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Didaktische und methodische Aspekte

Der biografische Ansatz im Wandel

Literaturgeschichte


FAChbereich Deutsch
Glossar
Literatur Autorinnen und Autoren Literarische Gattungen ▪ Literaturgeschichte [ Didaktische und methodische Aspekte Überblick Orientierungswissen und Überblickswissen Wege zu literaturgeschichtlicher Kompetenz Epochenkonstrukte reflektieren Querschnitte und EpochenumbrücheTraditionelle Epochenkonstrukte oder Random Access?  Erinnerungsarbeit mit Schneisen und Erkundungsrouten Der biografische Ansatz im Wandel ◄ • Historisches Erzählen Literaturgeschichte in gängigen schulischen Lehrwerken Didaktik der Literaturgeschichte und "wehrhafte" Demokratie ] Überblick Von der Nationalliteratur zum modernen Pluralismus Literatur auf dem Weg in die Moderne Zwischen Mono- und Multiperspektivismus  ▪ Literaturepochen  Motive der Literatur Grundlagen der Textanalyse und Interpretation Literaturunterricht Schreibformen  Operatoren im Fach Deutsch
  

 

Das Interesse an Biografischem durchzieht heutzutage das öffentliche als auch das private Leben. Im Bereich des • Handlungsfelds Literatur gehören Im öffentlichen Leben dazu besonders Gedenktage und Jubiläen von bestimmten Autorinnen und Autoren, denen für die kulturgeschichtliche Bedeutung Deutschlands oder auch der Welt von den Fachwissenschaften, den Medien oder bestimmten gesellschaftlichen Gruppen und Kräften eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird.

Vom 19. Jahrhundert an bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein hat die Literaturwissenschaft bevorzugt die Biografie eines Autors bzw. einer Autorin genutzt, um die seine/ihre Werk zu erklären und zu deuten.

Die Wertschätzung des biografischen Ansatzes geht auf die "hermeneutischen Wende" Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts zurück, die mit der • "Kunstlehre des Verstehens" des Philosophen »Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834) eingeleitet wurde. Schleiermacher erkennt wohl als erster, dass auch das wahrnehmende Subjekt Einfluss auf das Verstehen nimmt und der Verstehensprozess auch von seinen Entscheidungen abhängt. Da er  Verstehen "als reproduktive Wiederholung der ursprüngl(ichen) Produktion aufgrund von Kongenialität." (Metzler Literaturlexion,21990, S.197) konzeptionalisiert, spielt auch die Biografie des Autors als • "psychologische Auslegung" für ihn eine sehr wichtige Rolle.

Der • literaturwissenschaftliche Positivismus im 19. Jahrhundert, der sich mit seinem Ansatz "literar(ische) Texte aus den sie bedingenden Faktoren herzuleiten" (Kablitz 2004, S.537) vor allem der Biografik zuwandte, verkam aber bei einigen ihrer Vertreter immer zu "bloße(m) Faktensammeln" (Petersen/Gutzen 72006, S.176)  und "Stoffhuberei" (ebd.), die sich kaum mehr in plausible Kausalzusammenhänge von Werk und Autor bringen ließen.

Dennoch: Auch die auf »Wilhelm Dilthey (1833-1911) zurückgehende • geisteswissenschaftliche Literaturwissenschaft, die den Positivisten gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Rang ablief, rückte nicht gänzlich von der Wertschätzung der Biografie für das Verstehen ab. Allerdings  verzichtet • seine Texthermeneutik vollständig darauf, historische, gesellschaftliche oder politische Kontexte in den Prozess des Textverstehens einzubeziehen. Literatur ist für ihn "Ausdruck des Seelenlebens" (Dilthey 1906/1957, S.320, zit. n. Becker/Hummel/Sander 22018, S.195). Seine Annahme "einer Deckungsgleichheit von Leben (des Autors) und Werk (des Autors)" (Becker/Hummel/Sander 22018, S.195) sowie die "Idee des nachfühlenden Aufspürens einer vermeintlichen Einheit von Leben und Werk" (ebd.), blendet den Autor zwar nicht völlig aus, hat aber mit dem Ziel der Biografik, die Lebensumstände eines Autors zu rekonstruieren und Parallelen zwischen Autor und Werk aufzuzeigen, nichts mehr zu tun. Diltheys Annahme, man könne als erkennendes Subjekt beim Hineinversetzen in einer Art übergeschichtlichem Kontinuum mit dem Text den quasi objektiven Sinn eines Textes erkennen, steht der Grundidee des biografischen Ansatzes diametral entgegen.

Der Verzicht auf die Einbeziehung historischer, gesellschaftlicher oder politischer Kontexte durch die geistesgeschichtlich orientierte Literaturwissenschaft hatte für die Literaturgeschichte fatale Folgen. Sie verlor nach und nach so sehr an Bedeutung, dass sie in der Lehre fast nur noch propädeutische Funktion besaß. Die Lebensumstände eines Autors waren im Rahmen der geistesgeschichtlichen Fokussierung auf den Inhalt eines literarischen Werkes und der Orientierung an ahistorischen "Grundbegriffen" wie dem Deutschen, dem Heldischen, dem Weiblichen, dem Prinzip der Treue u. ä. m. (vgl. Petersen/Gutzen 72006, S.181) mehr als nur zweitrangig geworden.

Im •"doppelten Sündenfall der deutschen Literaturwissenschaft" (Petersen/Gutzen (72006, S.181) haben danach die nationalsozialistische und die marxistische Literaturwissenschaft, die von der geisteswissenschaftlichen Methode gebotenen "Schnittstellen" konsequent für die Verbreitung ihrer Ideologie genutzt. Deren "Grundbegriffe" ließen sich ohne weiteres ideologisch so (neu-)besetzen, dass sie in das System der jeweiligen Weltanschauung fast ohne jegliche "Reibungsverluste" hineinpassten. Zudem wurde das "biographische Paradigma", da wo es wiederbelebt wurde, "stark für politisch-ideologische Zwecke missbraucht." (Pauldrach 2020, S.1)

Nach 1945 schien der Weg für eine Neuausrichtung der literaturgeschichtlichen Forschung zunächst frei und damit auch für eine Entwicklung, die dem biografischen Ansatz hätte neues Leben einhauchen können.

Allerdings setzte nach 1945 die • werkimmanente Methode (Werkinterpretation) mit seiner formalästhetisch ausgerichteten und ahistorischen Interpretationslehre, die die • Autonomie des literarischen Werkes ("Das sprachliche Kunstwerk lebt als solches und in sich." Kayser 1968, S. 24) betonte, dem ein Ende. Für die Werkinterpretation war der biografische Ansatz konzeptionell falsch, weil ein literarischer Text seinen ästhetischen Status gerade dadurch erhalte, dass er sich von der Biografie seines Autors oder seiner Autorin löse. (vgl. Spinner 32019, S.239f.) Die Tatsache, dass sie die Literatur ohne ihre kontextuellen Bezüge verstehen will, hat die werkimmanente Interpretation im literaturwissenschaftlichen Diskurs aber spätestens seit den 1990er Jahren endgültig ins Abseits bugsiert.

Dabei hatten sich schon zahlreiche andere Vertreter der Literaturwissenschaft von der Enthistorisierung des literarischen Werkes abgewendet. En vogue waren dann  "struktur- und sozialgeschichtliche Modelle (...), zu denen auch Periodisierungen nach dem Epochenschema zählen" (ebd.). Biografische Ansätze blieben hingegen bis die 1980er ohne größere Bedeutung.

Einen Auftrieb erhielten biografische Ansätze erst wieder mit der postmodernen Geschichtsauffassung, für die auch der amerikanische Literaturwissenschaftler »Stephen Greenblatt (geb. 1943) steht, der als einer der wichtigsten Theoretiker des so genannten »New Historicism gilt. Sein • Konzept des anekdotischen Erzählens, das die strikte Trennung von literarischem Text und historischem Kontext ablehnt, betont die Wechselwirkung zwischen Literatur und anderen kulturellen Diskursen und setzt die Literatur in Beziehung zu zeitgenössischen politischen, sozialen und kulturellen Phänomenen. Sie lehnt ferner eine hierarchische Trennung von "höherwertiger" und geringwertiger" kultureller Phänomene ab und behandelt alle kulturellen Phänomene bei ihrer Analyse gleichwertig. Darüber hinaus betrachtet sie Geschichtsschreibung etwas, das von den Perspektiven und Werten des jeweiligen Textproduzenten abhängt und betont auch damit ihren "Konstruktionscharakter" (Fichte 2007, S.712)

Im heutigen • Literaturunterricht gehört das Einbeziehen von Autorenwissen (Biografisches und autobiografisches Wissen) im Rahmen der • Analyse und Interpretation literarischer Texte zu den gängigen • Zugängen und • Methoden.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 18.08.2024

 
 

 
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