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Württemberg zur Zeit Herzog Carl Eugens (1728-1793)
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Die Karlsschule
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Überblick
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Kurzer Abriss der Geschichte
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Die
Schüler der Karlsschule
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Erziehung und militärischer Drill
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Lehr- und Unterrichtspraxis
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Privatleben - Fehlanzeige
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Ständische Ungleichheit
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Umzug nach Stuttgart 1775
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Textauswahl
"Die Philosophie bildet nach den
Einrichtungen der Karlsschule den Übergang von den eigentlichen Schulfächern
[...] zu den Berufsfächern; sie hat also äußerlich die
Mittelstellung im
Unterricht der Schule, aber auch innerlich und fachlich die
Zentralstellung; der Absicht, aufgeklärte und
gesittete Menschen zu bilden, sollte sie vor allem dienen, sie ist das
Bildungsmittel
ersten Ranges in der Karlsschule, recht eigentlich ihr
wichtigstes Unterrichtsfach. Dies
entsprach dem Zeitgeist des 18.
Jahrhunderts, das das philosophische heißt, wo in der herrschenden
populären Richtung jeder Gebildete, namentlich auch die Großen der Erde
philosophieren, und alles, was in Rede und Schrift geschaffen wird, von dem
Ton und Geist des Philosophierens in der herrschenden Art gefärbt ist. Auch
Herzog Karl Eugen war von dieser Neigung zu philosophieren, wenigstens
in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit, stark beeinflusst, hörte gern
philosophische Erörterungen, unterhielt sich gern mit Philosophen und hielt
schließlich auch selbst gern philosophische Reden. So wandte er diesem Fach
an der Karlsschule besonderes Interesse und Beachtung zu. Auch am
Stuttgarter Gymnasium und an den Klosterschulen, selbst an den oberen
Klassen der Lateinschulen wurde dem Herkommen gemäß Philosophie in der Form
der Logik, d. h. des Auswendiglernens logischer (und rhetorischer)
Definitionen, getrieben; an der Karlsschule aber wurde, wahrscheinlich
wiederum unter französischem Einfluss, diesem Fach mit Bewusstsein eine weit
größere Ausdehnung gegeben; es wurde zum beherrschenden Fach erhoben, auf
welches aller vorangehende Unterricht zustrebte und welches dann allen
weitern Unterricht in den Berufsfächern mit seinen Strahlen durchleuchtete.
Für alle an der Schule vertretenen Richtungen, mit Ausnahme der Künstler und
Handelsleute, bildete die Philosophie, wenn auch nicht bei allen in gleicher
Ausdehnung, das Eingangstor und die Voraussetzung für das Fachstudium.
Nachdem einige Jahre schulmäßigen Unterrichts vorangegangen, hatten sich die
Zöglinge 2-3 Jahre, ungefähr im 15--17. Lebensjahr, mit ihr zu beschäftigen;
für diese Jahre bildete sie das Hauptfach mit 4-8 Wochenstunden, wozu noch
1-6 Vorbereitungs- und Wiederholungsstunden kamen; mindestens bis 1782
erstreckt sie sich auch in die beruflichen Abteilungen mit 1-2 verbindlichen
Wochenstunden. Bei der 1763 vorgenommenen Einteilung des gesamten
Unterrichts in die 3 Stufen bildet sie den beherrschenden
Unterrichtsgegenstand der mittleren, der 'philosophischen', welche, nach
normalerweise 5-6jährigem Unterricht, in den 'philosophischen' Abteilungen
2, 1789-93 3 Jahre, normalerweise das 15-18. Lebensjahr, umfasste, worauf
dann die beruflichen Abteilungen mit 2-4 Jahren folgten. Die Stundenzahlen
sind hier nicht mehr festzustellen, waren aber jedenfalls beträchtlich;
zeitweise erstreckte sich das Fach auch jetzt noch, weil die zwei Jahre
nicht reichten, mit einigen Stunden in die Berufsabteilungen.
Denn es wurde die Philosophie, trotz der
propädeutischen Stellung, die sie in dem Gesamtlehrplan der Anstalt
einnahm, in ihrer ganzen Ausdehnung nach dem damaligen Begriff gelehrt, und
zwar anfangs meist in der üblichen Reihenfolge: Logik,
Metaphysik (teilweise vorher Physik), wozu neben
Geschichte der Philosophie Ontologie,
Natürliche Theologie,
Kosmologie gehörte, dann
Psychologie und Moral, daneben zeitweise
Schöne Wissenschaften; von 1783 an nach
dem Vorschlag der Professoren in der Ordnung: Psychologie und Moral mit
Ästhetik, dann Metaphysik, Logik, Geschichte der Philosophie ('Meinungen der
Philosophen'). Neben dieser regelmäßigen Reihe wurde aus verwandten Gebieten
vorgetragen: seit 1784 abwechselnd von
Abel Enzyklopädie und
Methodologie der Wissenschaften;
1787 von demselben 'Anleitung
zur praktischen Menschenkenntnis nach eigenen Ideen'; 1788 und 89 auch 'Geschichte
der Religionen'- Seit 1787 lehrte Schmid 'Grundsätze
der Tugendlehre' für die jüngsten Abteilungen. 1788 gab
Schwab als Übergang von der Philologie zur Philosophie
eine Erklärung von Gedikes
Historia philosophiae antiquae,
1789 zu demselben Zweck eine Erklärung einiger philosophischen Schriften
Ciceros. Bardili las
gleichfalls über Enzyklopädie der Wissenschaften und 'Geschichte
der Religionen und ihren Einfluss auf den Charakter'.
Die Lehrer waren - alle im Tübinger Stift
ausgebildet -: 1771-75
Jahn (daneben 71-72 Drescher); 1772-90
Abel [...]; als dessen Nachfolger
Bardili [...]; neben Abel die Tübinger Professoren: 1775-76
Böck [...] und 1778
Ploucquet [...; ferner 1778-94
Schwab [...].
Als Lehrbücher wurden benützt: für
Natürliche Theologie Jerusalem; für Psychologie
Sulzers Theorie der Empfindungen;
für Logik und Metaphysik Feder und Ploucquet; für Moral Ferguson und
Plattners Aphorismen. Doch lehrten Abel und Schwab fast immer 'nach eigenen
Grundsätzen'; Abel hat dann auch ein Lehrbuch der Psychologie sowie der
Moral geschrieben. - Von 1775 an wurden in diesem Fach - von Böck in
Gang gebracht - regelmäßig Disputationen bei den öffentlichen Prüfungen
veranstaltet. Ferner wurden aus diesem Gebiet in größter Ausdehnung Aufsätze
und Abhandlungen von den Zöglingen in der Schule geschrieben.
Innerhalb
der Schule selbst und ihrer Lehrer hat in diesem Fach im Lauf der Jahre eine
bemerkenswerte Entwicklung stattgefunden.
Jahn, der zuerst diesen Unterricht erteilte, ließ die logischen
Definitionen und Distinktionen der Wolffschen Philosophie, wie sie sich im
schulmäßigen Unterricht herausgebildet hatten, auswendig lernen und
hersagen, ohne Verständnis zu erzielen und anzustreben; dies wurde von den
andern Lehrern und dem Herzog als wertlos erkannt. Als dann 1773 neben ihm
der 22jährige
Abel, Schüler der damals hochangesehenen Tübinger Philosophen
Böck und
Ploucquet, Philosophie zu lehren begann, wusste er durch seine frische,
anregende Art sofort die Schüler lebhaft für Philosophie zu interessieren
und zum selbständigen Denken in einer Weise anzuleiten, dass der
Religionslehrer Hartmann Ende 1774 fand, es werde
bei den jungen Leuten eine übermäßige Neigung zum Disputieren und Zweifeln
herangezogen, worauf dann der Tübinger Böck von Anfang 1775 bis Ostern 1776
an der Schule zu lehren veranlasst wurde, zugleich als Muster und Anleitung
für Abel. Da Jahn inzwischen abgegangen war, lehrte darauf 1776 und 77 Abel
allein Philosophie. Da aber bei der Prüfung zu Ende 1777 Professor
Ploucquet dessen Unterricht nicht gründlich
genug und zum Materialismus neigend fand, wurde dieser selbst für 1778 an
die Akademie berufen, zugleich um 'den Herzog in der Philosophie ein mehrers
zu bestärken'. Da aber Ploucquet, der, wie auch Böck, die Zöglinge
wesentlich in der Leibniz-Wolffschen Philosophie einübte, bei den Zöglingen
mit seinem hauptsächlich auf das Logische gerichteten Unterricht nicht viel
Verständnis und Anklang fand und von ihnen hinter Abel zurückgesetzt wurde,
indem sie meinten, dass jener 'sie zwar richtig, dieser aber schön denken
lehre', und da er auch selbst durch sein derbes, taktloses Wesen im
Privatverkehr bei dem Herzog anstieß, wurde, gewissermaßen als sein
Nachfolger, Ende 1778 Schwab als zweiter
Professor der Philosophie, vorzugsweise für Logik und Metaphysik, berufen,
neben dem jetzt auch vom Herzog anerkannten und hochgeschätzten Abel, der
vorzugsweise Psychologie und Moral lehrte, während Schöne Wissenschaften
gemeinsamer Lehrgegenstand beider war. Schwab hat diese Lehrtätigkeit, neben
der in französischer Sprache und Literatur, bis ans Ende der Karlsschule
fortgesetzt, übte aber, obwohl ihm eine gewisse Geschicklichkeit nicht
abgesprochen wird, nicht viel Wirkung, da er, ohne von den Fortschritten der
Philosophie, namentlich auch Kant, Kenntnis und Rücksicht auf sie zu nehmen,
die schulmäßige Wolffsche Philosophie zu unterrichten fortfuhr, wie er
denn späterhin als Bekämpfer der Kantschen Philosophie sich einen gewissen
Namen gemacht hat. Nachdem Abel 1790 als Nachfolger Ploucquets nach Tübingen
abgegangen war, kam in seinem Nachfolger an der Karlsschule,
Bardili, ein erklärter Anhänger und Vertreter der
Kantschen Philosophie auf den Lehrstuhl, der aber wegen der kurzen Dauer
seiner Lehrtätigkeit nicht mehr zu eigentlicher Wirkung gelangt ist.
So ist denn nach der Zeitdauer und der Geltung Abel
der weitaus wichtigste Philosoph an der Karlsschule, der eigentliche
Vertreter dieses Fachs geworden und geblieben. Auch er hat in der Zeit
seiner Wirksamkeit an der Schule Entwicklungen und Wandlungen durchgemacht.
Gleich zu Anfang seiner Lehrtätigkeit legte er dem Herzog einen Entwurf vor
'zu einer Generalwissenschaft oder
Philosophie des gesunden Verstandes, zur Bildung des Geschmacks, des Herzens
und der Vernunft', der, wenn auch inhaltlich späterhin mehrfach modifiziert,
doch die ganze Art seines philosophischen Unterrichts charakterisiert. Im
Gegensatz Jahns Unterricht wollte er, dass die Philosophie sich nicht bloß
an den Kopf, sondern auch an das Herz der Schüler wende; die übrigen Fächer
des Unterrichts sollten den Stoff liefern, aus welchem durch sokratische
Methode eine Philosophie der Natur und des Menschen zu abstrahieren sei;
dadurch sollte das Denken der Schüler geschärft und eine 'natürliche Logik'
in ihnen gepflanzt werden. Die allgemeinen Begriffe, 'die jeder Mensch als
Mensch notwendig braucht, und die die Absicht haben, ihn aufgeklärt und
gesittet zu machen', will er in ein System zusammenfassen und gliedert den
gesamten Stoff in folgende Abschnitte: 1. Die Körperwelt: ihre Geschichte,
ihre Gesetze und Philosophie über dieselben. 2. Der Mensch: Psychologie nach
ihren wesentlichen Teilen, Philosophie der Geschichte; dann Moral, Schöne
Wissenschaften und Logik, endlich das Leben eines wahren Weltweisen. 3. Von
der Welt überhaupt: Gesetze, nach denen sie regiert wird, Bestimmung,
Ursprung. 4. Der Weltschöpfer. - Wenn in diesem, freilich nicht eben sehr
klaren, Plane ein gewisser großer Wurf und eine, wenn
auch
mehr scheinbare, Selbständigkeit in der Aufstellung eines umfassenden
Systems nicht zu verkennen ist, und wenn er auch später zeitweise Gedanken
über die Seelenkräfte geäußert hat, in denen man Anklänge an den
Materialismus finden konnte, so fehlte ihm doch die nachhaltige Energie und
vor allem die Denkschärfe, um ein Reformator der Philosophie und des
philosophischen Unterrichts zu werden; er hat weiterhin unter dem Einfluss
der Kritik, die seine Wirksamkeit von verschiedenen Seiten, hauptsächlich
von dem hochangesehenen Ploucquet fand, wohl auch infolge eigener innerer
Entwicklung sich allmählich mehr und mehr den sonst herrschenden
philosophischen Lehren und Methoden angepasst, so dass seine Philosophie
sich von diesen nicht mehr wesentlich unterscheidet. Sie steht auf dem Boden
des Leibniz-Wolffschen Systems, sucht aber zugleich unter dem Einfluss
einerseits der englischen Sensualisten,
hauptsächlich
Locke, andererseits der schottischen Moralisten, hauptsächlich
Shaftesbury, Ferguson und
Hutcheson, gelegentlich auch der französischen
Materialisten und der deutschen Aufklärungsphilosophen
Sulzer, Garve, Mendelsohn
darüber hinaus und zu eigenen Ausstellungen zu gelangen, ohne sich doch über
das Eklektische zu erheben. In den großen Fragen von Körper und Geist, Welt
und Gott gelten Dualismus und
Theismus als erwiesen und feststehend, und auch die Autorität der
Bibel bleibt unbezweifelt, so dass sich im Unterricht
zwischen Religion und Philosophie kein Widerspruch erhob. In der Psychologie
vertrat er mit besonderem Eifer die Einfachheit der Seele und ihre
Unsterblichkeit (als eine Forderung der moralischen Weltordnung), in der
Moral die Glückseligkeitstheorie: das höchste Gut ist Glückseligkeit; diese
wird nur erreicht durch Tugend und Liebe, diese wiederum durch Erkenntnis
des Menschen und Gottes, durch 'richtige Begriffe'; also wahre Erkenntnis,
Wissen, Weisheit führt zum wahren Glück, der tugendhafteste Mensch ist der
glücklichste und umgekehrt. - Als dann Kants große Werke erschienen, hat
Abel sie nicht etwa ignoriert, sondern sich in seinen Schriften, die seit
1784 erschienen, angelegentlich mit der kritischen Philosophie beschäftigt
und sich einigermaßen davon beeinflussen lassen, so dass er selbst sich für
einen Halb-Kantianer hielt; indes hat er die Grundgedanken der Kantschen
Philosophie sich nicht anzueignen vermocht, wohl überhaupt nicht eigentlich
verstanden, und blieb so in der Hauptsache auf dem Boden der
Popularphilosophie stehen.
Ein Philosoph von wissenschaftlicher Bedeutung, von selbständiger Stellung
und Leistung in der Entwicklungsgeschichte der Philosophie ist also Abel
nicht gewesen, und doch übertraf er die meisten Lehrer der Karlsschule an
Ansehen und Wirkung bei den Zöglingen. Diese Wirkung übte er hauptsächlich
durch seine Persönlichkeit und seine
Lehrweise. Klein von Wuchs, etwas beleibt, war er doch von großer
Beweglichkeit, die ihn auch seinen Lehrvortrag nicht vom Katheder aus,
sondern in raschen Schritten durchs Zimmer gehend halten ließ. Auch pflegte
er vor und nach der Vorlesung Gespräche mit dem einen und anderen Zuhörer
anzuknüpfen. Dabei war sein Wohlwollen und warmes Interesse für die Zöglinge
kräftig zu spüren, und durch die Sanftheit, Lauterkeit und echte Güte seines
Wesens flößte er allseits Vertrauen und Liebe ein; besonders in den ersteren
Jahren, als er selbst noch mit seinen Schülern lernte, stellte er sich auf
einen freundschaftlichen Fuß mit ihnen, so dass die Zöglinge ihn eine 'Nathanaelseele',
den 'engelgleichen Mann' nannten. Aber auch durch seine
Lehrweise: da die in der Zeitrichtung liegende
und von ihm vertretene Art des Philosophierens an scharfes kritisches Denken
keine hohen Ansprüche stellte, vielmehr von gewissen Voraussetzungen
ausgehend die Erscheinungswelt verstehen zu lehren suchte und dabei zugleich
wesentlich praktisch gerichtet war, bildete sie in geschickter Behandlung
für die Jugend dieses Lebensalters und dieses Zeitalters eine nicht
unverdauliche und höchst zusagende geistige Nahrung. Abel befolgte im
Allgemeinen die Methode, die einzelnen Erscheinungen zu sammeln, aus diesen
das Gesetz abzuleiten und daraus wieder die Einzelerscheinungen zu
beleuchten und zu erklären, also in der Hauptsache ein induktives Verfahren.
Dabei brachte er nun eine Fülle von Proben aus der Natur und dem Leben, der
Geschichte und der Dichtung, antiker und moderner, bei, machte auch die
Zöglinge auf weitere literarische Werke aufmerksam, die er ihnen wohl gerne
auch aus seiner eigenen Bibliothek lieh, und bot ihnen so einerseits eine
für ihr Alter verhältnismäßig umfassende Kenntnis der Wirklichkeit und einen
weiten Umblick in der Literatur, der wissenschaftlichen und der schönen,
andererseits pflanzte er ihnen das Streben und die Gewohnheit ein, alles
einzelne sich verständlich zu machen. Da er zugleich ein Freund und Kenner
der schönen Literatur war, wie er ja immer zeitweilig auch über Schöne
Wissenschaften las, selbst auch hinreißende
Beredsamkeit
besaß und über die philosophischen Gegenstände, in dem weiten Sinn des
Wortes, der bei ihm und damals überhaupt üblich war, mit Benützung der
reichlichen dafür zur Verfügung stehenden Zeit die Zöglinge Aufsätze
ausarbeiten ließ und diese korrigierte und besprach, hat er um gute,
gewandte und schöne Darstellung bei seinen Schülern sich große Verdienst
erworben. Da man endlich den Eindruck bekam, dass die von ihm gelehrte
Tugend bei ihm nicht bloß Worte, sondern in seiner Person Tat und Leben sei,
und dass Streben nach Erkenntnis und Mitteilung des Erkannten ihm die tiefe
innere Befriedigung gewähre, hat er auch in der Richtung darauf, tugendhaft
zu handeln und zu sein und in edlem Erkenntnisstreben seine Befriedigung zu
finden, mächtige Wirkung geübt. So sind denn von diesem beliebtesten aller
Lehrer der Karlsschule auch die stärksten, fruchtbarsten und edelsten
Anregungen ausgegangen, die um so nachhaltiger waren, als auch die
Fachwissenschaften, die nach oder neben den philosophischen Studien
betrieben wurden, der allgemeinen Zeitrichtung entsprechend alle mehr oder
weniger in philosophischem Sinn gelehrt und behandelt wurden.
Und so war denn überhaupt der philosophische Unterricht an der Karlsschule,
trotzdem dass er wenig in die Tiefe ging und wenig bedeutenden
wissenschaftlichen Gehalt hatte, von der
größten Wirkung. Freilich, dass in dieser Philosophie Worte und
Redensarten eine große Rolle spielen, ist auch hier nicht ohne Einfluss
geblieben; der Phrasenschwulst und die Tugendrednerei, die in der
Karlsschule in Rede und Schrift einen so breiten Raum einnehmen, stehen dazu
nicht außer Zusammenhang; in den vielen schönen Worten ging Klarheit und
Schärfe vielfach verloren. Aber die Kehrseite ist doch weit überwiegend:
mächtige Weckung des philosophischen Interesses, des spekulativen Denkens,
Hinlenkung, Erziehung und Gewöhnung dazu, den Dingen auf den Grund zu gehen,
das Wahre und Echte vom Schein zu unterscheiden, die Einzelerscheinungen der
Natur wie des Geistes, der Wissenschaft, der Geschichte, wie des Praktischen
beständig in ihrer Wechselwirkung unter philosophischen Gesichtspunkten zu
betrachten, infolge davon nicht am schalen Zeuge zu kleben und sich in
Einzelheiten und Kleinigkeiten zu verlieren, sondern alles einzelne in den
Zusammenhang des großen Ganzen zu bringen und hienach zu behandeln und zu
werten und mit freiem, weitem Blick die Welt zu betrachten, das ist ein
zweifelloses Verdienst dieses Unterrichts, und in dieser Richtung hat die
Karlsschule gewaltige Spuren hinterlassen in ihren bedeutendsten und
berühmtesten Schülern, wie auch bei der großen Masse derselben, ein Vorzug,
dessen sie sich selbst lebhaft bewusst gewesen sind und der ihnen von den
Zeitgenossen auch willig und übereinstimmend zuerkannt wurde."
(aus:
Hauber 1907/1909, S.72-77, leicht gekürzt)}
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.09.2023