Gestaltendes Schreiben und die fachspezifische Erschließungsform
des gestaltenden Erschließens beziehen sich auf pragmatische und
literarische Texte. Hier bezeichnen wir, entsprechend dem
allgemeinen Sprachgebrauch im Zusammenhang mit den ▪
Begriffen
Interpretation und Analyse, gestaltendes Schreiben im
Anschluss bzw. Kontext literarischer Texte als gestaltende
Interpretation.
Dabei ist das Kriterium dafür also der literarische Ausgangstext
und nicht die Form der ästhetischen, epistemischen oder
reflexiven Gestaltung, die beim gestaltenden Schreiben nach
nicht-literarischen Vorlagen auch am Ende in die Gestaltung
eines eigenen Schreiprodukts münden kann, das
ästhetisch-literarischen Gestaltungsansprüchen genügen soll.

Gestaltendes Interpretieren,
wie es also hier verstanden wird, stellt eine
schriftliche ▪
textproduktive Umgangsweise mit
literarischen Texten dar,
die einen literarischen Primärtext als Ausgangspunkt für eine besondere Art der ▪
Erschließung des Textes nutzt.
Insofern stellt er also einen Oberbegriff für sämtliche
textproduktiven bzw. handlungsorientierten ▪
Umgangsweisen mit literarischen
Texten dar, bei denen die
▪ kognitiv-analytischen Verfahren zur Herstellung eines
vertieften Textverständnisses eine andere Rolle spielen und von
ihrer Funktion für die kreative, auf den Ausgangstext bezogene
und mit diesem kompatiblen Gestaltungsaufgabe betrachtet werden müssen.
Im Gegensatz zum Begriff der ▪
produktiven Textarbeit mit seinen verschiedenen Verfahren
bzw. dem Konzept der ▪
szenischen
Interpretation ist die gestaltende Interpretation stets schriftlich,
also gestaltendes Schreiben.
Die
▪
KMK-Bildungsstandards für das Deutschabitur (BISTA-AHR-D
2012) weisen das gestaltende
fiktionale Schreiben dem
Lern- bzw.
Übungsraum
schulischen Lernens zu. Insbesondere geben sie vor, dass
ausschließlich eine solche Gestaltung einfordernde
Schreibaufgaben keine Prüfungsaufgaben für das Abitur sein können. Sie können sich
nur als weiterführende gestaltende
Arbeitsaufträge anschließen, "die ihren
Schwerpunkt in
den Bereichen des informierenden sowie des erklärenden und
argumentierenden Schreibens haben". Bei derart umfassen
Schreibaufgaben muss also auch die Anwendung
▪ kognitiv-analytischer Verfahren zur Herstellung eines
vertieften Textverständnisses nachgewiesen werden.
Für das gestaltende (fiktionale) Schreiben gelten dabei die
folgenden Kriterien:
-
Die
Textvorlage darf nicht nur "bloßer Auslöser eines
subjektiven oder imitativen Schreibens" sein.
-
"Die
Textproduktion im Anschluss an eine literarische Vorlage
muss auf einem überprüfbaren Textverständnis basieren.
Dazu zählt insbesondere der literarhistorische und
sprachgeschichtliche Kontext."
Das bedeutet, dass eben nicht jede
Gestaltung, wie sie einem schreibenden Subjekt gerade in den Sinn kommt,
also ein freies, assoziatives Schreiben
über einen Text, das darstellt, was die Aufgabe verlangt.
Genauso wenig erschöpft es sich in einem einfachen
Nachmachen und Kopieren von Stilelementen der Vorlage. Am Ende muss also ein
intersubjektiv nachvollziehbares, mit dem Text
kompatibles Verständnis dieses Textes
stehen. Das bedeutet zunächst
einmal, dass die gestaltende Interpretation "einem allgemeinen
Textverständnis nicht zuwiderlaufen" (EPA
2002) darf.
Irgendwie ist es ein Spagat: Auf der einen Seite zielt auch die
gestaltende Interpretation mit ihren Mitteln auf die Darstellung
eines vertieften Textverständnisses des Primärtexts, zugleich
muss sie aber auch, um ihr motivierendes kreatives Potential
entfalten zu können, eine Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten
in ihrer Bezugnahme auf den Referenztext (Primärtext) zulassen.
Erst diese "Bindung an den
Text" sorgt dafür, dass eine gestaltende
Interpretation sich nicht zu sehr in rein subjektive Lösungen
der Schreibaufgabe versteigt.
Dabei ist die Bezugnahme auf ein irgendwie objektiv
daherkommendes allgemeines Textverständnis natürlich selbst eine
mehr als nur problematische Zielgröße. Und besser spricht man
hier von der Herstellung eines intersubjektiv nachvollziehbaren
plausiblen Textverständnis, auch wenn auch dies die Grundfrage
nicht wirklich löst: Welche Gestaltungen können unter welchen
Bedingungen diesen Anspruch einlösen?
So bleibt auch hier kaum etwas anderes übrig, als immer wieder
zu betonen, dass der inhaltlich-thematische, sowie der
strukturelle und sprachlich-stilistische Bezug auf den
literarischen Ausgangstext Grundlage der individuellen, kreativen
Bewältigung der Aufgabe darstellen soll. Reine Fantasieprodukte,
die zwar irgendwie auch vom Text mit ausgelöst werden, aber es an dem
nötigen Textbezug fehlen lassen, erfüllen die Aufgabenstellung beim
gestaltenden Interpretieren nicht. Sie muss sich, das ist ein Muss,
stets vom Text her legitimieren,
ohne damit den prinzipiellen Bedeutungsspielraum literarischer
Texte über eine solche Hintertür grundsätzlich einzuengen.