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Didaktische und methodische Aspekte

Für die Strukturen von Uneigentlichkeit sensibilisieren

Eine moderne Parabel interpretieren


FAChbereich Deutsch
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Schülerinnen und Schüler bringen, wenn sie sich • ab der späten Sekundarstufe I bzw. in der Sekundarstufe II mit ▪ modernen Parabeln im Literaturunterricht befassen, schon Vorwissen über die so genannte uneigentliche Sprachverwendung bzw. "Uneigentlichkeit" mit. Gewöhnlich haben sie uneigentliches Sprechen schon in zahlreichen Kommunikationssituationen, z. B. bei der Verwendung von Metaphern oder mit ironischen Bemerkungen erlebt und selbst erprobt. Sie wissen also aus eigener Erfahrung, dass es Wörter, Redewendungen und "Geschichten" gibt, die etwas anderes bedeuten als das, was zunächst nahe liegt.

Und viele von ihnen haben auch schon mit ▪ vielfältigen Leseerfahrungen im Rahmen ihrer ▪ Lesesozialisation mit Texten zu tun gehabt, in denen einzelne Wörter oder Wendungen (z. B. Metapher, Metonymie, Ironie) auf eine zu übertragende Bedeutung verweisen (punktuelle Uneigentlichkeit). Auch die Tatsache, das einzelne Teile eines Textes "eigentlich" etwas anderes bedeuten können, als sie zunächst vermuten lassen (z. B. Symbole, Allegorien oder auch Personifikationen), dürfte ihnen aus eigener privater Leseerfahrung und/oder aus dem Literaturunterricht bekannt sein (partielle Uneigentlichkeit). Und auch mit globaler Uneigentlichkeit ganzer Texte haben sie im Umgang mit • Fabeln und • Gleichnissen im Unterricht der Sekundarstufe I schon zu tun gehabt.

Bei • Fabeln und • Gleichnissen haben sie dabei gelernt, sich darauf verlassen zu können, dass sich, wenn man den expliziten Signalen (Transfersignalen) folgt, die einem die Richtung angeben, wo das eigentlich Gemeinte zu finden ist, sich der "eigentliche" Sinn des global uneigentlich daherkommenden Textes ergibt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Schülerinnen und Schüler über den fest gefügten, bei vielen älteren Texten religiös fundierten, an moralischen und gesellschaftlichen Normen orientierten Bezugsrahmen mit seinem mehr oder weniger geschlossenen System verfügen können, auf den sie sich mit der intendierten Lehre dieser Texte beziehen können. Dies kann aber angesichts der heute herrschenden gesellschaftlichen Heterogenität nicht immer vorausgesetzt werden. Wo dies aber gelingt, können sich die Schülerinnen und Schüler auch den • besonderen Spielregeln der literarischen Kommunikation dieser Texte fügen und Orientierung durch Einnahme der Schülerrolle in der vom Text geschaffenen • hierarchischen Lehrer-Schüler-Beziehung finden.

Die kognitiven Schemata der globalen "Uneigentlichkeit" in Texten bilden sich also in der Regel an verschiedenen • Prototypen von • Fabeln und • Gleichnissen sowie ▪ traditionelllen (didaktischen) Parabeln) heraus, die entweder • explizite Transfersignale aufweisen oder aber aus anderen Gründen als global uneigentlich rezipiert werden. Sie geben die Richtung der • Sinnkonstruktion vor, die im Idealfall mit der vom Erzähler festgelegten Textintention identisch ist und die dessen Vorstellungen durch die analoge Übertragung des Bildbereichs in den (gewünschten) Sachbereich nachvollzieht. Das dabei erworbene ▪ Gattungswissen wird angesichts ihres ▪ großen Transferpotenzials mit entweder selbst an Prototypen erstellten oder vorgegebenen • Merkmalkatalogs mental repräsentiert.

Die globale Uneigentlichkeit, mit der es die Schülerinnen und Schüler allerdings mit ▪ modernen Parabeln zu tun bekommen, stellt solche ▪ Strukturschemata als ▪ Organisationsstrategien beim Lesen in gewisser Hinsicht auf den Kopf. Die von solchen Texten ausgelöste »kognitive Dissonanz, d. h. die Erfahrung, dass das, was man gelesen hat, einfach nicht so kognitiv zu verarbeiten ist, wie man das gewohnt ist, ist nicht nur ungewöhnlich und mit der Erfahrung ▪ struktureller oder sogar ▪ radikaler Fremdheit verbunden.

Die erfahrene kognitive Dissonanz stößt allerdings auch die • Anpassung und Weiterentwicklung der kognitiven Schemata durch • Wissenszuwachs, • Feinabstimmung, • Umstrukturierung und • Integration (vgl. u. a. Einsiedler 1996, S.177) an. Damit Schemata, die grundsätzlich "variabel und damit flexibel" sind, auch in der Lage sind, Informationen zu verarbeiten, "die von normalen Objekten und Zuständen abweichen oder lückenhaft wahrgenommen werden" (Schwarz  1992, S.89), müssen sich die Schülerinnen und Schüler auf die fremd, sperrig, unverständlich wirkenden und oft auch Unlust erzeugenden Texte • einlassen und die dafür nötige volitionale Bereitschaft aufbringen, was eine pädagogische und didaktische Herausforderung darstellt. So müssen die behandelten Texte in einem insgesamt förderlichen Lernklima (vgl. auch ▪ Scaffolding) das Interesse der Schülerinnen und Schüler auch durch einen prinzipiell möglichen Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler wecken.

Schülerinnen und Schüler fühlen sich jedenfalls, wenn sie sich mit modernen, global uneigentlichen Parabeln beschäftigen, oft keineswegs sicher und fragen oft verzweifelt, woran man eine Parabel erkennt (vgl. FAQ 2). Entsprechende Hilferufe in Foren im Internet sind dafür ein deutliches Zeichen. Stehen sie vor entsprechenden Schreibaufgaben, treten leicht ▪ Schreibschwierigkeiten und Schreibstörungen auf, die manche Schülerinnen und Schüler nur dadurch im Zaum halten können, dass sie ihre ▪ lernstrategischen Orientierungen beim Schreiben entsprechend anpassen und zu schreiben versuchen, "was der Lehrer bzw. die Lehrerin hören will".

Nicht nur in den Foren, sondern oft auch in der Schule werden Schülerinnen und Schüler, die mit solchen Fragen kommen, dann mit ein paar "lausigen" sprachlichen und erzähltechnischen Merkmalen abgespeist, die mit ihrem eigentlichen Problem: "Woran erkennt man, dass etwas anderes gemeint ist als nur das Erzählte?" nicht im Geringsten beantwortet. Die negativen Motivationseffekte solcher "Ratschläge" liegen auf der Hand. Sie jedenfalls machen keinen Mut, sich mit den Voraussetzungen des eigenen Textverstehensprozesses ( volitionale und metakognitive Aspekt des Lesens) zu beschäftigen oder sich intensiver auf den Text einzulassen, um weitere Textaspekte in Augenschein zu nehmen und Hypothesen über deren Zusammenwirken zu entwickeln.

Wenn die Muster, mit denen Schülerinnen und Schülern dem Gelesenem Bedeutung bzw. Sinn zuschreiben wollen, am Beispiel von modernen Parabeln einfach nicht mehr zu funktionieren scheinen, die Texte sich einer Sinnzuschreibung geradewegs verweigern, weil sie

ergeben sich daraus auch besondere Anforderungen an die didaktische Reduktion. Dabei empfiehlt sich im schulischen Unterricht ▪ ein flexibler und pragmatischer Umgang mit Gattungsfragen jenseits der "reinen" Lehre, der eher ▪ wissenschaftsorientierten Ansatz der klassischen Gattungsdidaktik oder dem eher an der ästhetischen Erfahrung des Leser ansetzenden ▪ "Prototypendidaktik" zu folgen. Dabei gibt es freilich für beide Konzepte gm ▪ Handlungsfeld Literatur schulischen Lernens gute Gründe und beide Konzepte können in ihrer Anwendung zum Erwerb ▪ literarischer Kompetenz, insbesondere zur ▪ literarästhetischen Rezeptionskompetenz beitragen.

Einen wichtigen Ansatz, um die Erfahrung der »kognitiven Dissonanz und die damit verbundenen emotionalen und volitionalen Probleme von Schülerinnen und Schülern didaktisch zu bearbeiten, stellt die ausdrückliche • Thematisierung der bei der Textrezeption sich einstellenden Fremdheitserfahrungen dar. Die Kommunikation über solche Erfahrungen kann zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Text motivieren und dabei vor allem auch verdeutlichen, dass Fremdheitserfahrungen im Umgang mit den ▪ modernen Parabeln  ein Phänomen ist, das zahlreiche Leserinnen und Leser miteinander teilen.

Vorausgesetzt: die behandelten Texte treffen in einem insgesamt förderlichen Lernklima (vgl. auch ▪ Scaffolding) auf das Interesse und die volitionale Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler, weil sie "einen deutlichen Bezug zur Lebenswelt der Schüler haben oder aber ein großes Lustversprechen enthalten" (ebd.)

Die Schülerinnen und Schüler müssen dabei einen möglichst großen Freiraum bei der ihnen eigenen • Sinnkonstruktion haben, mit der sie die globaler Uneigentlichkeit des Textes auflösen. Das heißt aber nicht, dass die Bedeutungsverschiebung ganz und gar beliebig ist. Sie findet, auch wenn dies im Einzelnen von Extremfällen einmal abgesehen, gar nicht so einfach ist, ihre Grenzen im Bedeutungsumfang der in einem Text verwendeten Wörter und muss in der möglichen Anschlusskommunikation ein plausibles (nicht "richtiges"!) Textverständnis repräsentieren. Dabei darf aber nicht verkannt werden, dass auch die Bedeutungsverschiebung insgesamt ein Sinnkonstrukt darstellt, die einem Text nicht zwingend eingeschrieben ist, um ihn individuell zu verstehen. So kann und darf auch nicht apodiktisch ausgeschlossen werden, dass sich ein Leser oder eine Leserin bei der Rezeption mit dem "vordergründigen" Handlungssinn begnügt und damit Mustern folgt, die eher bei der Rezeption von Kurzgeschichten angebracht zu sein scheinen.

Unter literaturdidaktischem Vorzeichen ist es auch nicht von vorrangiger Bedeutung, dass Schülerinnen und Schüler am Text einer ▪ modernen Parabel die darin enthaltenen • impliziten Transfersignale, dazu noch in ihrer Gleichgerichtetheit identifizieren können. Stattdessen geht es letzten Endes einfach nur darum, plausibel zu machen, woraus man schließt, "dass der Text eine 'andere' Bedeutung hat" (Zymner 1991, S.88). Anzustreben ist dabei plausibel aufzuzeigen, was sich einem am rein Buchstäblichen des Textes orientierten Textverständnis auf der Bedeutungsebene des Textes entgegenstellt. Das können • "Stolpersteine" (semantische Inkohärenzen), das sind Wörter, Wendungen, ganze Sätze auf der lokalen Textebene sein, deren Bedeutung sich einem auf der Textebene einfach nicht erschließt.

Allerdings ist die Tatsache, dass ein Rezipient beim Lesen überhaupt den Eindruck gewinnt, "dass der Text eine 'andere' Bedeutung hat" (Zymner 1991, S.88), weder text- noch leserseitig garantiert. Oft zeigt sich die "globale Uneigentlichkeit" (vgl. Zymner 1991, S.87-96) von Parabeln einfach nur dadurch, dass die eigene Sinnfindung auf lokaler und globaler Textebene einfach nicht funktioniert oder anders ausgedrückt, das die konkrete Leseerfahrung nicht in die schon erworbenen Schemata des Textverstehens integriert werden können und damit die Herstellung eines Bedeutungszusammenhangs empfindlich "gestört" ist. In jedem Fall ist das Erkennen einer über den über den Buchstabensinn hinausgehenden Bedeutung nicht einfach eine Frage, die nur über eine möglichst genaue Erfassung eines Parabeltextes beantwortet werden kann.

Im Übrigen gehen Schülerinnen und Schüler, die im Rahmen einer Unterrichtseinheit oder Lernsequenz mit verschiedenen modernen Parabeln oder mit solchen Texten eines bestimmten Autors wie z. B. ▪ Franz Kafka konfrontiert werden, gewöhnlich davon aus, dass diese Texte "uneigentlich" sind und ihnen selbstredend die Aufforderung nach einer Bedeutungsverschiebung innewohnt, der sie im Allgemeinen mit den ihnen vertrauten Zugängen, wie z. B. • zu den Parabeln von Franz Kafka, zum Text auf die Spur kommen wollen, um entsprechende • typische Schreibaufgaben zur Interpretation von modernen Parabeln bewältigen zu können.

Wer dafür sensibilisiert ist, wird also über solche semantischen Inkohärenzen auf der Textebene so "stolpern", dass er/sie sich auf die Spurensuche nach der textexternen Bedeutung des Textes macht. Die Bereitschaft zur Spurensuche ist dabei letzten Endes der Schlüssel zum Verständnis gesellschaftskritischer ▪ moderne Parabeln wie z. B. »Keuner-Geschichten »Bertolt Brechts (1898-1956) oder • moderner verrätselter und poetisch-expressiver Parabeln wie den • Parabeln von Franz Kafka oder » Günter Kunert, die oft paradoxe Grundstrukturen aufweisen und die Gesetze der Wahrscheinlichkeit überschreiten und die Texte damit auch für für fantastische Elemente öffnen. (vgl. Nickel-Bacon 2014, S.103)

Wird ein Text als ▪ moderne Parabel verstanden, dann ist damit zumindest von vornherein klar, dass der Text ▪ wahrscheinlich keinen engen Verweisungszusammenhang zwischen einer Sachhälfte und Bildhälfte hat.

Das bedeutet, dass ein über die wörtliche Bedeutung hinausgehender Sinn der Geschichte nicht zwingend außerhalb des eigentlichen Textes im Normativen, Transzendenten oder Metaphysischen zu finden ist, wie dies bei den ▪ traditionelllen (didaktischen) Parabeln) in der Regel der Fall ist.

Worauf und wie der Leser die von ihm erkannte Suchanweisung nach einem übertragenen Sinn der Geschichte einlöst, bestimmt das ▪ Zutun des individuellen Lesers und seiner Leseart bei der Rezeption. Zugleich wird dadurch auch die grundsätzliche Vielzahl möglicher Konkretisationen stärker ins Blickfeld gerückt.


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Allerdings kann auch nicht übersehen werden, dass es immer wieder vorkommt, dass das gedankliche Konzept, mit dem ein Text zunächst einmal verstanden wird, auch verhindern kann, dass • implizite Transfersignale, die der Text enthält, überhaupt noch erkannt werden können.

Die Brille des eigenen Textverstehens lässt dann semantische "Ungereimtheiten", die die globale Uneigentlichkeit des Textes signalisieren, nicht mehr durch. Was eigentlich als "Stolperstein" gedacht war, wird "eingeebnet" und vordergründig "geglättet".

Anders ausgedrückt: Diese Textstellen werden dann einfach assimlierend in vorhandene Wissensschemata (z. B. Alltagswissen, allgemeines Weltwissen,▪ Handlungsschemata, ▪ emotionale Schemata etc.) "eingelesen", ohne dass sich das Textverstehen durch ▪ Anpassung des Schemas selbst weiterentwickelt.

Diese Einsicht ist vor allem auch literaturdidaktisch von großer Bedeutung. Ob man man nämlich Textstellen erkennen kann, die markieren, dass bestimmte moderne Parabeln als Ganzes oder zumindest in Teilen über das unmittelbar Dargebotene (Sachhälfte) auf eine andere Bedeutung verweisen, lässt sich nicht einfach dadurch "erzwingen", dass man mit herkömmlichen allgemeinen ▪ Strukturschemata als ▪ Organisationsstrategien beim Lesen an den Text herangeht. 

Allerdings macht es aber schon einen Unterschied, ob man einen solchen Text nur überfliegt z. B. ▪ orientierend bzw. ▪ diagonal statt ▪ intensiv, also auch mehrfach liest, weil man beim Überfliegen einfach auch manches überliest.

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 02.04.2024

       
 

 
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