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▪ Die didaktische Parabel in der
Literaturgeschichte
▪ Eine Parabel interpretieren (schriftliche Textinterpretation)
▪
Eine
traditionelle Parabel interpretieren
▪
Eine moderne
Parabel interpretieren
▪
Bausteine
Die Attribute
traditionell und modern, mit denen man zwei ▪
Grundtypen von Parabeln unterscheidet, stellt keine Wertung
daher. Sie drückt lediglich aus. Im Verhältnis zur ▪
traditionellen Parabel hebt der Begriff
der ▪ modernen Parabel, der
eine Gruppe von Texten mit einer großen Vielfalt umfasst, zunächst
einmal nur darauf ab, dass die
▪ Themen,
die sie behandelt und die Art und Weise, wie sie das tut dem
vergleichbar, was moderne Literatur auch sonst auszeichnet. ist, und ihre Nähe zu
Themen und Strukturen der modernen Literatur abgehoben.
Dabei lösen moderne
Parabeln aber traditionelle Parabeln nicht einfach ab oder ersetzen sie.
Auch in der Gegenwart gibt es weiterhin traditionelle Parabeln, die eine
Lehre vermitteln wollen. Moderne und traditionelle Parabeln existieren
also durchaus nebeneinander.
Und, so "griffig" die
Unterscheidung zwischen diesen beiden Parabeltypen scheint: Es gibt
viele Zwischentöne und Übergänge, weil Parabeln in besonderer Weise dazu
neigen, mal dieses oder jenes Merkmal mehr oder weniger stark
auszuprägen. Die Unterscheidung zwischen traditionellen und modernen
Parabeln hat also, darum geht es hier, vor allem heuristische Funktion,
wie man sagt, soll also durch das Herausstellen typischer Merkmale für
verschiedene Parabeln Ordnung in der Gesamtheit von Texten schaffen, die
als Parabeln bezeichnet werden, und damit die Orientierung erleichtern.
Dazu kann man auch die ▪
Gemeinsamkeiten und
Unterschiede zwischen beiden heranziehen.
Hier soll aber vor
allem eines aufgezeigt werden, was als Hauptkriterium für ihre
Unterscheidung gilt:
Traditionelle Parabeln
verfolgen eine Lehrabsicht. Aus diesem Grunde werden sie manchmal auch
Lehrparabeln genannt. Man spricht hier von ihrer didaktischen Funktion.
Moderne Parabeln verzichten darauf.
▪
Eine
traditionelle Parabel interpretieren
Was eine ▪
Parabel ausmacht, wurde lange von ihrer
kommunikativen Funktion abgeleitet. Sie sollte ihren Lesern auf eine
besondere Art und Weise eine allgemeine, universell gültige Lehre
über "Gott und die Welt" vermitteln. Diese Lehre selbst und ihre
Legitimation stehen dabei nicht in Frage, sondern sind Teil eines
bestimmten religiös oder, allgemein ideologisch bestimmten
Weltbildes. Dies zu bestätigen ist daher oft Ziel der Parabel.
Dieses ▪
didaktische Ziel sollte die ▪
traditionelle Parabel (auch oft, aber
nicht völlig gleichbedeutend didaktische Parabel genannt) dadurch
erreichen, dass sie eine Geschichte erzählt, die ihren eigentlichen
Sinn erst nach der eindeutigen Übertragung auf einen außerhalb des
Text liegenden (Bedeutungs-)Bereich enthüllt.
Ob das Ziel
erreicht wird, hängt dabei natürlich nicht nur vom Text, sondern vor
allem auch vom Leser selbst ab, der aus dem Text herauslesen muss,
dass etwas anderes gemeint ist, als das, was da erzählt wird, selbst
wenn das Erzählte, für sich genommen, durchaus auch Sinn machen
kann.
Um diesen Sinn der
Parabel zu verstehen, muss der Leser in einem quasi zweistufigen
Prozess zunächst einmal "erlesen", was im Text steht, und im
Anschluss oder auch während des Lesens, das Gelesene auf einen
außerhalb des Textes liegenden Bedeutungszusammenhang übertragen.
Was dabei geschieht, verläuft aber nicht in einem schematischen
Nacheinander, sondern beide Prozesse wirken ständig darauf ein, wie
wir den Text verstehen.
Was dabei im Umgang
mit dem Text passiert, hat man textseitig als so genannte
Doppelstruktur der Parabel beschrieben. Sie verdeutlicht, in
welchem strukturellen Verhältnis das Erzählte zu
dem eigentlichen Gemeinten steht und wie man sich den
Übertragungsprozess in einen neuen Bedeutungszusammenhang außerhalb
des Textes vorstellen kann.
Parabeln weisen
danach einen ▪ Bildbereich und Sachbereich
auf. Man spricht dabei auch
von Bildhälfte und Sachhälfte. Der Bildbereich ist das, was der Text
erzählt, der Sachbereich, was eigentlich damit gemeint ist.
-
In der Regel lässt sich das, was
im
Bildbereich erzählt - allerdings
auch nur unter gewissen Voraussetzungen - verstehen, auch wenn
einem auch das Erzählte mal mehr oder weniger sperrig vorkommt. Was erzählt wird, sind Figuren,
Dinge und Ereignisse, die wir aus der uns umgebenden
(außertextlichen) Welt kennen und ihre Beziehungen sind uns
in der Regel auch geläufig. Zugleich aber gibt es Anzeichen, die
wir im Bildbereich herauslesen können,
die uns auf die Suche nach einer dem Bildbereich übergeordneten
Bedeutung des Ganzen oder einzelner Teile gehen lassen: Nach
etwas Allgemeinerem, einer umfassenderen Bedeutung des Erzählten
m Weltganzen (man spricht hier auch manchmal vom
Totalitätsbezug), das in der meist knappen Erzählung verpackt
und verborgen ist.
-
Als
Sachbereich, auch Sachhälfte
oder Gedankenbereich genannt, wird das außerhalb des Textes
selbst liegende Ganze (Totalität), bezeichnet, das der Leser eines
Textes als eigentlichen Sinn der Parabel konstruieren soll. Auf dien Sachbereich bzw. Elemente daraus,
lässt sich das im Bildbereich Erzählte übertragen und dieser
Brückenschlag vom Bildbereich in den Sachbereich gilt als der
Schlüssel zu einem vertiefteren Verständnis einer traditionellen Parabel.
Zugleich ist die Befähigung zu diesem Analogieschluss oft die
Grundlage für die ▪ idealistische Überhöhung
der Parabel.
Die didaktische
Ausrichtung der ▪
traditionellen Parabel ▪
hierarchisiert auch die
literarische Kommunikation des Autors bzw. des Erzähler der Parabel
mit ihrem Leser bzw. Hörer.
Traditionelle
Lehrparabeln lassen eigentlich keinen oder nur wenig Spielraum für
eigene Sichtweisen des Leser. Wer die Weltsicht und die damit die
konzeptuelle Basis der vermittelten Lehre nicht teilt, dringt kaum
zum "eigentlichen" Sinn der Parabel vor. Was aber wiederum nicht
bedeutet, dass man sich beim Lesen tatsächlich nicht auch mit der
Bedeutung zufrieden geben kann, wenn man den Brückenschlag nicht
durchführen kann oder will.
Vom didaktischen
Ziel her betrachtet, ist der Parabelerzähler wegen seiner Rolle als
Vermittler der "wahren" Lehre aber stets der wissende ▪
Lehrer eines in die Schülerrolle
versetzten Lesers, der den Text nur dann verstanden hat, wenn er
den Rezeptionsvorgaben des Erzählers folgt.
Ein Musterbeispiel dafür ist ▪
Lessings (1729-1781) ▪
Ringparabel
in seinem Drama ▪
Nathan der Weise
(1779), bei der ▪
Nathan
als Erzähler und Aufklärer des "unwissenden" Sultans
▪
Saladin
agiert.
▪
Eine moderne
Parabel interpretieren
Der Begriff der modernen Parabel
wird nicht mehr auf ihre ▪
epische Kleinform beschränkt. Zu ihr zählen auch parabolische
Großformen wie z. B. manche ▪ Dramen
»Bertolt Brechts (1898-1956), (»Der
gute Mensch von Sezuan) oder die
Romane von ▪ Franz Kafka
(1883-1924) (▪
Der Prozess).
Und auch andere literarische Formen wie z. B. die
▪
Kurzgeschichte oder die
Novelle
bewegen sich in der modernen Literatur so aufeinander zu, so dass die
Gattungsgrenzen
insgesamt durchlässiger und fließender werden.
Die moderne Parabel gibt die didaktische Funktion preis.
Das hat weitreichende. Konsequenzen.
Zunächst einmal
sind ihre ▪ Themen
andere als die der traditionellen Parabel. Was sie zur
Sprache bringen, hinterfragt die Wirklichkeit und die Perspektiven,
unter denen wir sie wahrnehmen. Die Menschen, die sie zeigen, sind
zwar auf der Suche nach einem Weg, der ihrem Leben, ihrem Denken,
Fühlen und Handeln, Sinn geben könnte, finden ihn aber letztlich
nicht und bleiben damit existenziell orientierungslos. Ihr Dasein
hat den (religiösen) Transzendenzbezug aufgegeben, kann ihn aber
nicht ersetzen. Ein Sinnversprechen, wie dies noch die traditionelle
Parabel gibt, existiert bei modernen Parabel nicht. Am Ende steht kein in sich geschlossenes, konsistentes Weltbild,
sondern eine von Tradition und Ideologie geprägte Welt in Auslösung
und Widersprüchen.
Aus diesem Grund hat auch der enge Verweisungszusammenhang von
Bild- und Sachbereich bei modernen Parabeln an Bedeutung verloren
und wird bei etlichen ihrer Vertreter ▪
gänzlich
aufgelöst.
Damit hat die
traditionelle Doppelstruktur von Bild- und Sachbereich
indessen nicht vollständig ausgedient. Sie kann manchmal angesichts der existierenden
Formenvielfalt auch auf moderne Parabeln angewendet werden und muss
dabei weder der prinzipiellen Deutungsoffenheit im Wege stehen, noch
zur Entmündigung eines Lesers beitragen, der seine ganz eigenen, auch nicht unbedingt widerspruchsfreien
Brücken vom Bildbereich in den Sachbereich schlägt. Beispiele, wie dies, zumindest bei der schulischen
Textinterpretation aussehen kann, gibt es hinreichend. (z. B. bei
der Interpretation von (modernen) Parabeln von
Franz Kafka.
Und als Konsequenz
der zunehmenden Auflösung des traditionellen
Verweisungszusammenhangs wird auch die ▪ hierarchische Beziehung von Erzähler und
Leser in der modernen Parabel aufgehoben. Der Erzähler hat somit
auch eigentlich nichts mehr parat, um dem Leser den "eigentlichen"
Sinn des Textes zu enthüllen, sondern ist meistens selbst nicht
weniger orientierungslos als der Leser. Er lässt den Leser, dem der
Text oft unverständlich und ▪ fremd
vorkommt und den die negative Weltsicht oft auch verstört, allein.
Auf der anderen
Seite erhält der Leser in der modernen Parabel im
Vergleich zu ihren Vorläufern damit einen viel größeren Spielraum
für seine eigenen
Textkonkretisationen und Interpretationen.
Wie er den Sinn auf der Bildebene konstruiert und ob er und welchen
Bedeutungszusammenhang er jenseits der Bildebene konstruiert, ist
seine Sache.
Für die
schriftliche ▪
Interpretation von modernen Parabeln in der Schule bedeutet dies
indessen nicht, dass die prinzipielle Deutungsoffenheit moderner
Parabeln prinzipiell alles legitimiert, was einem zu einem solchen
Text einfällt. Hier geht es schließlich darum, die eigene Lesart auf
den Text zu beziehen und die eigenen Sichtweisen plausibel so
darzulegen, dass Verständigungsprozesse über einen Text möglich
werden. Insofern ist der Schlüssel zum Verständnis einer modernen
Parabel nicht allein von einer "Übertragungsidee" abhängig, sondern
von dem ▪
Zusammenwirken textseitiger und leserseitiger Faktoren bei der
Sinnkonstruktion.
Auf einen einzigen Sinn kann eine
moderne Parabel also nie festgelegt werden. Ob, wie sehr und auf
welche Art und Weise eine Parabeltext die Anzahl und Richtung
möglicher Interpretationen einschränkt, ist auch unter
Literaturwissenschaftlern strittig. So gibt es die Auffassung, dass eine
Parabel die prinzipielle Deutungsoffenheit literarischer Texte durch
ihren Wortlaut, besondere
explizite oder
implizite Transfersignale
und den Kontext in einer besonderen Art und Weise arrangiere und
dadurch die Anzahl möglicher Deutungen einschränke. (Zymner
1991, vgl. (Yun
Mi Kim 2012, S.29)
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▪ Die didaktische Parabel in der
Literaturgeschichte
▪ Eine Parabel interpretieren (schriftliche Textinterpretation)
▪
Eine
traditionelle Parabel interpretieren
▪
Eine moderne
Parabel interpretieren
▪
Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
08.01.2025
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