Die
Literaturepoche des
Barock
stellt eine vergleichsweise einheitlich beschreibbare Epoche dar, die zwischen dem
ganz und gar weltanschaulich-konfessionell geprägten
Reformationszeitalter
und der mehr von der Philosophie herkommenden
Aufklärung liegt.
Zwischen Carpe
diem und Memento mori: fortuna et vanitas
(lat. = Glück und Nichtigkeit)
"Vanitas, Vergänglichkeit ist das Kennwort der Epoche",
betont
Herzog (1979, S.100-105) und sieht in der "Erfahrung der Zeit, des
Vergänglichen, Transitorischen und Nichtigen aller Erscheinung in de
Zeit" das grundlegende Lebensgefühl im Barock, das sich auch in den
Widersprüchen dieser Zeit zeige: "Während der barocke Absolutismus für die Ewigkeit sich einzurichten
anschickt, ist alles verstört von der jähen Flucht der Zeit."

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Wer an Barock denkt, der erinnert sich u. U. schnell an
prunkvoll-überladene Kirchen mit ihren "Barockengeln" oder an gewaltige
Schlossanlagen, die in ihrer Pracht kaum mehr zu übertreffen zu sein
scheinen. Barock, so scheint es, war Lebensgenuss pur. Und doch stellen
die Freude am Leben und der Lebensgenuss, der prunkvoll-repräsentative
Lebensstil der Adeligen an den barocken Höfen, die mehr auf Schein als Sein
ausgerichtete Mode und die Begeisterung für Schmuck und Zierde selbst in den
einfachsten Dorfkirchen nur eine Seite barocken Lebensgefühls dar. Der
Grundsatz des Carpe diem, was so viel bedeutet wie: pflücke den Tag,
nutze den Tag, steht dafür und bringt zum Ausdruck, dass das vielfach
bedrohte und kurze Leben möglichst intensiv genutzt und gelebt werden
sollte.
Auf der anderen Seite - und immer in antithetischer Spannung dazu - steht
das Wissen des Menschen im Barock um die Vergänglichkeit allen irdischen
Daseins. Sein besonderes Verhältnis zum Tode entspringt aus dem
Lebenshunger einer von Krieg und Seuchen geprägten Zeit. Das
Memento mori
("Gedenke des Todes") hat daher seinen Ursprung nicht in "einer völligen
inneren Ausrichtung auf das Jenseits, einer aufrichtigen Askese und
Verachtung des Diesseits" (Frenzel,
1966, Bd. 1, S.116)
Die Aktualität des barocken Lebensgefühls im Zeichen des
Klimawandels
Die beiden
Gesichter des barocken Lebensgefühls ▪
Lebensgenuss und Vergänglichkeitsbewusstsein sind von erstaunlicher
Aktualität, wenn man gegenwärtige Debatten und Lebensgefühle mit
ihnen in Beziehung setzt. Denn "auch
wir kennen die angstvolle Ahnung weltumspannender Nichtigkeit und
Flüchtigkeit, grundiert von akuter Wirtschaftskrise, nicht enden wollenden
Selbstmordattentaten, religiösen Zweifeln, drohenden Klimakatastrophen und
den durch zahlreiche Publikationen aktualisierten Erinnerungen an die
tödlichen Materialschlachten des 20. Jahrhunderts; und zugleich ist uns jene
- auch medienbedingte - Ich-Schwäche vertraut, die hektisch Zuflucht sucht
bei der penetrantesten Schönheits- und Körperobsession aller möglichen
Porno-, Sex- und Wellness-Varianten.
Der Glanz und der Tod, das große Festmahl mit Musik und Tanz und darüber die
alles Irdische zermalmende Ewigkeit - gewiss kein Gegensatzpaar, das im 17.
Jahrhundert erfunden worden wäre. Aber die unvermittelte, heftige, jähe Art
zu erleben, in der dieses Widerspiel von Schönheit und Vergänglichkeit immer
wieder ein paradoxes, extremes Lebensbild der Zerrissenheit inszeniert, etwa
in jeder zweiten Tageszeitung - das verbindet durchaus unsere Tage mit dem
Zeitalter des
▪
Dreißigjährigen Krieges und des höfischen
»Larvenspiels«
(Johann Christian Günther) und öffnet selbst die film- und fernsehstrapazierten Augen unserer Zeitgenossen barockem Zeitempfinden.
Jedenfalls wurden die Bilder, Verse und Klänge des 17. und frühen 18.
Jahrhunderts lange nicht mehr so begierig wahrgenommen wie in jüngster Zeit."
(aus: Joachim Kronsbein, Johannes Saltzwedel u. Mathias Schreiber, Der Glanz
und der Tod, in: Der Spiegel, 11/2004, S. 168f.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.01.2022
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