•
Kurzgeschichten
stehen als •
Freizeitlektüre von Jugendlichen nicht gerade hoch im Kurs. Im Unterricht
dagegen spielen sie vor allem •
in den Jahrgangsstufen 7-10 aus verschiedenen Gründen eine herausragende Rolle.
Die •
didaktischen Konzepte, die ihrer Behandlung
im Allgemeinen zum Tragen kommen, gelten im Wesentlichen für den
gesamten Bereich der • erzählenden Literatur
und somit auch für die • Kurzgeschichten von •
Wolfgang Borchert. Es gibt also, so gesehen, keine
besondere Didaktik und Methodik für den Umgang mit diesen Kurzgeschichten.
Das bedeutet allerdings
nicht, dass die unterrichtliche Behandlung dieser Texte keiner
didaktischen Reflexion bedarf. So muss die Auswahl der zur Behandlung
kommenden Texten begründet erfolgen, festgelegt werden, in welchen
Jahrgangsstufen welche Texte behandelt werden sollen, welche •
Lernziele damit verfolgt werden und welche •
Kompetenzen damit erworben, gefestigt oder erweitert werden sollen.
Schon Wilhelm
Große
(1995/2017, S.93f.) hat dabei auf die besondere Wirkung der
Kurzgeschichten Borcherts auf Schülerinnen und Schüler hingewiesen und
dies auf "die Glaubwürdigkeit seines kurzen Lebens, die Wahrhaftigkeit
der Texte, sie pazifistische Haltung, das unterkühlte Pathos"
zurückgeführt, die diese Geschichten auszeichneten. Sie sprächen die
Jugendlichen besonders durch ihre "Verweigerungshaltung" an und den in
ihnen zum Ausdruck gelangenden Pazifismus sowie "die in ihnen
verwirklichte Humanität", die auch seinen Texten ein hohes Maß an
Glaubwürdigkeit verliehen.
In einer Zeit, in der
der Krieg nach Europa zurückkehrt ist (Angriff Russlands auf die Ukraine
im Februar 2022), die Bilder von der Zerstörung des Gaza-Streifens durch
Israel und dem Schicksal der dort lebenden Menschen seit dem von der
terroristischen Hamas am 7.10.2023 verübten Massaker allgegenwärtig
geworden sind, und die Welt an zahlreichen Orten von Krieg und
Zerstörung gezeichnet ist, erhalten auch die Geschichten Borcherts, die
die Erfahrungen und das Schicksal der Menschen im Zweiten Weltkrieg und
der Nachkriegszeit im kulturellen Gedächtnis der Deutschen bewahren,
eine große Aktualität.
Der Zugang zu den
Texten im Unterricht erfolgt dabei überwiegend
kognitiv-analytisch oder produktiv mit verschiedenen
Methoden des handlungs- und
produktionsorientierten Unterrichts, die dem Entwicklungsstand, dem
Wissen und den erworbenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler
entsprechend zu gestalten sind.
Der •
kognitiv-analytische Zugang
kann über •
Gattungswissen, •
Textanalysewissen, •
Literaturgeschichtliches Wissen, •
Autorenwissen oder •
Intertextuelles Wissen
erfolgen.

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Im Allgemeinen
zielen solche •
wissensorientierten Konzepte, die auch als • "Literaturwissenschaftsdidaktik"
(Köster
2015, S.60 unter Bezugnahme auf
Pflugmacher
2014, S. 157f.) bezeichnet werden, darauf "in Bauformen,
Strukturen, Untergattungen und Strategien des Erzählens" (Kepser/Abraham
42016,
S.194) einzuführen.
Dazu gehört auch die
Herausarbeitung der •
Grundstrukturen von Borcherts Kurzgeschichten sowie die •
Besonderheiten seines Stils.
Konzepte der älteren Erzähltheorie als Grundlage der
literaturwissenschaftlichen Grundausbildung
Die
literaturwissenschaftliche Grundausbildung kann sich dabei nach Ansicht
von
Kepser/Abraham (42016,
ebd.) bei der
Erzähltextanalyse mit den Konzepten der
älteren Erzähltheorie
und ihren ▪
Strukturbegriffen
begnügen. Darunter fallen u. a. das Konzept der ▪
Erzählsituationen von »Franz
K. Stanzel (geb. 1923)
(1964,1979), die Analyse der Bauformen des Erzählens von »Eberhard
Lämmert (1924-2015) (1953/1955)
(z. B.
•
Erzählerbericht
und Figurenrede (Ältere Erzähltheorie).
Wer hingegen ein im
Vergleich zu Stanzels Konzept "weitaus offeneres, programmatisch
dynamischeres und der erzählerischen Praxis in der Tat angemesseneres
Instrumentarium" (Jeßing/Köhnen
22007, S.189) bevorzugt, findet in der ▪
Erzähltextanalyse nach Petersen (1998),
eine kriterienorientierte Alternative zu dem triadischen Konzept von
Stanzel. Dabei kann die etwas ▪
vereinfachte Form der "Kategorientafel" (Petersen
1998, S.8), die Petersen an anderer Stelle (72006,
S.58) zusammengestellt hat, insbesondere für die ▪
schulische Analyse erzählender Texte, nicht nur aus didaktischen
Gründen, die elementaren Instrumente im "▪
Werkzeugkasten"
bereitstellen.
Die Kategorien der
älteren Erzähltheorie
bestimmen auch die •
Lehrwerke in den Jahrgangsstufen 7 bis 10.
Ausgewählte Kategorien der neueren Erzähltheorie als Beitrag zur
Wissenschaftspropädeutik
Allerdings sollte,
wie auch wie
Kepser/Abraham (42016,
S.191) meinen, in Leistungskursen auch der Anschluss an die
neueren narratologischen Konzepte gesucht werden, die im Bereich der
Literaturwissenschaft heute an den Universitäten gelehrt werden.
Dazu
zählt vor allem die Erzähltheorie von
»Gérard
Genette (1930-2018) (1972,
dt. 1994)
(z. B. Kategorien wie
homodiegetischer
oder
heterodiegetischer Erzähler oder auch das ▪
Fokalisierungkonzept).
Auch die
Einführung in die Erzähltheorie (1998, 10. Aufl. 2016) von »Matías
Martínez und »Michael
Scheffel (geb.1958) schließt vor allem an Genette an.
Aber auch die Narratologie von »Wolf
Schmid (geb. 1944) (2005)
(z. B. •
Parameter der Perspektive)
bietet einiges, was schon im Literaturunterricht bei der Analyse von
Erzähltexten verwendet werden kann
.
Eine umfassende Orientierung der •
schulischen Erzähltextanalyse an den umfangreichen
Kategoriensystemen und
▪
Strukturbegriffen der
neueren Erzähltheorie bzw. der neueren wissenschaftlichen Narratologien ist
dabei allerdings sicherlich nicht möglich.
Kompetenzorientierte,
auf den produktiven Umgang mit erzählenden Texten setzende Konzept. auch als "Literaturdidaktik" (Köster
2015, S.60) bezeichnet, gehen mit den Texten "spielerisch" um
und wollen damit ein Verständnis für historische und moderne Formen des
Erzählens schaffen. Sie setzen an der Ganzheitlichkeit ästhetischer
Erfahrung an und rücken als •
Prototypendidaktik (vgl. u. a.
Spinner 2006,
Köster 2015) bildliches
Denken und das Finden von selbst generierten Ähnlichkeiten mit all ihren
dabei auftretenden Unschärfen in den Mittelpunkt.
Um zu einem vertieften
Verständnis der Kurzgeschichten zu gelangen, können verschiedene •
Formen und
methodische Verfahren der Kontextarbeit durchgeführt werden, die
auch einem ahistorischen Verständnis der Gattung entgegenwirken.
Dazu
zählen bei der • Kontextualisierung
der Kurzgeschichten Borcherts das •
Autorenwissen, das •
Gattungswissen, das •
historische Kontextwissen
und das • intertextuelle
Wissen.
In •
eigenverantwortlichem
Lernen, das sich auf entsprechende
prozessorientierte Arbeits- und Schreibaufgabene stützt, können die
Schülerinnen und Schüler über die • Biografie
Borcherts recherchieren oder Informationen dazu aus
bereitgestellten (Arbeits-)Texten entnehmen und in Bezug zu der bzw. den
jeweils ausgewählten Kurzgeschichten setzen. Dabei können Sie sich auch
mit den Möglichkeiten und Grenzen des •
biografischen Ansatzes
bei der Interpretation beschäftigen und ggf. auch reflektieren, wie
sich der • Ansatz im
Laufe der Zeit verändert hat.
Ebenso könnte das
Heranziehen von
historischem Kontextwissen vor allem im Zusammenhang mit einer
thematisch motivierten Auswahl von Kurzgeschichten (z. B. Krieg,
Nachkriegszeit, Humanität) von den Schülerinnen und Schülern in
eigenverantwortlicher Regie in Form
kooperativen
Lernens erfolgen. So könnten sie Informationen über Ursachen und
Verlauf des
Zweiten Weltkrieges (1939-1945) recherchieren, die als
Hintergrundwissen das Verständnis bestimmter Kurzgeschichten wie z. B. ▪ An diesem Dienstag, ▪
Mein bleicher Bruder
▪ Die Katze war im
Schnee erfroren,
•
Nachts schlafen
die Ratten doch oder
▪
Lesebuchgeschichten vertiefen. Analoges gilt für die
Beschäftigung mit den Kurzgeschichten Borcherts, die die Nachkriegszeit
thematisieren (z. B. ▪ Die Küchenuhr,
▪
Das Brot
▪
Der Kaffee ist
undefinierbar ▪
Die lange lange
Straße lang
▪
Lesebuchgeschichten).
Werden Kurzgeschichten
verschiedener Autorinnen und Autoren zum intertextuellen ▪
Textvergleich mit
einer oder mehrerer Geschichten Borcherts herangezogen, so können sie z.
B. in Form eines
▪
thematischen,
▪
synchronen
oder ▪
diachronen Vergleichs
oder ▪
als ▪
Motivvergleich,
▪
Stilvergleich,
▪
Gattungs- bzw. Textsortenvergleich
sowie als ▪
intermedialer Vergleich
durchgeführt werden.
Auch der Zugang über
die ▪ Intertextualität
können zu einem subjektiv bedeutsamen Text- und Geschichtsverständnis
führen. Statt der üblichen Erarbeitung von Aspekten zur
literaturgeschichtlichen Einordnung der Geschichten in die Literatur der
Nachkriegszeit könnte die Arbeit mit
den so genannten •
Erinnerungsschneisen
bzw. Erkundungsrouten exemplarisch bewusst machen, "wie
sich das kulturelle Gedächtnis durch Erinnerungsarbeit in
verschiedenen Diskursen konstituiert." (Nutz
2002, S.9)
Verschiedene
Arbeitsanregungen der einen oder anderen Art finden Sie unter den
• Bausteinen zur Gesamtheit der
Kurzgeschichten Borcherts und zu den einzelnen Kurzgeschichten auf teachSam.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.05.2025
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