▪
Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
●
Die Karlsschule
▪
Überblick
▪
Kurzer Abriss der Geschichte
▪
Die
Schüler der Karlsschule
▪
Erziehung und militärischer Drill
▪
Lehr- und Unterrichtspraxis
▪
Privatleben - Fehlanzeige
▪
Ständische Ungleichheit
▪
Umzug nach Stuttgart 1775
▪
Textauswahl
"Vor allem ist die strenge Festsetzung des Lehrplans
auch für die akademische Stufe bemerkenswert, die ohne Zweifel in bewusstem
Gegensatz gegen die Universität, wo in dieser Beziehung akademische Freiheit
herrschte, aber auch gegen das Stuttgarter Gymnasium, wo sehr viel der
Willkür überlassen war, eingeführt wurde, die aber nach den allgemeinen
pädagogischen Ansichten des Herzogs sich eigentlich von selbst verstand.
Ferner die große Stundenzahl: 47
Wochenstunden Unterricht und Arbeitszeit (dazu 1 Stunde Wochengottesdienst
für alle Zöglinge ohne Ausnahme, zwar mit einigen Minuten Pause nach jeder
Stunde, aber anfangs ohne irgendwelche, erst von 1783 an mit sehr kurzen
Ferien. Auch dies entsprach der Auffassung des Herzogs, dass Gewöhnung an
andauernde gesammelte Arbeit ein Hauptziel der Erziehung, zugleich das beste
Mittel gegen Abirrungen sei. Da aber jene Ziffer zugleich die maximale ist,
die wenigstens abends (nach 6 bzw. 61/2 Uhr) nicht, höchstens morgens vor 5
oder 6 Uhr ('um den Musen die Erstlinge der neugestärkten Kräfte zu
weihen'), und etwa in den Erholungsstunden und am Sonntag überschritten
werden durfte, also mit den 8 Stunden wirklich die Tagesarbeit im Ganzen
abgeschlossen war, erscheint die Stundenzahl, abgesehen von den jüngsten
Abteilungen nicht übermäßig. Jedenfalls ist allseitig als ein hoher Vorzug
der Karlsschule anerkannt worden, dass man in ihr
arbeiten gelernt habe.
Ferner das Verhältnis der
Unterrichtsstunden zu der - in den Lehrsälen unter Aufsicht der
Offiziere zu verrichtenden - Privatarbeit.
Schon dass diese überhaupt für wichtig gehalten wurde, um im Einzelnen
geregelt zu werden, ist bemerkenswert. Die jüngsten Zöglinge bekamen keine,
die übrigen aber, dem entschiedenen Drängen der Lehrer entsprechend, mit
zunehmendem Alter eine größere Zahl von Privatarbeitsstunden und eine
entsprechend kleinere von Lektionen, so dass die Zeit der Privatarbeit bei
den vorbereitenden Abteilungen 1/6 - 1/8, bei den akademischen 1/2 -2/3 der
ganzen Arbeitszeit betrug. Dies wird ausdrücklich damit begründet, dass die
jüngsten Zöglinge noch nicht verstehen, sich selbst zu beschäftigen, bei den
älteren aber dies immer wichtiger werde. Dass seit dem Jahr 1775
auch die Verwendung der Privatarbeitsstunden für die einzelnen Fächer genau
bestimmt wurde, und zwar auch bis zu den höchsten Stufen, ist der
Höhepunkt der Unfreiheit, der Gängelung der Zöglinge durch die Anstalt.
[...]
Sehr beachtenswert ist ferner, wie bei einer nicht wesentlich sich
steigernden Gesamtschülerzahl die Zahl der Lehrabteilungen sich von Jahr zu
Jahr steigert, so dass die
Schülerzahl in den einzelnen Abteilungen sich beständig vermindert,
und in den untern Abteilungen nicht über 30, meist erheblich weniger, in den
obern 5-20, durchschnittlich etwa 15 betrug. Es herrschte also eine
beständig zunehmende
Individualisierung des Unterrichts für die einzelnen Zöglinge, ohne
dass doch andererseits die belebende, durch Wetteifer anspornende Wirkung
einer Mehrzahl von Mitlernenden preisgegeben worden wäre. Diese
Individualisierung wurde noch dadurch gesteigert, dass der einzelne Zögling
beim Jahreswechsel nicht regelmäßig in die von den Vorleuten geräumte
Klassen und ihren Unterricht einrückte, vielmehr jedes Jahr wieder in eine
etwas andere Gruppierung vorgenommen wurde, wie es eben den jedesmaligen
Verhältnissen und Bedürfnissen am meisten zu entsprechen schien; es wurde
also namentlich allzuweilen eine Klasse auseinander gezogen und die bessere
Hälfte mit Teilen einer älteren verbunden, die schlechtere mit den besseren
einer folgenden u. ä.; auch mitten im Schuljahr wurden zuweilen neue
Abteilungen errichtet, wenn der Eintritt neuer Schüler dies wünschenswert
machte, oder ließ man auch eine Abteilung eingehen, wenn wenige übrig
gebliebene Schüler ohne Schwierigkeit mit einer anderen Abteilung vereinigt
werden konnte. Es sind also die einzelnen Abteilungen nicht alle und immer
um eine Jahresstufe voneinander verschieden; andererseits hat es aber, außer
im Jahre 1773, auch keine vollständig parallelen Abteilungen gegeben,
vielmehr hatte jede Lehrabteilung einen nach den besonderen Verhältnissen
der Zöglinge differenzierten Lehrplan. Es ist klar, wie durch diese
Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse jedes einzelnen Zöglings es
erleichtert wurde, die Befähigten rasch vorwärts zu bringen und vorhandene
Lücken auszufüllen. [...]
Was die Gestaltung, den
Inhalt der Pläne selbst betrifft, [...] so fällt in den ersten
Jahren der Anstalt besonders die
große Zahl und die Verschiedenartigkeit der Unterrichtsfächer auf,
die den jungen Zöglingen geboten wurde; es sollten eben, entsprechend dem
ungeduldigen Drängen des Herzog nach sichtbaren Erfolgen - nahm er doch den
Ausspruch, seine Schule sein ein 'gelehrtes Treibhaus', wohlgefällig
entgegen -, Vorbereitungs- und Bestimmungswissenschaften sozusagen
gleichzeitig in die jugendlichen Köpfe eingepresst werden, wobei auf die
Auffassungskraft und Leistungsfähigkeit der Jugend nicht die gebührende
Rücksicht genommen wurde. Aber die Lehrer selbst haben sich im Dezember 1774
übereinstimmend und nachdrücklich hiegegen ausgesprochen und Beschränkung
der Zahl der Lehrfächer, Zurückhalten der Zöglinge auf einer niedrigeren
Stufe und Gewährung von Zeit, um das Gehörte und Gelernte zu verdauen,
gefordert. [...]
Im Einzelnen bleibt freilich
noch manches zu beanstanden,
so die übermäßige Stundenzahl bei den jüngsten Zöglingen, das frühe Anfangen
des Griechischen und Französischen neben dem Lateinischen, die geringe
Berücksichtung des Deutschen, der zu ausgiebige und verfrühte Betrieb der
Philosophie u. a. Dagegen muss aber de Tatsache, dass die
allgemein bildenden Fächer,
umfassend und nachdrücklich betrieben, als Voraussetzung für die
Fachwissenschaften und as gemeinsamer Unterbau für den vielverzweigten
Bestimmungsunterricht und teilweise noch neben diesem ihre
feste Stellung im Lehrplan
bekamen und behaupteten, als eine von hoher Einsicht zeugende,
bedeutungsvolle Tat auf dem Gebiet der Unterrichtsorganisation anerkannt
werden, der auch die hohe Schätzung, welche die Karlsschüler im spätern
Leben fanden, zu einem wesentlichen Teil zu danken ist.
Sehr erstaunlich bleibt dabei immer
das jugendliche
Durchschnittsalter der Zöglinge auf den höheren Stufen, im Vergleich
mit dem heute üblichen. Mit dem 9. Jahre wurden sie normalerweise
aufgenommen, in die philosophischen Abteilungen, ungefähr den Oberklassen
der heutigen höheren Schulen entsprechend, treten sie mit 14 oder 15 Jahren
ein, mit 16 oder 17 Jahren wird in der Regel das Berufsstudium begonnen und
mit 19-21 Jahren abgeschlossen. Dabei zeigen die
Aufsätze und Abhandlungen, die von
den Zöglingen auf den verschiedenen Stufen verfasst wurden, eine Reife, wie
sie heutzutage in dem entsprechenden Alter höchstens vereinzelt zu finden
ist. Man wird in dieser Hinsicht sich zu erinnern haben, dass damals
überhaupt die höhere Ausbildung früher zum Abschluss gebracht und möglichst
früh in die Berufsausbildung übergegangen zu werden pflegte, was durch die
rhetorisch-philosophierende Richtung der Zeit und des Lehrbetriebs im
Gegensatz zur kritisch-exakten der modernen Welt ermöglicht wurde, und dass
das ausgehende 18. Jahrhundert auch sonst vielfach durch die Frühreife
seiner Söhne Verwunderung erregt. In der Karlsschule war ein rascheres
Fortschreiten, als in andern, gewöhnlichen Verhältnissen, Plan und Absicht
des Leiters, und konnte durch den rücksichtslos systematischen Betrieb des
Ganzen wie der einzelnen Fächer, bei welchem Schüler, die nicht mitkamen,
zurückgelassen oder ausgeschieden wurden, auch erreicht werden. Und man wird
nach dem Erfolg nicht sagen können, dass die von verfrühter Steigerung zu
befürchtende Wirkung: Oberflächlichkeit, Äußerlichkeit oder Rückschlag in
Ermattung und wissenschaftliche Gleichgültigkeit, Im Allgemeinen bei den
Karlsschülern eingetreten wäre.
Der merkwürdigste und imponierendste Zug, den diese Lehrpläne gemeinsam
haben, ist der Geist
unablässigen
energischen Vorwärtsschreitens. Keine Unterrichtseinrichtung wurde
deswegen beibehalten, weil sie herkömmlich oder weil sie einmal eingeführt
war, sondern man hat fortwährend gefragt: Was hat sich bewährt und was ist
Bedürfnis?, und danach Bestehendes abgeschafft oder modifiziert und Neues
eingeführt. Soviel man von der Vollkommenheit der Schule sprach und für so
vorzüglich man sie auch halten mochte, man war doch unausgesetzt bestrebt,
sie noch vorzüglicher, noch vollkommener zu machen; man hat nie auf seinen
Lorbeeren geruht, nie einen Stillstand eintreten, vollends gar irgendwelchen
traditionellen Schlendrian aufkommen lassen; in beständiger Reflexion auf
sich selbst hat die Schule immer noch Höheres und Besseres, und zwar immer
unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, zu leisten sich bemüht.
Im April des Jahrs 1783 beginnt, nachdem im Jahr 1782 und anfangs 1783 sich
der Übergang allmählich vollzogen hatte, die
Universitätsperiode der Karlsschule.
Wesentlich Neues in organisatorischer Beziehung st in dieser Zeit nicht mehr
geschaffen worden;"
(Die fett hervorgehobenen Wörter sind im
Original gesperrt gedruckt)
(aus:
Hauber 1907/1909, S.33-36, gekürzt}
▪
Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
●
Die Karlsschule
▪
Überblick
▪
Kurzer Abriss der Geschichte
▪
Die
Schüler der Karlsschule
▪
Erziehung und militärischer Drill
▪
Lehr- und Unterrichtspraxis
▪
Privatleben - Fehlanzeige
▪
Ständische Ungleichheit
▪
Umzug nach Stuttgart 1775
▪
Textauswahl
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.09.2023