Kafkas
Prosastück ▪ "Auf
der Galerie" lässt sich wie bei vielen anderen seiner Art
"den Genres, die durch Poetiken und/oder literarhistorische
Traditionen definiert und vermittelt werden" (Zymner
2010, S. 449), nicht so ohne Weiteres zuordnen. Und so ist auch
die Zuordnung dieses Prosastückes zur •
Gattung der •
Parabel zumindest vorschnell.
Für
Zymner (2010,
S. 456) ist ▪ "Auf
der Galerie" ein •
Denkbild. Es zeichne sich
durch seinen "grammatisch,
darstellerisch und damit auch semantisch geradezu systematisch gegenstandsauflösende(n) oder wenigstens thematisch verrätselte(n)
und allemal reflektierende(n) Charakter" aus. Daraus entsteheihre besondere
Deutungsoffenheit entstehe, "ohne doch ein Ziel der Reflexion
vorzuzeichnen oder erkennen zu lassen. Und genau diese Merkmale sind
es auch, so Zymner weiter, "die die einzelnen Texte immer wieder in
die Nähe anderer Genres rücken und ihre Bestimmbarkeit und
Unterscheidbarkeit als Belegfälle eines bestimmten Genres
erschweren."
Dessen ungeachtet ist der Text
auf teachSam unter den
•
Parabeln
Franz Kafkas einsortiert. Dies trägt der
Tatsache Rechnung, dass die gängige
Lesart des Textes in der Schule
ist, den Text als Parabel aufzufassen. Damit wird beim Textverstehen
jene Suchaufforderung in Gang gesetzt, die am Ende zu einer mehr
oder weniger konsistent wirkenden Übertragung der Elemente des
Bildbereichs in einen Sachbereich führen soll, um das eigentlich
Gemeinte vom bloß Dargestellten unterscheiden zu können.
Doch dieser
Übertragungsmechanismus, der sich an den oben genannten
prototypischen Beispielen vergleichsweise überzeugend anwenden
lässt, funktioniert bei Kafkas "Auf der Galerie" nicht so ohne
Weiteres. Das soll indessen
nicht heißen, dass solche Lesarten angesichts der •
Vielzahl von
Interpretationsansätzen, die auch dieser Text von Kafka ermöglicht, auf der
Grundlage derartiger Überlegungen prinzipiell einzuschränken wären.
Das •
Störpotential, das den Figuren strukturell
mitgegeben ist, lässt sich auch im Falle von • Kafkas
▪ "Auf
der Galerie" nicht vollständig auflösen. Damit kann und muss man leben,
weil die Figuren in Kafkas meistens offen angelegt sind und sich, damit auch häufig vereindeutigenden
Sinnzuschreibungen entziehen.
Das schließt auch ein, dass, vor
allem bei •
modernen Parabeln, sich nicht
alle Elemente des Bildbereichs einer widerspruchsfreien Übertragung und
einem globalen (Gesamt-)Sinn des
Sachbereichs fügen müssen, wenn der Text keinerlei
Sinnversprechen geben kann und will. Nicht immer lassen sich in
derartigen Texten die diese als Gattung konstituierenden •
impliziten Textsignale entnehmen und oft befindet sich auch der
Strukturzusammenhang von •
Bild- und Sachbereich in Auflösung.
Wenn bei der modernen Parabel die Bezugsrahmen von Bild- und
Sachbereich nicht mehr auf einem von Erzähler und Leser im Wesentlichen
geteilten, geschlossenen und konsistenten Menschen- und Weltbild beruht
und sich dieses Faktum auch in beiden Bereichen zeigt, muss auch die
▪
schulische Interpretation von Parabeln
sehr "offen" gestaltet werden.
Unter literaturdidaktischen Aspekten betrachtet kann dabei der
Zugang über das Gattungswissen auch bei diesem Text durchaus
fruchtbar sein, sofern über den Vergleich unterschiedlicher Texte,
die zur weiteren
Textsortenverwandschaft zählen, das eigenständige
Generieren von
(Familien-)Ähnlichkeiten
ermöglicht wird. Das gilt auch für den Vergleich mit Texten Kafkas,
die gemeinhin als gute Vertreter der Parabel gelten wie z. B.
nach der Auflistung von Zymner
(2010, S.456): •
Der neue Advokat,
▪
Der
Schlag ans Hoftor
▪ Der Aufbruch,
•
Der Geier,
▪
Der Schlag ans Hoftor,•
Die
Prüfung, •
Ein altes Blatt, •
Eine kaiserliche Botschaft,
•
Ein Hungerkünstler, •
Ein
Landarzt, •
Der Steuermann,
• Die Brücke,
•
Gibs auf
und ▪
Vor dem Gesetz.
•
Denkbild,
Parabel und Anaphorismus
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.10.2024