Bei der Inhaltsangabe werden zwei Schreibziele miteinander
gekoppelt
Am weitesten verbreitet und am ehesten konsensfähig ist in der heutigen
fach- und schreibdidaktischen Diskussion die Vorstellung, dass die
dominierende Funktion einer ▪
Inhaltsangabe
als schulisches Textmuster über einen Text informiert.
(vgl. u. a. ISB
(Hg.), Neues Schreiben, Bd.2, 2. Aufl. 2010, S.337)
Statt weitere
Textfunktionen zur Differenzierung heranzuziehen, wie dies
noch
Fritzsche
(1994, S. 148f.) darlegt, sind zwei Schreibfunktionen in den Mittelpunkt
des Interesses gerückt, die der schulischen
Schreibaufgabe wohl eher gerecht werden.
Man geht dabei von der
prototypischen
strukturellen
Koppelung zweier Schreibziele bzw. Schreibfunktionen
aus. Diese sind:
-
das Gewinnen
eines vertieften Verständnisses des zu untersuchenden Primärtexts
-
die
intersubjektive Vermittlung der Ergebnisse der dieses
Textverständnis
hervorbringenden inhaltlichen Erschließung des
Textes
(vgl. (Fix
2006/2008, S.103.
unter Bezugnahme auf
Ossner 2005)
Problemlösendes Schreiben bei der Inhaltsangabe
Auch das ▪
produkt- oder ▪
prozessorientierte Verfassen
einer Inhaltsangabe sollte den
Schreibprozess als
Problemlösung fundieren. Dabei darf das
Problemlösungsparadigma nicht zu eng gefasst sein, denn das das
Konzept des problemlösenden Schreibens versteht die
Textproduktion als eine "komplexe Problemlöseaktivität" (Jechle
1992, S.81), bei der kognitive und kommunikative Prozesse
zusammenwirken.
-
Das bedeutet
im Falle schulischer Schreibaufgaben zur Inhaltsangabe, dass
sich das Schreibproblem durchaus auch einmal hauptsächlich
auf das Produzieren einer Inhaltsangabe nach dem
vorgegebenen ▪
Textmuster sein darf. In einem
solchen Fall spielen weitere motivationale Aspekte, wie z.
B. die Auswahl eines bestimmten Themas nur eine
untergeordnete Rolle. Solche Schreibaufgaben eignen sich
besonders als
Lern-
oder
Übungsaufgaben, wenn es z. B. darum geht, bestimmte
Teiloperationen beim Verfassen einer Inhaltsangabe zu lernen
bzw. zu üben. Selbstzweck sollte das Schreiben von
Inhaltsangaben allerdings dadurch nicht.
-
Nicht nur aus
Gründen der
Schreibmotivation sollte das Schreibproblem, das mit dem
Verfassen einer Inhaltsangabe gelöst werden soll, sich also
eher auf den Darstellungsgegenstand ((z. B. Thema,
Situation) richten oder das Schreibziel sollte sich aus der
kommunikativen Bewältigung der selbstgewählten oder
vorgegebenen Darstellungsaufgabe ergeben.
-
Und natürlich
ergibt sich aus der oben genannten
strukturellen Koppelung auch, dass das Schreibproblem,
das beim Schreiben einer Inhaltsangabe bewältigt werden
muss, auch das vertieften Verstehen
des zu untersuchenden Primärtexts sein kann.
Wenn die Schreibaufgabe
zur Lösung von Problemen herangezogen wird, richtet sich die
Aufmerksamkeit naturgemäß weniger darauf, wie textmusterkonform die Schülerinnen und
Schüler eine ▪ kontinuierliche Textzusammenfassung schreiben. Ein themen- bzw.
problemorientiertes Vorgehen muss daher auch
andere Formen der Informationsentnahme aus Texten und andere ▪
diskontinuierliche Formen bei der
Textwiedergabe möglich machen.
Das "Pauken" einer bestimmten
schulischen Schreibform mit vermeintlich "zeitlosen" Texten
("Die Haltung von Topfpflanzen" o. ä.), die möglichst mehrere
Schulbuchauflagen überstehen sollen, hat in einem
▪
kompetenzorienterten
Unterricht, der sich zugleich auf Erkenntnisse der modernen Lerntheorie
ebenso wie der zeitgenössischen
▪
Schreibdidaktik
stützen muss, eigentlich nichts mehr zu suchen.
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Lerner keine
beispielhaften Textzusammenfassungen, Inhaltsangaben etc. als
Musterbeispiele benötigen, die natürlich nicht immer wieder aufs
Neue erstellt werden müssen.
Als "Musterlösungen" eines Lösungsansatzes für ein bestimmtes,
naturgemäß nicht tagesaktuellen Problems, haben solche Texte mit
den Materialien, die den Erschließungsprozess dokumentieren,
natürlich auch weiterhin ihren Sinn. Aber langweilige, ohne
unmittelbaren Problembezug präsentierte "Mustertexte" sollten
nicht mehr zum Exerzierplatz normgerechten Schreibens gemacht
werden.
Statt strenge Formtypen und das Abarbeiten von Textmustern zu
verlangen, ist es vielleicht hilfreicher, die
jeweils zu bewältigende Schreibaufgabe bei der Textwiedergabe so zu
präzisieren, dass unmissverständlich klar ist, mit welchen
Schreibzielen ein
Text wiedergeben werden soll.
Und: Was spricht eigentlich dagegen, den
Schreibprozess bei der Inhaltsangabe und der Textzusammenfassung nicht durch
die Vorgabe bestimmter Relevanzkriterien oder bestimmter Fragestellungen zu
entlasten?
So lautet die Aufgabenstellung der Schreibübung Inhaltsangabe
eben nicht mehr "Verfassen Sie eine Inhaltsangabe zum Text", sondern z. B.
"Geben Sie den Handlungsverlauf wieder" oder "Fassen Sie Argumente von
▪
Maria Stuart und
▪
Elisabeth zusammen, die sie in ihrem Streit miteinander
vorbringen".
Auf diese und ähnliche Art und Weise lässt sich die für die
Inhaltsangabe erforderliche Informationsentnahme auf bestimmte Inhalte oder
auch auf bestimmte kommunikative Zwecke ausrichten. (vgl.
ISB
(Hg.), Neues Schreiben, Bd.2, 2. Aufl. 2010 S.260)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.02.2023
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