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Justus
Lipsius: Von der Geistesstärke – Die CONSTANTIA (1591) – Kostenfreie
Übersetzung Karl Beuth (Übersetzer)
Die anspruchsvolle Literatur des ▪
Barock lässt sich kaum ohne seine vom »Stoizismus
geprägte Vorstellungswelt verstehen. Eigentlich begegnet man ihm dabei
Schritt auf Tritt, zumal Grundbegriffe der Lehre immer wieder in
den Titeln von Werken auftauchen, wie z. B, auch in dem Lehrgedicht ▪
Zlatna oder
Getichte Von Ruhe deß Gemüthes (1623) von ▪
Martin Opitz (1597-1639),
der im Übrigen mit seiner Übersetzung des Dramas »"Troades"
(Die Troerinnen bzw. die Trojanerinnen) des römischen stoischen
Politikers und Philosophen »Seneca
(4 v. Chr. – 65 n. Chr.) ganz maßgeblichen Einfluss auf die
Verankerung des Stoizismus in der Literatur seiner Zeit genommen hat.
Die Stoa - eine der bedeutendsten und nachhaltigsten Schulen der
antiken griechischen Philosophie
Der Name
Stoa (στοά)
kommt von der »Säulenhalle
(Stoa) auf der »Agora,
dem Marktplatz des antiken »Athen,
wo der Begründer der Lehre,
»Zenon von Kition (333/332 – 262/261 v. Chr.), um 300 v. Chr. begann,
seine Lehre zu verbreiten.
Die Stoa betrachtet die Welt als ein
kosmologisches Ganzes und leitet aus dieser konzeptuellen »Ganzheitlichkeit der
Welterfassung ein in allen Naturerscheinungen und
natürlichen Zusammenhängen waltendes »universelles
Prinzip ab. Für den Menschen,
der den Lehren der Stoa folgt, ergibt sich daraus die Aufgabe, seinen Platz
in dieser Ordnung zu erkennen und einzunehmen.
Sein Glück (felicitas)
findet der Mensch in der Welt –
die christliche Glücksverheißung eines
ewigen Lebens gibt es in der griechischen Antike noch nicht. Im Gegensatz zu
der konkurrierenden Schule des »Epikur
(341-270 v. Chr.) (seine Anhänger werden als
Epikuräer bezeichnet), glauben die Stoiker nicht, "dass man durch das
Kultivieren eines maßvollen Genießens, durch einen kontrollierten
Hedonismus" (Willems 2012,
Bd. I, S. 362) dahin gelangen kann, im Einklang mit dem Kosmos, in einer Art
Seelenruhe (»Ataraxie)
Lebensglück zu verwirklichen.
Dem »epikureischen
Lustbegriff und dem Ziel der epikureischen Lehre, »Furcht,
Schmerz und Begiereden als Widersacher der Lebensfreude zu überwinden,
teilt die Stoa aber die Auffassung, "das Glück nicht in dem Zustand
lustvoller Erregung [zu] erblicken, den das Ausleben der natürlichen Triebe,
der Gefühle und Leidenschaften (griechisch: pathos,
lateinisch: affectus) zu verschaffen vermag".
(ebd.) Und
trotzdem, das Kernstück der epikureischen Ethik, das
Prinzip der Lust, das jedes Lebewesen
erstrebt und auch durch die wohlüberlegte, »kalkulierte
Befriedigung von Bedürfnissen auch tugendhaft "leben" kann, ist den Stoikern
fremd.
Sie halten in ihrer Ethik dagegen, dass es beim Streben nach Glück stets auf
die innere Haltung des einzelnen ankomme, da alles andere außerhalb
seines unmittelbaren Einflussbereichs liege. Über die Haltung zur
Glückseligkeit (Eudämonie) ist
ein der
epikureischen Ethik entgegensetzter Entwurf irdischen Glücks.
Im Geschehen der Welt, das streng einem vernünftigen, welterklärenden
Prinzip (Naturgesetz, Weltvernunft, Weltseele, Schicksal, Gott etc.) folgt,
nimmt der Mensch dann seinen Platz ein, wenn er sein Leben "nach
vernünftigen Prinzipien in Übereinstimmung mit dem Naturgesetz" (Drechsler
1995, S.174) gestaltet.
Dabei orientiert sich der Stoizismus am Ideal der Lebensführung eines
"Weisen, der allein sich durch freie Willensentscheidung dem determinierten
Weltgeschehen entziehen kann, indem er sich von seinen natürlichen Trieben,
Begierden und Affekten freimacht und in der Erkenntnis des Guten seine
Pflicht tut, d. h. ein tugendhaftes Leben führt." (ebd.)
Die Einsicht, die dem Weisen in den wahren Wert der Dinge gegeben ist, steht
dem das Erstreben von falschen Gütern, die dem Menschen seine Triebe
und Leidenschaften nahelegen, entgegen und ermöglicht ihm die Erkenntnis,
dass äußere Güter durch Leidenschaften nie wirklich zu erreichen sind und
den Menschen in einen Zustand der vollständigen Befriedigung versetzen
können und dass solche Güter auch für die erstrebte Glückseligkeit ohne
jeden Belang sind.
Die Glückseligkeit ist aber nur dann zu erreichen, wenn keine Triebe,
Gefühle und Leidenschaften (Affekte) die dazu erforderliche
Seelenruhe stören. Insofern kann man davon
sprechen, dass die Apathie, d. h. die
Abwesenheit und Freiheit von solchen Affekten, das Ideal des Stoizismus
darstellt. Die "Unterwerfung der Affekte unter die Tugend, die
Herrschaft der Vernunft über das Gefühlsleben" (Willems 2012,
Bd. I, S.362), die der Stoizismus einfordert, heißt im Grunde nichts anderes
als: "allein das Bewusstsein,
dank eines tugendhaften Lebens mit sich selbst im reinen zu sein, kann
auf die Dauer frei und glücklich machen." (ebd.)
Die Seelenruhe der Stoiker ist in unsere Umgangssprache als Redewendung
von der "stoischen Ruhe" eingegangen und
bedeutet, dass sich jemand eben durch nichts aus der Ruhe bzw. seinem
Gleichgewicht bringen lässt. Mit dem stoischen Ideal hat dies hingegen nur
bedingt zu tun.
Stoiker ziehen sich nicht aus dem Trubel der Welt in eine weltabgewandte
"Seelengemütlichkeit" zurück, sondern ihre Seelenruhe (»Ataraxie)
gründet auf der Tugend, die sie sich "nur in einem tätigen Leben, in der
vita activa erfahren und beweisen" lässt. (ebd.,
S.363) Für den Stoizismus gilt es daher, "sich auf engagierte Weise im
Gemeinwesen umzutun". (ebd.)
Nur, und das ist entscheidend für ihn, sollte dies nicht affektgesteuert
erfolgen, frei von Antrieben wie z. B. Empörung, Hass, Geltungssucht oder
auch "Mitleid mit den leidenden Menschen" (ebd.)
erfolgen. Stattdessen sollte es, salopp gesprochen, mit klarem Kopf
erfolgen, ganz und gar "aus der Vernunft entspringen, nämlich aus der
Erkenntnis der Pflicht (officium)." (ebd.)
Beständigkeit als Haupttugend des Neostoizismus im Gefolge von
Lipsius
Der Stoizismus der
Barockzeit war in besonderem Maße von dem niederländischen
Philosophen ▪
Justus Lipsius
(1547-1606) geprägt, der den sogenannten
Neostoizimus begründet hat.
Auch Lipsius "plädiert
nicht für passives Dulden und schon gar nicht für das Ausweichen vor
schwierigen Situationen im privaten und öffentlichen Leben, sondern für
tatkräftiges, von geistiger und moralischer Freiheit bestimmtes Handeln bzw.
für willensstarke Behauptung in allen Wechselfällen des Lebens." (Meid
2015, S.187) Im Vergleich zur antiken Stoa, die, wie schon erwähnt,
keinen eschatologischen Daseinsbezug auf das christliche Jüngste Gericht
kannte, vollzieht alles Leben und die Welt für ihn im Rahmen der göttlichen
Vorhersehung (providentia dei), die den
Menschen allerdings nicht davon entbindet, in Selbstverantwortung zu
handeln.
Ein »hohes Gemüt« nämlich
lässt sich seiner Auffassung nach eben nicht in seiner
Beständigkeit (constantia),
dem eigentlichen Bollwerk gegen die Affekte, »die rechte und
unerschütterliche Kraft des menschlichen Geistes« (»Lipsius,
De constantia, 4. Kap. C.1.4.23). Sie ist zugleich "die Haupttugend des
Neostoizimus" (Niefanger
32012, S.46) und stellt die Grundlage christlich fundierten,
vernünftigen und bewusst gesteuerten Handelns dar. Mit diesem Leitbegriff
seiner »Krisenphilosophie« in dem Kriegen besonders stark geplagten
Jahrhunderts bietet Lipsius ein überkonfessionelles Konzept für "die
Bewältigung der Krisen. die das Leben bringt (Krieg, persönliche Schicksale,
vermeintliche Zufälle)." (ebd.)
Was auch immer geschieht,
so die (stoische) Botschaft: Lass dich nicht von der Beständigkeit
abbringen, die dir in Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben den
Kompass in die Hand gibt, in den von der göttlichen Vorsehung gewährten
Spielräumen gut und tugendhaft zu handeln.
Die Beständigkeit, die
Lipsius bewusst als »Kraft« bezeichnet, ist dabei für ihn »eine Festigkeit
in Geist und Herz, die nicht von der blinden Meinung, sondern von gesundem
Urteilsvermögen und weiser Vernunft herrührt.« (»Lipsius,
ebd.)

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Dabei hat für Lipsius
Beständigkeit mit Halsstarrigkeit, die zwar vorgibt, das Ergebnis reiflicher
Überlegung zu sein, nichts zu tun, denn sie ist »getragen vom Winde des
Hochmuts und der Sucht nach Ruhm« und »die prahlerische Härte«, die
starrsinnige Menschen an den tag legen, ist Ergebnis ihrer andauernden
Selbstüberschätzung, die auf ihrer Hoffart, d. h. ihrem anmaßenden Stolz und
Dünkel, und ihrer »dümmlichen Fehleinschätzung«.(»Lipsius,
ebd.)
Wer wirklich Beständigkeit
(Constantia) erreichen wolle, müsse über die Fähigkeit verfügen, alle
möglichen Dinge, die einem im Leben widerfahren und zustoßen könnten,
freiwillig und klaglos zu ertragen. Ohne diese »Duldsamkeit und Demut des
Herzens« ließe sich eben, auch wenn man ansonsten auf die Vernunft setze,
Beständigkeit nicht erlangen. (»Lipsius,
ebd.)
Allerdings dürfe man
Duldsamkeit nicht mit »Mutlosigkeit
und Passivität eines kraftlosen Geistes« verwechseln, denn eine solche
Haltung sei ein Laster, das auf mangelndes Selbstbewusstsein zurückgehe.
Wer hingegen der
Tugend (virtus)
folge, gehe auf der Grundlage dieser »charakterliche(n) Vortrefflichkeit und Tauglichkeit«
»den Weg der Mitte« und hüte sie sich vor Über- und Untertreibungen aller
Art. Stets müsse die Tugend aber von der Vernunft geleitet werden, denn sie
allein ermögliche dem ´Menschen »das wahre Urteil und die verständnisvolle
Einsicht in die menschlichen und göttlichen Dinge«. Dies könnte die "»blinde
Meinung oder Einbildung« (opinio) eben nicht leisten und führe letzten Endes
nur zu einem »unsichere(n) und trügerische(n) Urteil über eben dieselben
Dinge.« (»Lipsius,
ebd.)
Die Lehren der antiken Stoa
werden während der Barockzeit aber nicht nur über Lipsius und seinem Konzept
der Beständigkeit, die letzten Endes die "Autonomie des Menschen gegenüber
der Affektwelt (sichert)" (Niefanger
32012, S.46), rezipiert. Daneben gibt es auch im Zuge einer
direkten Rezeption der Werke des römischen Philosophen »Seneca
(1-64 n. Chr.), der 300 Jahre nach der Gründung der griechischen
Philosophenschule durch
»Zenon von Kition (333/332 – 262/261 v. Chr.)
dessen Lehren fortführte, Vorstellungen, die den "Gedanke(n) eines
naturgemäßen Lebens (secundum naturam
vivere)" (ebd.)
in den Mittelpunkt rückten.
Der Neostoizismus als ideologisches Konzept der
Sozialdisziplinierung im 17. Jahrhundert
Der Neostoizismus, das hat
Gerhard
Oestreich (1969) schon festgestellt, kann auch auf dem Hintergrund der
Sozialdisziplinierung verstanden werden, die im Anschluss an
»Nobert
Elias' (1897-1990) 1939 erstmals erschienen Werk »"Der
den Prozess der Zivilisation" (1997, Bd. 1, S.324-356 und
Bd. II, S.408-420) als Teilprozess
eines fortschreitenden, aber keineswegs geradlinig verlaufenden
Zivilisationsprozesses betrachtet wird.
Im Kontext der ▪
Entstehung des frühmodernen Staates im
Absolutismus geht es dabei um das Ziel, möglichst alle Handlungen und
das soziale Leben der an Zahl wachsenden Untertanen zu kontrollieren, um den neuen
Territorialstaat, der die vielfältigen personenrechtlichen Beziehungen aus
dem Mittelalter mehr und mehr auflöste, auf ein solides und effektives
Fundament zu stellen. So kommen nach und nach "neue Elemente der sozialen
Kontrolle zum Einsatz, die auch einen wachsender Zwang zur Selbstkontrolle
nach sich zogen" (ebd.)
Gewiss konnte dies nur in
räumlich und zeitlich begrenzter Weise, meist nur auf der zentralen Ebene
des Fürstenstaates und dazu noch sehr unterschiedlich umgesetzt werden,
zumal sich auch andere "Formen des Aushandelns und Ausprobierens [...] der
Verhaltensspielräume im konkreten sozialen Handeln" (Niefanger
32012, S.53) in vielen Gebieten gab, die ohne autoritären
Druck von oben zu einer "funktionierende(n) »Selbstregulierung der
Untertanen« (Schilling
1997; Schmidt
1997)" führten. Dennoch hat das Konzept der Sozialdisziplinierung als "globale(s)
Interpretament sozialer Veränderungen in der Frühen Neuzeit" (Niefanger
32012, S.53) nicht vollständig ausgedient. Es kann eben immer
noch ziemlich, wenngleich nicht für alle in Frage kommenden Entwicklungen,
schlüssig erklären, unter welchen Voraussetzungen die Staatsbildung in den
Großterritorien Brandenburg-Preußens, Österreich, Sachsen, Bayern, Hannover
etc. sich vollziehen konnte und welche Bedeutung neue Formen der sozialen
Kontrolle dabei gespielt haben. Dass den "vielen Klein- und
Kleinfürstentümer, die das Bild des Alten Reiches aufs Ganze gesehen
prägten, (...) meist bereits die Kraft zur Vollendung der frühmodernen
Staatsbildung (fehlte)," (Schilling
1987, S.185) verdeutlicht dabei auch, dass das Konzept der
Sozialdisziplinierung von oben nicht als universelle Prozesskategorie taugt,
sondern eher einen idealtypischen Verlauf unter bestimmten Bedingungen
beschreibt.
In jedem Fall lieferte der
Neostoizismus mit seiner Affektkontrolle und seinen Leitkategorien der
Beständigkeit (constantia), der
Duldsamkeit (Patentia), der
Tugend (virtus) und der Anerkennung der
Pflicht (officium) einen über alle
Konfessionsunterschiede hinweg funktionierenden ideologischen Rahmen für den Prozess der Sozialdisziplinierung im
17. Jahrhundert, der sich über mehrere Generationen hingezogen hat.
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Justus
Lipsius: Von der Geistesstärke – Die CONSTANTIA (1591) – Kostenfreie
Übersetzung Karl Beuth (Übersetzer)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.03.2022
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