Der bayerische Lehrplan
im Fach Deutsch für das 2026 auslaufende 8-jährige Gymnasiums und
der ab 2024/25 nach der Wiedereinführung des 9-jährigen Gymnasiums
geltende Lehrplan sind, was den Umgang mit Literaturgeschichte angeht, von einer
grundlegenden Neukonzipierung gekennzeichnet, der dezidiert
Anschluss an den fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen
Diskurs sucht (und findet).
So hat der Lehrplan für das 8-jährige Gymnasiums
noch an einem starren Konzept
des • Epochendurchgangs
mit den traditionellen Epochenbegriffen und Periodisierungen festgehalten:
In der 10. Klasse sollten
sich die Schülerinnen mit Werken aus den Epochen des Sturm und
Drang und der Aufklärung, in Klasse 11 mit "repräsentativen
Werken der Klassik und des 19. Jahrhunderts" (Romantik sowie im
Überblick mit realistische Strömungen im 19. Jahrhundert: Junges
Deutschland, Vormärz, Biedermeier, bürgerlicher Realismus,
Naturalismus) und in Klasse 12 im Überblick mit weiteren
literarischen Strömungen (Jahrhundertwende und klassische
Moderne, Expressionismus, Literatur in der Weimarer Republik,
Exilliteratur, Literatur der "inneren Emigration", literarischer
Widerstand) befassen.
Der »LehrplanPLUS Bayern
für das Fach Deutsch, der in Bayern seit der Rückkehr zum
9-jährigen Gymnasiums ab 2024/25 gilt, hat das Konzept des
Epochendurchgangs ab der Jahrgangsstufe 10 aufgegeben und die
literaturgeschichtlichen Fragen und Probleme allein den
Jahrgangsstufen 11 bis 13 zugeordnet. Weiterhin wird aber Wert
darauf gelegt, dass die Schülerinnen und Schüler ein
Überblickswissen erwerben, das sich über eine größere Anzahl von
Epochen und Strömungen der deutschen Literatur vom 17. bis zum
21. Jahrhundert erstreckt.
Dabei
akzentuiert der LehrplanPLUS sehr detailliert, was man in Bezug
auf das bayerische Abitur unter dem in den •
KMK-Bildungsstandards (BISTA-AHR-D 2012)
geforderten ▪
literaturgeschichtlichen und poetologischen
Überblickswissen zu verstehen hat. Dieses Wissen
wird, wie am Beispiel des erhöhten Anforderungsniveaus für die
Jahrgangsstufen 12 und 13 deutlich wird, zum Teil sehr
detailliert benannt, wenn z. B. im Kontext der
Kompetenzerwartungen zu verschiedenen Strömungen der deutschen
Literatur des 19., 20. und 21. Jahrhunderts in Klammern ganz
bestimmte Aspekte dieses Wissens explizit aufgeführt werden.
Von den
Kompetenzerwartungen im Lernbereich 2 "Lesen - mit Texten
und weiteren Medien umgehen" werden für den Kompetenzbereich
»"Literarische Texte versehen und nutzen" (Jahrgangsstufe 11)
beziehen die meisten Kompetenterwartungen
literaturgeschichtliche Aspekte entweder direkte oder indirekt
ein, so dass man von einer Aufwertung und einer umfassenden
Integration literaturgeschichtlicher Sichtweisen sprechen kann.
Die Auswahl der Texte soll sich neben modernen Texten auf Texte
des 17. und 18. Jahrhunderts beschränken. In den Jahrgangsstufen
12 und 13 werden dann Texte verschiedener Strömungen der
deutschsprachigen Literatur (insbesondere des 19., 20. und 21.
Jahrhunderts) zum Unterrichtsgegenstand.
Dabei werden
Kenntnisse zum grundsätzlichen Konstruktcharakter, zu
Historizität und Perspektivität literarhistorischer
Darstellungen ebenso erwartet wie zu den vielfältigen
kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhängen, in denen die
von ihnen beschriebenen literarischen Texte stehen. Die
traditionellen Epochenbegriffe wie Barock, Aufklärung und Sturm
und Drang sollen bei der Rezeption von Texten des 17. und 18.
Jahrhunderts in jedem Fall reflektiert werden und auch Fragen,
die mit dem Literaturkanon zusammenhängen erörtert werden.
Interpretationen sollen, wenn es sinnvoll ist,
allgemeingesellschaftliche, philosophische, biografische oder
auch historische bzw. epochenspezifische Hintergründe
einbeziehen.
"Die Schülerinnen und Schüler ...
-
rezipieren
literarische Texte der Gegenwart und anderer Zeiten (17. und
18. Jahrhundert), Gesellschaften, Kulturen oder Milieus,
ggf.
auch aus dem Bereich der Weltliteratur, und
erfahren dadurch Alterität in vielfältiger Gestalt; sie
lernen
Literatur als Spiegel und Diskussionsraum menschlicher
Erfahrungen, poetologischer Konzepte sowie
gesellschaftlicher, historischer, politischer und
geistesgeschichtlicher Zustände und Umbrüche kennen.
-
erweitern ihr
kulturhistorisches Orientierungswissen, indem sie sich
mit Texten und Werken des 17. und 18. Jahrhunderts
auseinandersetzen und diese
mit aktuellen
Texten und Diskursen und
ggf. mit Werken anderer Künste und Kulturräume in Beziehung
setzen;
sie diskutieren dabei am Beispiel von Barock, Aufklärung und
Sturm und Drang den konstrukthaften Charakter von
Epocheneinteilungen und setzen
sich ggf. mit der Frage nach der Kanonisierung von Literatur
auseinander.
-
interpretieren literarische Texte, indem sie deren Inhalt,
Aufbau und Gestaltung in ihrem Zusammenwirken erschließen
und
ggf. gesellschaftliche, poetologische, philosophische,
biografische oder auch historische bzw. epochenspezifische
Hintergründe einbeziehen. Sie untersuchen und
vergleichen die Gestaltung zentraler Themen und Motive in
unterschiedlichen Zeiten und Kulturkreisen.
[...]
-
arbeiten gestaltend, gehen produktiv mit Sprache und
Literatur um und vertiefen so ihr Textverständnis. Sie
setzen dabei auch
Medien ein.
-
lesen
eine Ganzschrift aus der Zeit der Aufklärung bzw. des Sturm
und Drang und rezipieren
eine Graphic Novel oder einen Film." (Hervorh. d.
Verf.)
Auf dem »erhöhten Anforderungsniveau für die Klassen 12 und 13
werden die Kompetenzen, die in einem zweijährigen Lernprozess
erworben sein sollen, wie folgt formuliert:
"Die Schülerinnen und Schüler ...
-
rezipieren exemplarische literarische Texte gegenwärtiger
und vergangener Epochen und Strömungen der deutschsprachigen
Literatur (insbesondere des 19., 20. und 21. Jahrhunderts),
ggf.
auch aus dem Bereich der Weltliteratur.
-
erfahren Literatur als ästhetisch gestalteten
Simulationsraum bzw. modellhaften Entwurf von Welt und
damit als Möglichkeit der individuellen sowie kulturellen
Identitätsfindung und
beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Antworten auf
die Grundfragen menschlicher Existenz. Im Zuge dessen
reflektieren sie eigene Einstellungen, Verhaltensweisen und
Wertvorstellungen.
-
erschließen
und interpretieren auf der Basis der aus den Vorjahren
bekannten Kategorien und Gestaltungsmittel anspruchsvolle
epische, dramatische sowie lyrische Texte. Sie beziehen in
ihre Untersuchungen das für die jeweilige Gattung
charakteristische Zusammenwirken von Inhalt, Aufbau und
Gestaltung sowie
relevante geschichtliche, gesellschaftliche, biografische,
poetologische, philosophische, geistes- und
kulturgeschichtliche Kontexte mit ein. Dabei
erfassen sie epochentypische Zusammenhänge von der Klassik
bis zur Gegenwart. Sie nutzen ihre Erkenntnisse für eine
schlüssige Interpretation vor dem Hintergrund der
Mehrdeutigkeit literarischer Texte.
-
erschließen
und reflektieren in der Auseinandersetzung mit Literatur
-
die
Grundideen von Klassik und Romantik (v. a.
Humanitäts- und Harmonieideal, Bildungsidee,
Formstrenge, Absolutsetzung des Subjekts und daraus
resultierende Gefährdung, Universalpoesie),
-
die
zentralen Strömungen realistischer Literatur im 19. Jh.
(v. a.
Idealismus-Kritik, Auseinandersetzung mit
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen
Ideen, Poetisierung der Wirklichkeit, Abbildung der
sozialen Wirklichkeit im Naturalismus)
-
die zunehmende
Vielfalt literarischer Zugangsweisen und Strömungen der
Moderne von der Jahrhundertwende bis zur Mitte des 20.
Jahrhunderts vor dem Hintergrund gesellschaftlicher
und kulturgeschichtlicher Entwicklungen wie Nihilismus,
Sprachskepsis, Ich-Dissoziation, Krisen- und
Kriegserfahrungen (u. a. ästhetizistische Tendenzen,
Expressionismus, didaktische und parabolische Formen,
Exilliteratur),
-
Themen und Formen der Literatur der Nachkriegszeit bis
zum Mauerfall, v. a. in unterschiedlichen
politischen und sozialen Kontexten (z. B. Aufarbeitung
der Vergangenheit, System- und Gesellschaftskritik in
beiden deutschen Staaten, Hinwendung zur Subjektivität)
sowie
-
die
Entwicklungen der Literatur seit 1989 (z. B.
Rückschau und Standortbestimmung, Auseinandersetzung mit
Identität, Pluralität, Globalisierung, Migration sowie
aktuellen Diskursen).
-
untersuchen und vergleichen die Gestaltung ausgewählter
Themen, Motive und Strukturen in Texten der aktuellen
Literatur und anderer literarischer Epochen und Strömungen.
-
erweitern ihr literatur- und kulturhistorisches
Orientierungswissen,
indem sie die rezipierten Texte mit Werken anderer Künste,
Kulturräume oder Fachgebiete in Beziehung setzen.
-
setzen sich kritisch mit der literaturgeschichtlichen
Epocheneinteilung sowie der Kanonisierung von Literatur
auseinander. [...]
-
arbeiten gestaltend und gehen produktiv mit Sprache und
Literatur um und vertiefen so ihr Textverständnis. Sie
setzen dabei ggf. Medien
ein.
-
lesen mindestens fünf Ganzschriften unterschiedlicher
Gattungen, die repräsentativ über die Epochen verteilt sind
und die aktuelle Literaturproduktion berücksichtigen. Die
Lektüre einer der Ganzschriften kann durch die Rezeption
einer Graphic Novel erfolgen oder durch die Analyse eines
Films ersetzt werden." (Hervorh. d. Verf.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.08.2024
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