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Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
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Die Karlsschule
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Überblick
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Kurzer Abriss der Geschichte
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Die
Schüler der Karlsschule
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Erziehung und militärischer Drill
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Lehr- und Unterrichtspraxis
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Privatleben - Fehlanzeige
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Ständische Ungleichheit
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Umzug nach Stuttgart 1775
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Textauswahl
"Deutschen Unterricht nach dem Sinn und Umfang dieses heutigen schulmäßigen
Begriffs hatte die Karlsschule so wenig wie die andern höheren Schulen der
damaligen Zeit. Begreift man darunter nach heutiger Gewohnheit deutsche
Sprache, Literatur, Stilistik, Rhetorik und Poetik, so weist die Karlsschule
auf diesem Gebiet folgenden Unterricht auf.
In den ersten Jahren wird die 'teutsche Schul' oder 'Klasse' öfters erwähnt,
was aber nur den Elementarunterricht ohne Fremdsprache bedeutet. Von 1774 an
gibt es eine solche Klasse nicht mehr [...]
Für Zöglinge, denen das Deutsche nicht Muttersprache war,
'Undeutsche', hauptsächlich aus dem französischen Staatsgebiet, zuweilen
auch Russen und Polen, bestand während der ganzen Dauer der Schule ein
besonderer Unterricht im Deutschen; […]
Was den Unterricht der deutschen Zöglinge betrifft, so ist zunächst
zu bemerken, dass aus allen Zeiten der Karlsschule in Anweisungen für die
Lehrer, Lehrplänen, Vorlesungsverzeichnissen, Gutachten usw. die Mahnung
wiederholt wird, 'der Reinlichkeit der deutschen Sprache im Reden und
Schreiben sich zu befleißen' und die Jugend bei jeder Gelegenheit dazu
anzuhalten, wozu die Übersetzungen aus den Fremdsprachen und Übungen im
Briefschreiben dienen sollen. Besonderer Unterricht in deutschen Sprache
wird erwähnt: 1785-90 von dem Unterlehrer Erhard […] durch 'Vorlesen
schöner Stellen aus guten klassischen Schriftstellern', dazu
Nacherzählenlassen,
Berichtigung von Sprachunrichtigkeiten und fehlerhafter
Aussprache, auch 'Erklären von Wörtern aus ihrer Abstammung und ihren
verschiedenen Bedeutungen [...]. Von 1785 an wird auch von Göriz an den 1-2
obersten philologischen und gelegentlich an einer philosophischen Abteilung
Unterricht in 'Teutscher Sprache' erteilt, auch als 'Teutscher Stil' oder
'Briefstil' und 'deutscher Stil' von
Nast,
Lamotte, Schwab gelehrt.
Für die älteren Zöglinge […] lasen die Philosophieprofessoren über Rhetorik
und Poetik, und zwar 1775 Böck über 'Redekunst', Schwab von
1788 an wiederholt über 'Beredsamkeit'; vereinzelt über 'Ästhetik', sehr
vielfach, von 1784 an jährlich, über 'Schöne Wissenschaften' (im
wesentlichen - Ästhetik und Poetik) lasen von 1776-90
Abel, 1790-94 sein Nachfolger Bardili, 1778-86 wiederholt
Schwab; zuweilen ist dabei 'zur Bildung des Geschmacks', meist 'mit
Übungen in Aufsätzen und Briefen', vereinzelt auch 'in Reden', besonders
beigefügt; als Bücher, die dabei benützt wurden, finden sich erwähnt:
Engels 'Anfangsgründe der Dichtungsarten aus teutschen Mustern entwickelt'
und Adelungs 'Lehrbuch
über den deutschen Stil'.
Balthasar Haug
[…] hielt 1779 den Kameralisten und Medizinern eine Vorlesung über 'Teutsche
Sprache, Schreibart und Geschmack'.
Man sieht hieraus, dass der deutsche Unterricht an der Karlsschule, wenn er
auch von systematischer Behandlung weit entfernt war, doch keineswegs
vernachlässigt wurde, vielmehr von Anfang an Beachtung und Pflege fand, und
mit dem Heranwachsen der Schule, namentlich in der zweiten Hälfte ihrer
Lebensdauer, in steigendem Maße ausgebildet worden ist. Beachtenswert ist,
außer dem Nachdruck, mit dem von Anfang an auf sprachliche Korrektheit
gedrungen wurde, dass im Jahre 1783 ein eigentlicher Lesebuchunterricht an
den Unterklassen eingeführt wurde, den zu erteilen Professoren der
philosophischen Fakultät:
Abel,
Lamotte, Schwab nicht verschmähten. Ganz
besonders wurde, und zwar von Anfang an, später aber noch in gesteigertem
Maß, der stilistischen Seite - speziell auch für
Briefe, wie das einer weitverbreiteten Zeitrichtung entsprach -
sorgfältige und nachdrückliche Pflege gewidmet; auch bei der Beurteilung der
wissenschaftlichen Probeschriften, und in den verschiedenen Fakultäten,
wurde darauf sorgsam und streng geachtet. […] Dem heutigen Geschmack sagt
freilich der bei Lehrern und Schülern herrschende breite Periodenbau, in dem
man den Einfluss des ciceronianischen Stils erkennen mag, bei den Schülern
teilweise durchsetzt mit der
Kraftsprache der
Sturm-und-Drang-Richtung,
weniger zu, noch weniger die in den Festreden und -schriften der Lehrer nie
fehlenden schwülstigen Huldigungen für den Herzog; aber stilistisch
betrachtet sind dies vorzügliche, teilweise geradezu prachtvolle,
hinreißende Werke, die namentlich auch auf die Zöglinge einen mächtigen
Eindruck machen und ihren Darstellungen ein ähnliches Gepräge geben mussten.
Das Zusammenwirken dieser Einflüsse hat denn auch das Ergebnis gehabt, dass
den Karlsschülern überhaupt ein, freilich stark zur Phrase neigender, doch
gewandter, fließender, rhetorisch gefälliger und eindrucksvoller Stil
gemeinsames Eigentum und Charakterzug ist.
Von Wichtigkeit ist ferner die durch die allgemeinen Einrichtungen der
Akademie erleichterte und nahegelegte Übung, dass im unmittelbaren Anschluss
an den Unterricht Aufsätze aus dem Gebiet des
darin Behandelten ausgearbeitet werden mussten, hauptsächlich in den
philosophischen Fächern, aber auch in den philologischen und in manchen der
Spezialfächer. [...] Wie man [...] aus den Angaben der Lehrpläne und aus den
Abschlussprobeschriften der Zöglinge entnehmen kann, enthielten diese
Aufsätze, wozu die Lehrer des betreffenden Fachs die Aufgaben stellten -
freilich mit wenig Rücksicht darauf, ob das Thema im Gesichtskreis der
jugendlichen Zöglinge liege und für die Jugend geeignet sei, so dass viel
aktkluge Lebensweisheit ausgebreitet wurde -, einerseits eine Wiedergabe,
Zusammenfassung und Beurteilung des im Unterricht Gelesenen oder
Behandelten, andererseits räsonierende Betrachtungen in freierem Anschluss
an das Im Unterricht Vorgekommene, hauptsächlich in philosophierender und
namentlich moralisierender Richtung, wo zu rhetorisierender Darstellung,
aber auch zur Einführung geschichtlicher, besonders kulturgeschichtlicher
und ethnographischer Beispiele reichlich Gelegenheit und Anlass war. So
bildeten viele Aufsätze ein Hauptmittel für die durch den ganzen Unterricht
der Karlsschule hindurchgehende Tendenz, das einzelne nicht nur als solches
kennen zu lernen, sondern es als Glied eines größeren Ganzen und unter
allgemeinen Gesichtspunkten zum Bewusstsein zu bringen; durch die Nötigung
zur Einprägung und geistigen Durchdringung der Unterrichtsgegenstände und zu
klarer, gefälliger Schreibart sind sie in der Richtung auf wissenschaftliche
Stoffbeherrschung wie auf gute und lichtvolle Darstellung besonders
fruchtbar gewesen.
Was von deutscher Sprachlehrer, in engem Anschluss an Adelung oder
Fulda,
geboten wurde, dürfte wenig eindrucks- und wirkungsvoll gewesen sein. Dass
die Zöglinge der Karlsschule von den früheren Gestalten der deutschen
Sprache, von ihrer Geschichte und von der ältern deutschen Literatur so gut
wie nichts zu hören bekamen, versteht sich bei dem damaligen
wissenschaftlichen Stand dieser Gebiete selbst. Auch
mündliche Rede und
Vortrag wurde außer in den Disputationen bis 1782 nur ganz vereinzelt geübt,
wenn man nicht die gelegentlichen Theateraufführungen von Zöglingen und die
allerdings verhältnismäßig häufig von einzelnen Zöglingen gehaltenen Reden
zur Verherrlichung des Herzogs und seiner Gemahlin an deren Geburtstagen und
bei den Preisverteilungen, auch die vom Herzog befohlenen Reden bei den
Einladungen zur herzoglichen Tafel, hierher rechnen will.
Aber auch von Behandlung der neuern deutschen Literatur sind nur
wenige Spuren zu finden. Der Herzog, der in dieser Beziehung über die
französische Bildung seiner Standesgenossen und seiner eigenen Jugend nicht
hinausgekommen war, betrachtete die Dichtung wesentlich als müßiges
Ergötzen, als Spiel der Phantasie; für ihre höhere Bedeutung überhaupt, wie
für das Aufstreben und Aufblühen der nationalen Literatur hatte er kein
Verständnis und Gefühl, und an den Erzeugnissen von Sturm und Drang fand er,
soweit er überhaupt davon Kenntnis nahm, keinen Geschmack und fürchtete sie
wohl als umstürzlerisch. Wenn aber auch die deutsche Literatur als solche
nicht Gegenstand des Unterrichts war, so boten doch die Vorlesungen über
'Redekunst' und 'Beredsamkeit', und hauptsächlich über die 'Schönen
Wissenschaften', 'Ästhetik', 'Deutsche Sprache, Schreibart und Geschmack'
einen unverächtlichen Ersatz. Wohl handelte es sich dabei zunächst nur um
das Philosophische, die ästhetische und poetische Theorie, wobei man sich an
die herrschenden französischen, englischen und deutschen Kunsttheoretiker,
hauptsächlich Sulger, zwar in freier Weise, doch mit wenig Selbständigkeit
und ohne höheren Flug zu nehmen, anschloss; aber zu den allgemeinen Sätzen
wurden von den mit warmem Eifer für ihren Gegenstand erfüllten Lehrern als
Beispiele und Belege Proben aus der vorhandenen Literatur gegeben, der
französischen, der englischen, wobei Shakespeare nicht fehlte, und auch der
zeitgenössischen deutschen: Namen und Werke von Klopstock, Wieland, Lessing,
Winckelmann, Herder, ja, auch von Goethe waren in den Hörsälen wie in den
Arbeitsräumen der Zöglinge nicht fremd. So ging von diesen Vorlesungen neben
ihrem Hauptinhalt die wertvollere Nebenwirkung aus, dass eine gewisse
Literaturkenntnis übermittelt, hauptsächlich aber das Interesse in dieser
Richtung lebhaft angeregt wurde, wozu noch kam, dass manche von den Lehrern,
neben
Abel,
Haug, Schwab wohl auch
Schott,
Nast und
Drück u. a., zur
Beschäftigung mit poetischen Dingen persönlich ermunterten und darin
förderten. Und wenn auch wohl nicht alle Zöglinge dazu kamen, eine Vorlesung
über Schöne Wissenschaften zu hören, so ging doch bei dem engen
Zusammenleben der Karlsschüler die anregende Wirkung solcher Vorlesungen
auch auf die weiteren Kreise der Zöglinge über."
(aus:
Hauber 1907/1909, S.53-56, gekürzt)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.09.2023