Statt eines linear-chronologischen Epochendurchgangs richten
exemplarische Querschnitte die Aufmerksamkeit auf so genannte
Epochenumbrüche. Diese stellen Zeiträume dar, "in denen sich
konkurrierende »Epochen« zeitlich überlappen" (Fingerhut
2002/2012, S.295). Befasst man sich mit diesen Umbruchzeiten, dann
kann vor allem "die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ins
Bewusstsein" gerufen und starre, möglichst scharf voneinander
abgegrenzte Epochenkonstrukte werden aufgesprengt werden. (vgl. Kepser/Abraham
42016, S.59). Trotzdem hält die Didaktik der Epochenumbrüche
aber am Ordnungsprinzip der Epochen fest.
Im schulischen Literaturunterricht spielen die Epochenumbrüche um 1800
und 1900 die wichtigste Rolle. Um 1800 kommt es zu einem Neben- und
Ineinander von unterschiedlichen Werken, die gemeinhin verschiedenen
Epochen wie
▪
Aufklärung
(1720-1785),
▪
Sturm und Dang
(1760-1785) , ▪
(Weimarer)
Klassik (1786-1805),
▪
Jakobinismus (1789-1796)
und
▪ Romantik
(1793-1835) zugeordnet werden. Um 1900 vollzieht sich
dagegen der Übergang zur literarischen Moderne. (vgl.
Leubner/Saupe/Richter 2016, S.231)
Die Funktion von Epochenbegriffen ist unter dem Blickwinkel von
Epochenumbrüchen betrachtet, darauf beschränkt, "Strömungen und
Positionen innerhalb des grundsätzlich problemorientiert angelegten
Porträt einer »Umbruchzeit«" (Fingerhut
2002/2012, S.296) zu charakterisieren und in einem induktiven
Vorgehen als "Wegweiser zur genaueren Textbetrachtung" (Leubner/Saupe/Richter
2016, S.231) bei der Erschließung von Texten eine ähnliche Aufgabe
wie Interpretationshypothesen zu übernehmen. (vgl.
ebd.)
Die Arbeit mit Epochenumbrüchen sollte dabei thematisch als
Kulturgeschichte konzipiert werden, die sowohl literarische als auch
Sachtexte und andere Medien umfasst.
In einem problemorientierten Zugang werden die ausgewählten Texte auf
die Gegenwart bezogen und vielfältige Verbindungen zu anderen
Kulturbereichen gesucht. Über den mit kulturell Bezügen erweiterten
thematischen Zugang zur Literaturgeschichte, sollen vor allem "kognitive
Zugriffsweisen mit emotional gesteuerten verbunden werden" (Fingerhut
2002/2012, S.285)
Indem der Umgang mit Literatur damit "an andere kulturelle Praktiken, z.
B. an Formen der Erziehung, die Geschlechterrollen, die
Autoritätsausübung zwischen den Generationen" gebunden werde, so
Fingerhut, könnten "kontroverse Werthaltungen, unterschiedliche
»Mentalitäten « (...) als gleichzeitig und miteinander konkurrierende
sichtbar (werden)." (ebd.,
S.295)
Am Beispiel von »Johann
Wolfgang von Goethes (1749-1832) »Briefroman
»"Die
Leiden des jungen Werthers" (1774) hat Fingerhut anschaulich
gezeigt, wie ein wegen seiner allgemeinen Epochenrelevanz für das
Epochenkonstrukt des Sturm und Drang kanonisierter Text bei in einer
thematisch konzipierten Unterrichtseinheit als ein literarischer Beitrag
zu einem Diskurs über ein Problem verstanden werden kann, an dem auch
andere Texte unterschiedlicher Art teilhaben. So bezieht Goethes
Werther dann seiner Auffassung nach "keine eindeutige Stellung mehr
gegenüber Gefühl, Liebe, Natur, Selbstmord, sondern stellt gerade
zeittypische Eindeutigkeiten in Frage. Die Schüler lernen nicht, was
Goethe sagt, sondern sie fragen, was sie selbst mit dem Angebot der
Briefe Werthers anfangen sollen. Es kommt dementsprechend nicht mehr
darauf an, »den Werther« als »typisch« für den »Sturm und Drang« zu
erweisen, sondern auf die Haltung der der Personen zu achten, auf ihre
Art, miteinander zu kommunizieren oder mit ihren eigenen Gefühlen
umzugehen – als Diskussionsangebot an die heutigen LeserInnen." (ebd.,
S.297)
Diesen Ansatz haben Margret und Karlheinz Fingerhut in ihrem im
Cornelsen Verlag erschienenen Lehrwerk "Deutschbuch -
Literaturgeschichte (2010)" mit ihren problemorientierten Themenkreisen
zu verschiedenen Literaturepochen umgesetzt, mit denen "literarische
Werke vor dem Hintergrund kontroverser Denk- und Empfindungsformen einer
vergangenen Zeit sichtbar und aus der Perspektive des Heute diskutierbar
werden." (ebd.,
S.289)
Für die Aufklärung und Empfindsamkeit, die unter dem Aspekt ihres
Beitrages zur Entwicklung einer bürgerlichen Verstandes- und
Gefühlskultur betrachtet werden, sind dies zum die drei Themenkreise
"Drama und Fabel als Instrumente der Aufklärung", "Toleranz und
Mitempfinden - Frieden statt Krieg" sowie "Erziehung".
Für die Weimarer Klassik, die unter den Aspekten Kunst, Freiheit,
Humanität betrachtet wird, die Themenkreise "Mut im Leben – Lebensmut,
Vorbilder in Balladen", "Die Natur – Betrachten, Erforschen, Erleben",
"Philosophische Gedanken in Gedichten" sowie "Entscheidungssituationen
in Monologen und Dialogen",
Das Konzept der Epochenumbrüche wird allerdings auch kritisch gesehen.
So hat Nutz (2002,
S.5), der mit seinem eigenen Konzept der
▪
"Erinnerungsarbeit" mit Schneisen
und Erkundungsrouten auf entdeckendes Lernen setzt, von der
Gefahr einer "Verengung der Erfahrungsmöglichkeiten des Vergangenen"
gesprochen, die dazu führen könne, dass Texte und Materialien durch den
didaktisch verordneten, problemorientierten thematischen Gegenwartsbezug
von vornherein auf bestimmte Inhalte und Bedeutungen reduziert werde und
damit "zu einer Verkürzung ästhetisch-literarischer Bildung
beitragen". (ebd.)