
effektiv zu vermitteln.
So
wird also weiterhin auch auf die aus dem 19. Jahrhundert rührende
traditionelle Einteilung der Literaturgeschichte verbreitet. Diese teilt die
Literaturgeschichte oft in Literaturepochen wie Mittelalter – frühe
Neuzeit/Reformation/Renaissance/Humanismus – Barock – Aufklärung –
Empfindsamkeit – Sturm und Drang ▪
Jakobinismus,
▪ (Weimarer) Klassik"
▪ Romantik
– Realismus – Expressionismus
einteilt,
aber auch durch weitere Strömungen
wie z. B. Biedermeier, Vormärz oder poetischem Realismus ergänzt und fast
nach Belieben erweitert wird. Neben etlichen anderen •
Einwänden gegen die
traditionellen Epochenkonzepte ist diese Epocheneinteilung
keineswegs einheitlich und die Bezeichnungen für einzelne Epochen können
auch variieren.
Was allerdings weit
schwerer als die Kritik an der mitunter wenig nachvollziehbaren Verwendung
und Auswahl von Epochenkonstrukten wiegt, ist, wenn sie - beabsichtigt oder
nicht - mit dem von ihnen dargebotenen literaturgeschichtlichen (Epochen-)
Wissen weiterhin einen ""hegemoniale(n) Deutungsrahmen" (ebd.,
S.58) anbieten, der die grundsätzliche Problematik der
Epochenkonstrukte und der Perspektivität von Literaturgeschichtsschreibung
ausblendet. So kann man auch vertreten, dass die
weit verbreiteten "Kästchen", die vorgeben, mit einer paar Pinselstrichen
und in aller Kürze die relevanten distinktiven Merkmale einer
Literaturepoche zusammenzustellen, nicht ohne die entsprechende
Problematisierung zum Einsatz kommen. Aber auch gängige Schreibaufgaben
können hier einem "subjektiv bedeutsamen Text- und Geschichtsverständnis" (ebd.)
im Wege stehen, wenn es vorwiegend darum geht, bestimmte, vermeintlich
distinktive Epochenmerkmale an einem bestimmten literarischen Text
nachzuweisen, die im schlechtesten Fall zuvor einmal per Lehrervortrag oder
einem auf das vorgeblich Wesentliche beschränkten Arbeitsblattes oder
"Merkkästchens" vermittelt worden worden sind. (vgl.
ebd.)
Besonders ungünstig scheint in diesem Zusammenhang auch ein ▪
didaktisches Vorgehen zu sein, bei dem
"im Unterricht entsprechende Merkmale an einem paradigmatischen Text
vorgeführt und dann als epochale gelernt werden." (Born/Kämper-van
den Boogaart 32019, S.101f.)
Ein weiteres Problem, das
bei etlichen Lehrwerken zur Literaturgeschichte auftritt, hängt damit
zusammen, dass Literaturgeschichte darin "paradoxerweise vor allem als
Autorengeschichte betrieben (wird), ohne dass Schüäer/innen Einsichten
darüber erhalten, wie das Bild eines Autors konstruiert und tradiert wird."
(Pauldrach 2020,
S.1)
Ob, und wenn ja, welche
Darstellung der Literaturgeschichte im Unterricht herangezogen werden
sollte, wird didaktisch kontrovers gesehen. Ob ihre Verwendung für den
kompetenzorientierten Unterricht Sinn macht, hängt wie in so vielen Fällen
davon ab, wie und unter welchen Prämissen davon Gebrauch gemacht wird.
Sofern den Schülerinnen und Schülern ihr Konstruktcharakter klar ist, können
sie auch eigenverantwortlich auf solche Informationsquellen zurückgreifen.
Auch die auszugsweise Präsentation verschiedener gängiger
Literaturgeschichten kann den Konstruktcharakter gut verdeutlichen.