▪
Schulische Schreibformen: Didaktische und methodische Aspekte
▪
So interpretiert man einen literarischen Text
(Schulische
Interpretationsmethoden)
▪
Gestaltend
interpretieren
●
Förderliche
Begleitung von Schreibprozessen
▪
Überblick
▪
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz
▪
Kriterienkataloge zur Erfassung von
Textqualität
▪
Überblick
▪
Zürcher
Textanalyseraster (1992)
▪
Basisdimensionen und Kriterien
▪
Basiskriterien
- Allgemeiner Katalog
Die grundsätzliche ▪
Bedeutung von
Kriterien bei allen Beurteilungsverfahren liegt darin, "die
Anforderungen der
Schreibaufgabe bzw.
Textart mit den
Entwicklungsmöglichkeiten der Schreiblerner zu verbinden.“ (Becker-Mrotzek/Böttcher
2006/2011, S.92).
Das gelingt sicherlich am besten, wenn die Kriterienkataloge aus
einem
Verständigungsprozess von Schülerinnen* und Lehrkräften über
die erwünschten ▪
Textqualitäten
erwachsen und, z. B. bei
▪
prozessorientierten Schreibaufgaben,
auch andere Aspekte des Schreibprozesses einbeziehen sowie beim
kooperativen Schreiben auch
▪
gruppendynamische Prozesse im Auge behalten.
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Hauptsache authentisch, Hauptsache einfallsreich, in jedem Falle
eine rein subjektive Angelegenheit?
Auch wenn diese Funktionen von Kriterienkatalogen auch für die
Beurteilung produktiv-kreativer Schülerinnentexte* gelten, wie sie beim
▪ gestaltenden Interpretieren in
der Schule entstehen, sind "Deutsch-Lehrende oft unsicher, ob und wie sie bewerten sollen" (Abraham
2010, S.93). Und auch den Schülerinnen und Schülern geht es
oft nicht anders, denn auch sie haben oft keine rechte
Vorstellung davon, nach welchen Kriterien solcherart gestaltete
Texte beurteilt werden können.
Vor allem die
Schülerinnen*, die im Umgang mit ▪ textproduktiven Umgangsweisen
dieser Art wenig Schreiberfahrung haben, glauben oft, dass alles, was einem
einfällt und wie man es gestaltet, nicht nur zulässig, sondern
auch als ideeninduzierte Gestaltung im Sinne des freien
assoziativen und
expressiven Schreibens eine quasi
schöpferisch-geniale Immunität vor Kritik genießt.
Hauptsache
authentisch, Hauptsache einfallsreich, in jedem Falle eine rein
subjektive Angelegenheit. Dass sie dabei die grundsätzliche
Gebundenheit des produktiv-kreativen Schreibprodukts an die
literarische Textvorlage übersehen
können, ist ihnen dabei oft nicht bewusst.
Das kann dann schon so weit gehen, dass mangelndes sprachliches
Ausdrucksvermögen, sprachliche und orthografische Fehler als
künstlerische Gestaltungsfreiheit ihres Schreibers bzw. ihrer
Schreiberin durchgehen soll. Wessen Gestaltung, selbst im Rahmen
einer sachlich gut begründeten Argumentation, nicht als
zulässige "gute" kreative Lösung wie alle anderen angesehen
wird, begreift die Kritik am eigenen Werk oft als Angriff auf
die eigene Person. Wer so reagiert, der versteht nicht, dass es
nicht "um die pauschale Würdigung von Originalität" gehen kann,
sondern "um die differenzierende Wahrnehmung von Textqualitäten"
(ebd.),
über die man sich verständigen kann und die für "die oft
sinnvolle und mögliche Verbesserung" (ebd.)
des Schreibprodukts unter bestimmten Voraussetzungen genutzt
werden kann.
Hinter solchen Vorstellungen seitens der Schülerinnen* stecken
häufig auch unangebrachte ▪
Alltagshypothesen über das
Schreiben im Allgemeinen, die sich besonders stark mit ▪
kreativem Schreiben
verknüpfen (Genie-Hypothese). Die
gestaltende Interpretation wird damit zu einer Schreibform nur
für sog. "kreative Köpfe" stilisiert. Daher machen viele
potentielle Schreiberinnen* ihre Entscheidung, wenn sie zwischen
kognitiv-analytischen und produktiv-kreativen Umgangsweisen
mit literarischen Texten wählen können, oft von ihrer
diesbezüglichen Selbsteinschätzung abhängig. Und die, dies
muss eigentlich kaum weiter betont werden, ist von vielen
verschiedenen Faktoren abhängig, die schulisches Lernen nur
bedingt beeinflussen kann.
Kriterien sind von der Beurteilungsperspektive abhängig
Welche Kriterien für Beurteilungsprozesse herangezogen werden,
hängt grundsätzlich von der gewählten ▪
Beurteilungsperspektive ab, also davon, worauf der Fokus bei
der Beurteilung gelegt wird. Dabei ist es grundsätzlich
unerheblich, ob diese Beurteilungsperspektive von den
Lehrkräften in ihren unterschiedlichen Rollen bei der Benotung (prüfend-bewertende
Beurteilung) oder der
fördenden Beurteilung (▪
Lernberatung) eingenommen werden. Natürlich ist die
Einnahme einer ▪
produktorientierten, an philologischen Kriterien
orientierten Perspektive im Allgemeinen mit ▪
Leistungsaufgaben
verbunden, kann aber natürlich auch bei ▪
Lern- und
▪
Übungsaufgaben
mit ihren vielfältigen ▪
Feedbackprozessen (▪
Scaffolding,
Peer-Feedback)
eine Rolle spielen.
Bei der Entwicklung geeigneter Kriterien oder von
Kriterienkatalogen kann man zunächst auf einen ▪
allgemeinen
Katalog von Basiskriterien zur Beurteilung der Textqualität
zurückgreifen, der im Kern auf das so genannte
▪
Zürcher
Textanalyseraster (1992)
zurückgeht.
Allerdings sind dessen Kriterien insgesamt für
unterrichtliche Zwecke zu komplex. Zudem müssen sie an die gestaltenden
Schreibaufgaben so angepasst werden, dass Kriterien im
Mittelpunkt stehen, welche die jeweilige Schreibform besonders
kennzeichnen.
So kann es z. B.
beim
kreativen Schreiben nicht unbedingt darauf ankommen, einen Text auf
seine Textverständlichkeit hin zu optimieren oder in jedem Falle die
orthographische Richtigkeit zu beachten (vgl.
Becker-Mrotzek/Böttcher (2006/2011, S.94).
Dabei muss man sich allerdings auch bei der ▪
Dimension
der ▪
sprachlichen Richtigkeit
und ihren Kriterien beim gestaltenden Interpretieren auch nicht
vollständig "wegducken": Stets lässt sich ja auch fragen, ob die
in einem Schülerinnentext* vorkommenden Verstöße gegen
sprachliche und stilistische Normen funktional begründet sind.
Gerade beim gestaltenden Interpretieren kommt hinzu, dass
Kriterienkataloge nicht nur wie bei der ▪
philologischen Perspektive, mit ihrem Fokus auf ▪
erzählendes, ▪
dramatisches, ▪
lyrisches und ▪
filmisches Schreiben verdeutlicht, gattungspoetologisch und
textsortenspezifisch der Vorlageangepasst werden müssen. Sie
müssen auch berücksichtigen, in welchem
Textmuster
die produktive Gestaltung (z. B. Tagebuch, Brief, innerer
Monolog etc.) formuliert werden soll.
So kommt es also auf vielfältige Weise darauf an, die
▪ allgemeinen Dimensionen
und Kriterien von Textqualität ( ▪
sprachliche Richtigkeit ▪
sprachliche
Angemessenheit, ▪
Aufbau,
▪ Inhalt,
▪
Schreibprozess und
ggf. ▪
Textverständlichkeit
als übergreifendes Kriterium), wo es geht, im Hinblick auf
das gestaltende Interpretieren zu konkretisieren. Das kann auch
bedeuten, dass das ▪
weiche Kriterium der ▪
Wagnis in Bezug auf inhaltliche und ▪
sprachlich-formale Textqualitäten durchaus Gewicht bekommt,
auch wenn es letzten Endes auf sehr subjektiven
Eindrucksurteilen beruht und damit auch "Verhandlungssache"
ist (vgl. Baurmann
2002/2008, S.140).
Nach
Abraham
(2001) kann man drei Perspektiven zur Beurteilung, Bewertung
und Benotung von produktiv-kreativen Schreibprodukten
unterscheiden (vgl.
Abraham
2010, S.103):
die produktorientierte
Perspektive mit philologischen Gütekriterien, die
prozessorientierte Perspektive, die den Fokus auf die Texte als
Entwürfe und den Schreibprozess als solches richtet und
die
funktionale Perspektive, die die Funktion des jeweiligen
Textes im Rahmen des Lehr-/Lernprozesses und in der
Anschlusskommunikation über die literarische Vorlage und die
gestaltenden Interpretationen in den Mittelpunkt stellt.
Produktorientierte Perspektive mit philologischen Kriterien
Bei der ▪
produktorientierten
Perspektive mit philologischen Gütekriterien geht es im Kern um die Frage: Welche philologischen
(gattungspoetischen, literaturgeschichtlichen,
textsortenspezifischen, adressatenorientierten und sonstigen
strukturellen Merkmale literarischen Gestaltens werden unter
plausibler Bezugnahme auf den Ausgangstext umgesetzt?
Hier lassen sich für unterschiedliche Formen produktiv-kreativen
literarischen Schreibens Kriterien entwickeln, die sich am
Vorwissen der Schreiberinnen* zu bestimmten Textsortenmerkmalen,
ihren strukturellen Eigenschaften oder sprachlich-stilistischen
Eigenheiten orientieren und natürlich auch nach ▪
Kompetenzstufen
differenziert zu betrachten sind. Am besten nimmt man als
Lehrkraft bei der Beurteilung entsprechender Leistungen die
Rolle einer Lektorin ein, "die das Manuskript auf Brauchbarkeit
prüft." (vgl.
Abraham
2010, S.104)
-
Beim
lyrischen Schreiben
(Verfassen oder Transformieren von Gedichten) könnte das
Augenmerk neben der auch hier zu beachtenden (funktionale)
Sparsamkeit der verwendeten sprachlichen und gestalterischen
Mitteln, die funktionale Bildhaftigkeit der Sprache zur
Gestaltung der Aussage (z. B Symbole und der Einsatz von ▪
rhetorischen Mitteln
unter dem Blickwinkel ihrer ▪
Wirkungsbereiche
und ▪
Wirkungsakzente
bei ▪
Metaphern,
▪
Symbolen,
▪
Vergleichen
etc.). Ebenso könnte der Akzent, je nach literarischer Vorlage
aber auch auf Aspekte der Formtreue (z. B. Beibehaltung der
Reimstruktur der literarischen Vorlage gelegt werden oder die
sprachspielerische Qualität verwendeter
▪ Klangfiguren etc. liegen.
-
Beim
dramatischen Schreiben
von Dialogen und/oder Passagen des ▪
Nebentextes könnten die Lebendigkeit, Konflikthaftigkeit und
Glaubhaftigkeit, Symmetrie und/oder Komplementarität, in den
gestalteten Dialoge, der funktionale, auch epochentypische
Einsatz von ▪
Bühnenanweisungen
(▪
explizite Bühnenanweisung und/oder ▪
implizite Bühnenanweisung (z. B. im ▪
naturalistischem
Drama) oder auch die ▪
Charakterisierung der Figuren mit geeigneten ▪
auktorialen und ▪
figuralen Techniken von Belang sein.
-
Beim
filmischen Schreiben eines
Drehbuchs bzw. von Drehbuchpassagen oder der Gestaltung
eines
Filmexposés,
Treatments, eines ▪
Storyboards,
einer ▪
Shot List
oder einem ▪
Sequenzprotokoll
etc. könnten je nach Vorlage ähnliche Aspekte wie beim
dramatischen Schreiben bei gestalteten Dialogen gelten. Dazu
kommen aber noch Merkmale des Textmuster des jeweiligen Textes
(Drehbuch, Treatment, Storyboard etc.), sowie die Berücksichtung
von ▪
Strukturen der Filmsprache
und der besonderen ▪
Gestaltungselemente des Films
(z. B. ▪
Einstellung
mit ▪
Einstellungsgröße
und ▪
Einstellungsperspektive
oder auch der Einsatz von Geräuschen und Musik).
Prozessorientierte Perspektive: Produktiv-kreative Texte als
Dokumente eines ergebnisoffenen literarischen Lernens
Die prozessorientierte Perspektive des Beurteilungs- und
Bewertungshandelns stellt den Schreibprozess, seine
unterschiedlichen Phasen und Zwischenergebnisse, die
Kommunikation und Verständigung von Teammitgliedern einer
Schreibgruppe während des Arbeitens an einer Schreibaufgabe ohne
den Druck, am Ende ein bestimmtes Schreibprodukt abliefern zu
müssen (Output-Orientierung) in den Mittelpunkt.
Im Zusammenhang mit geeigneten ▪
Lern- und
Übungsaufgaben,
die entsprechend didaktisch zu reflektieren und zu konzipieren
sind, dürfen die Schülerinnen* dabei unterschiedliche
produktiv-kreative Zugänge zu einem literarischen Text erproben.
In einem insgesamt förderlichen Lernklima, die auch an die
Lehrerrolle bei der ▪
Lernberatung (Scaffolding) besondere Anforderungen stellt,
können die Schreiberinnen, unterstützt durch förderliche
▪
Feedbackprozessen,
die auch den anderen Mitgliedern einer Schreibgruppe im Rahmen
des ▪
Peer-Feedbacks
Verantwortung dafür geben, dass selbstverantwortete Lernprozesse
ihrer Mitglieder in Gang kommen und aufrechterhalten werden
können. Dies kann z. B. im Rahmen von ▪
Schreibkonferenzen beim
gestaltenden Interpretieren erfolgen.
Dabei ist es oft sinnvoll, wenn den Schülerinnen* für das
Peer-Feedback entsprechende Beobachtungskriterien an die Hand
gegeben sind, die sie am besten gemeinsam mit der Lehrkraft
vorher selbst festgelegt haben. Dabei können allgemein die
nachfolgenden Aspekte berücksichtigt bzw. angepasst werden.
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Auch mit einer entsprechend angelegten
▪
Portfolioarbeit
zum gestaltenden Interpretieren ist die prozessorientierte
Perspektive natürlich besonders eng verbunden.
Funktionale Perspektive: Der Beitrag produktiv-kreativer Texte
für die Anschlusskommunikation
Neben der
produktorientierten
und prozessorientierten Perspektive bei der Beurteilung
produktiv-kreativen Schreibens kommt eine dritte Perspektive in
Betracht. Dabei geht es um die Frage, was ein bestimmter
produktiv-kreativer Text für die
literarische Kommunikation
bzw. die
Anschlusskommunikation über die literarische Textvorlage und die
produktiv-kreativen Gestaltungen der Schreiberinnen* im
Unterricht leistet. Damit gerät die soziale Komponente der
gestaltenden Interpretation in den Blick.
Die funktionale
Perspektive wertet damit auch die eingangs schon erwähnten
Textprodukte von Schülerinnen* auf, deren Gestaltungen dadurch
einen größeren Bezug auf ihre eigenen Lebenswelten haben, weil
sie dabei "auf
episodisch gespeicherte Wissensbestände und Muster
(...) (z. B. Versatzstücke aus Büchern und Filmen" (Fix
2006/2008, S.117) zurückgreifen. Sie können oft besonders gut zum
"Medium des literarischen Gesprächs" (Merkelbach
1993a, S.157.f., zit. n.
Abraham
2010, S.107) werden, wenn sie nicht als unkreativ und wenig
einfallsreich abgetan werden, sondern für ihren Beitrag zur
Verständigung über die literarische Vorlage und verschiedene
textproduktive Gestaltung wertgeschätzt werden (dürfen).
▪
Schulische Schreibformen: Didaktische und methodische Aspekte
▪
So interpretiert man einen literarischen Text
(Schulische
Interpretationsmethoden)
▪
Gestaltend
interpretieren
●
Förderliche
Begleitung von Schreibprozessen
▪
Überblick
▪
Lehrer-Schüler-Schreibkonferenz
▪
Kriterienkataloge zur Erfassung von
Textqualität
▪
Überblick
▪
Zürcher
Textanalyseraster (1992)
▪
Basisdimensionen und Kriterien
▪
Basiskriterien
- Allgemeiner Katalog
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
02.07.2024
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